Für Modedesigner Hien Le steht seit jeher bestechende Simplizität in den Schnitten, hervorragende Qualität in Material und Verarbeitung sowie faire Produktion in Deutschland im Vordergrund. Bis 2017 entwarf Hien Le jährlich zwei Kollektionen für Frauen und Männer und präsentierte diese auf den jeweiligen Fashion Weeks und Messen. Dann folgte die Weiterentwicklung hin zu mehr saisonal unabhängiger Mode für alle. Im Gespräch mit Theresa Brüheim schildert der Berliner Designer, wie es dazu kam und was nun vom ihm zu erwarten ist.
Theresa Brüheim: »Beyond Seasons« lautet einer der Leitsätze Ihrer Mode. Heißt das, Sie entwerfen nicht mehr in der Modewelt gängige saisonale Kollektionen?
Hien Le: Genauso ist das zu verstehen. Ich habe mich dazu aber erst vor nicht allzu langer Zeit entschieden bzw. hat es sich mehr und mehr dahin entwickelt. Zuvor habe ich immer zwei Saisons herausgebracht: Frühling/Sommer und Herbst/Winter. Mit denen bin ich auch auf Messen gegangen. Aber irgendwann hat sich das nicht mehr rentiert. Und ich habe gemerkt, dass es egal ist, ob ich Sommer oder Winter mache. Man betitelt die Saison zwar so, aber letztendlich macht es keinen Unterscheid, ob es Sommer oder Winter ist, wenn ich ein Hemd designe. Ich wollte wegkommen von diesem Zwang. Ich habe mich kurz vor der Pandemie dazu entschieden. Seitdem hat sich bei vielen anderen Modelabels auch einiges getan. Viele große Labels in Paris und Mailand haben sich auch von saisonalen Kollektionen entfernt. Sie zeigen die Kollektionen nicht mehr zu den angegebenen Modewochen, sondern viele präsentieren ihre Kollektionen – egal ob Sommer oder Winter – später. Das heißt, dass sich viele Labels gar nicht mehr nach diesem Modekalender richten, der lange Zeit gängig war.
Inwieweit schwingt da auch eine Kritik an diesem allgemeinen Zwang zur saisonalen Kollektion mit?
Ich kann nur von mir sprechen: Ich habe den Zeitdruck als sehr hoch empfunden. Gerade für kleine Labels ist es auch ein großer finanzieller Druck. Mir wurde es zu viel. Aber auch schon zuvor habe ich nur das produziert, was von den Stores bestellt wurde plus Stock für meinen Onlineshop oder eventuelle Nachbestellungen. Aber um auf entsprechende Produktionsmengen zu kommen, muss man auch immer ein Stück weit aufstocken, damit die Produktionskosten ein bisschen sinken. So hatte sich in den zehn Jahren, die ich mein Label betrieb, ziemlich viel angehäuft. Zum Teil habe ich mit einigen wenigen Stores auf Kommissionsbasis gearbeitet, d. h., dass Teile wieder zurückkommen, wenn sie nicht verkauft werden. Obwohl ich nie in Massen produziert habe, blieb trotzdem viel über. Zwar kann man einiges gut außerhalb der Saisons oder in einem Stock Sale verkaufen, aber trotzdem fand ich das überflüssig. So habe ich mich entschieden, noch viel mehr zu reduzieren.
Mode von Hien Le wird seit Beginn in Deutschland produziert. Wieso haben Sie sich dafür entschieden?
Als ich mein Label gegründet habe, war für mich klar, dass ich gern in Deutschland oder zumindest in Europa produzieren möchte. Dann habe ich in Berlin entsprechende Produktionsstätten gefunden und mir gefiel der Gedanke. Ich bin aus Berlin und möchte gern die Infrastruktur hier nutzen, um unter fairen Verhältnissen zu produzieren. Ich wollte niemals in Massenproduktion gehen, dadurch bot sich dieser Weg an. Warum sich nicht gegenseitig unterstützen?
