Es gibt heute eine nahezu grenzenlose Auswahl an Mode. Und doch wissen wir kaum etwas über die komplexen Herstellungsmethoden von Garnen, Stoffen und Bekleidung, geschweige denn was damit passiert, nachdem wir sie in den Altkleidersack gestopft haben. Gravierende negative Auswirkungen auf unseren Planeten? Vielen schwant nichts Gutes. 

Doch warum sich mit Mülldeponien oder verschmutzten Flüssen belasten, wenn es per Mausklick schönere Welten bei Games wie z. B. League of Legends oder World of Warcraft gibt? Das macht wesentlich mehr Spaß und so tauchen allein in Deutschland rund 34 Millionen Userinnen und User regelmäßig ab in eine für sie »perfekte«, virtuelle Welt. Das nur auf den ersten Blick kostenlose Onlinespiel Fortnite verdiente bereits im Jahr 2020 täglich eine Million US-Dollar. Knapp 60 Prozent davon mit verkauften Outfits, der sogenannten Metakleidung. Summen, die so manche Augen zum Leuchten bringen und so investiert die Modewelt kräftig ins sogenannte Metaverse.  

Hier treffen sich virtuelle Menschen (Avatare), Orte, Dinge. Hier entsteht eine neue Wirtschaft mit eigener (Krypto)-Währung. Modischer Vorreiter Balenciaga ging letztes Jahr für seine Herbstshow eine Partnerschaft mit Fortnite ein. Nun verkauft die Marke über dessen In-Game-Shop digitale Luxusmode by Balenciaga. Weitere Modehersteller positionieren sich in der virtuellen Welt und präsentieren ihre virtuelle Mode z. B. auf der Metaverse Fashion Week von Decantraland. Eine bedeutende Rolle spielen zudem Filter wie z. B. Dressx. Virtuelle, oft sehr fantasievolle Mode wird über Fotos oder Videos gelegt und auf Instagram geteilt, eine »mixed reality« entsteht. Diese Art der Ich-Darstellung ist für viele wichtiger als die eigene »reale« Offline-Darstellung. Wen interessiert schon das Outfit beim Einkauf im Supermarkt? Das sehen nur Fremde. Online hingegen liken oft hunderte Freunde den Post. »Ähnlich wie man sich für einen TV-Auftritt, Fotoaufnahmen oder eine wichtige Online-Konferenz idealerweise anders anzieht als für ein reales Treffen, hat die Millennium-Generation die Bildwirkung für sich weiterentwickelt«, sagt Modeexperte Joachim Schirrmacher. Auch das Digital-Only-Konzept des Unternehmens »The Fabricant« wirkt wie ein Blick in die Zukunft. Auf der Webseite stehen verschiedene Outfits zum Download bereit, die einem digitalen Avatar angezogen werden und als Bild oder Video z. B. auf Instagram gepostet werden können. Soziale Medien nehmen inzwischen eine Hauptrolle in der Mode Kommunikation ein. Das Bild ist die Botschaft, höchstens noch ergänzt mit griffigen Hashtags. 

Neue virtuelle, digitale (Mode-)Welt 

Hier im Netz – auf Instagram, Facebook, TikTok etc. – vielfach geteilt, werden mit virtueller Mode keine physischen Ressourcen mehr verschwendet. Influencer haben das Zepter übernommen, klassische Medien wie Brigitte, Cosmopolitan, Vogue sind nur noch ein Schatten von einst. Auch die klassische Bekleidungsproduktion verändert sich rasant.  

Schon heute nutzen Designer digitale Technologien und erstellen virtuelle 3D-Prototypen, die idealerweise direkt für den Herstellungsprozess von Bekleidung genutzt werden können. Das klingt einfach, gibt aber derzeit meist noch erhebliche Probleme. Zuvor haben virtuell erstellte Stoffkollektionen mitunter den gesamten Musterungsprozess in den Webereien verkürzt. Da die richtigen Daten gleich mit zur Verfügung stehen, wird die Produktion insgesamt schneller, genauer, günstiger. Mit in dieses Bild passt, dass Verbraucher anhand ihres Avatars im Idealfall ihre tatsächlichen Körpermaße im Online-Shop hinterlegen können, um schneller das richtige und vor allem passende Produkt zu finden. Das Versprechen der zahlreichen Anbieter: Weniger Retouren, was Ressourcen und Umwelt schont und den Gewinn steigen lässt. Virtuelle Mode ist viel mehr als eine Spielerei: Die Visualisierung von Textil und Kleidung bietet enorme Chancen für digitale Mode im Metaverse sowie für Unternehmen der Textil- und Bekleidungsindustrie auf dem Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit. 

Kleider-Kollaps führt zur mentalen Erschöpfung 

Denn unsere Kleiderschränke quellen weiter und weiter über. Und immer wieder neue Online-Shops mit noch mehr Billigware sprießen wie Pilze aus dem Boden, befeuern die Textil-Müllbergflut, als ob es kein Morgen gäbe. Etwa die Webseite Shein, die mit billiger in China produzierte Ware den Markt überschwemmt. Nachhaltigkeit Fehlanzeige. Über den ganzen Globus verteilt haben bereits Millionen Teenies – also die Generation Fridays for Future – die Shein-App auf ihrem Handy installiert und shoppen was das Zeug