Das hat auch praktische Gründe: Es spart z. B. Versandkosten. Wenn die Produktion fertig ist, kann ich sie direkt abholen. Natürlich ist die Produktion entsprechend teurer, aber die Kommunikationswege sind kürzer. Alles hat Vor- und Nachteile.
Für mich hat es sich so richtig angefühlt. Und wenn man zufrieden ist, dann kann man auch bei einer Sache bleiben – so war es für mich immer.
Sie designen »for her, for him, for everyone in between«.
In der Modewelt sind Frauenmode und Männermode in der Regel getrennt. Auch ich habe am Anfang eine Männerkollektion und eine Frauenkollektion entworfen. Aber ich habe die Shows nie getrennt, d. h., ich habe gleichzeitig Frauen- und Männermode präsentiert. Ich bin auch immer nur auf eine Modemesse gegangen und hatte sowohl meine Frauen- als auch meine Männerkollektion dabei. Es gab also schon immer den Grundgedanken, dass es eine Kollektion ist, die nicht unbedingt getrennt werden muss. Es gab ein gemeinsames Thema, ein gemeinsames Farbkonzept, ein gemeinsames Stoffkonzept und so weiter. Es soll alterslos sein, es soll geschlechtslos sein, es soll jeder tragen, der sich damit identifizieren kann, der sich damit wohlfühlt.
Über die Jahre habe ich auch gemerkt, dass z. B. eine Frauenboutique die Männerhemden für ihre weibliche Käuferinnen kauft. Es hat sich immer mehr und mehr vermischt, sodass ich gesagt habe: Es ist für sie, es ist für ihn, aber es ist auch für alle dazwischen.
Und wer trägt dann Hien Le?
Meine Mode tragen eher Berufstätige ab Ende 20 bis Mitte 40. Meine älteste Privatkundin ist über 60 Jahre. Die Mehrheit steht im Berufsleben und hat ein festes Einkommen, sodass sie sich die Mode leisten kann. 2017/18 habe ich angefangen, mehr Basics zu machen: T-Shirts und Sweaters, die man günstiger kaufen konnte. Keine High Fashion also. Für diese Produkte war die Zielgruppe viel, viel jünger. Junge Leute, die Hien Le toll finden, aber sich meine Designs bis dahin nicht leisten konnten, waren froh nun ein T-Shirt oder einen Sweater kaufen zu können und so die Marke zu unterstützen.
In einem Interview mit der ZEIT in 2011 haben Sie gesagt, dass Ihre Modedesigns gekennzeichnet sind durch Simplizität in den Schnitten, durch Qualität in Material und Verarbeitung sowie durch Stil. Inwieweit sind Sie diesen Leitsätzen bis heute treu geblieben?
Immer noch, auf jeden Fall. Aus diesem Gründen wollte ich auch in Deutschland produzieren, denn Produkte aus Deutschland stehen für Qualität. Auch wenn jetzt kein deutscher Name hinter dem Label steckt, ist Hien Le eine deutsche Firma bzw. eine deutsche Brand – mit asiatischem Background.
In den ersten Jahren, in denen ich in Paris auf Messen war, um meine Sachen zu verkaufen, sind oft asiatische Einkäufer vorbeigekommen, haben sich die Sachen angeguckt, fanden die Designs schön, die Qualität und Stoffe gut. Aber sobald sie den asiatischen Namen gehört haben, waren sie ein wenig erschrocken und wollten die Finger davonlassen. Wenn ich dann aber erwähnt habe, dass ich aus Berlin komme, konnte man sie mehr fangen. Deutschland steht, gerade bei Asiaten, für hohe Qualität.
Sie sind in Laos geboren und mit einem Jahr nach Berlin-Kreuzberg gekommen. Inwieweit spielt Ihr Geburtsland in Ihren Modedesigns eine Rolle?
Unterbewusst spielt die Kultur immer auch eine Rolle. Zu Beginn habe ich immer gesagt, dass Hien Le eine deutsche Marke ist. Ich wollte nie mit dem Asiatischen in Verbindung gebracht werden. Anfänglich wurde mir oft gesagt: »Deine Kollektion sieht so asiatisch aus«. Das hat mich immer gewurmt, weil ich gedacht habe: Nein, tut es nicht. Das ist europäisches Design, deutsches Design. Aber im Unterbewusstsein hat die asiatische Kultur immer eine Rolle gespielt hat. Und ich war immer auch ein Stück in meiner Arbeit davon beeinflusst.
Im erwähnten ZEIT-Interview sprechen Sie auch von Ihrer Familie als Inspirationsquelle.
Das betraf vor allem meine erste Kollektion, die ich auf der Fashion Week gezeigt habe. Das war ein großer Schritt. Ich wollte meiner Familie zeigen, dass ich etwas Anerkanntes mache. In den Köpfen der ersten Generation bzw. der Generation vor mir, sind kreative Berufe nicht wirklich anerkannt. Der Wunsch ist immer, dass die Kinder Ärzte oder Anwälte werden. Mit der Präsentation auf der Fashion Week konnte ich meiner Familie zeigen, dass auch ein kreativer Beruf anerkannt sein kann. Das war für mich etwas ganz Besonderes und daher habe ich diese Kollektion meinem Großvater und meiner Familie gewidmet. Meine Familie ist aus Laos nach Deutschland geflüchtet, um uns hier eine bessere Zukunft zu bieten, um uns die Möglichkeit zu bieten, zur Schule zu gehen, zu studieren, eine richtige Bildung zu bekommen. Nicht alle aus der Elterngeneration hatten diese Möglichkeit. Ich bin mit dem Satz aufgewachsen: »Du musst Abi machen.« Ohne, dass meine Eltern genau wussten, was das Abitur ist. Sie wussten nur, das Abitur ist der höchste schulische Bildungsgrad, den man erreichen kann. Und so wollten sie natürlich, dass wir das erreichen – und am besten studieren und Arzt werden. Irgendwann mussten sie sich davon lösen, weil wir hier auch unser eigenes Leben leben und nicht das Leben unserer Eltern leben können. Da müssen die beiden Generationen auch erstmal zueinander finden. Aber das ist nochmal ein ganz anderes Thema.
Im letzten Jahr mitten in der Pandemie wurde das zehnjährige Bestehen von Hien Le gefeiert. Was hat das sowohl für das Label als auch für Sie persönlich bedeutet?
In den letzten Jahren hat sich viel geändert: Ich habe mich von dem Saisonalen zurückgezogen, ich habe mit einer Kollektion ausgesetzt, dann kam die Pandemie.
Bereits Anfang 2020 habe ich entscheiden, im März nicht mehr auf die Messe zu gehen. Die Entwicklung von Corona hatte sich in Asien ja schon zuvor angebahnt. Viele Käufer hatten bereits angedeutet, dass sie im März nicht nach Paris kommen werden, um zu ordern. Dann habe ich mich bewusst dazu entschieden, eine Pause zu machen.
Was erwartet uns nun von und bei Hien Le?
Ich bin noch in der Ideenphase. Einerseits weiß ich, was ich machen will und wohin es gehen soll. Andererseits ist noch so vieles offen.
Aber was ich schon weiß, ist, dass ich keine Messen mehr machen werde. Das heißt, dass ich auch nicht mehr mit Einzelhändlern arbeiten möchte. Ich möchte das Label sehr klein, sehr fokussiert halten. Vielleicht werde ich mich auf den Onlineshop konzentrieren – on demand. Wenn Leute anfragen, fertige ich an.
Ich möchte auch meinen eigenen Rhythmus bei den Kollektionen entwickeln. Ich kann mir auch vorstellen, mit den Ressourcen zu arbeiten, die ich habe. Beispielsweise habe ich aus den letzten zehn Jahren noch viele Stoffe nicht zu Ende verarbeitet. Warum nicht das nutzen, was auf Lager ist?
Vielen Dank.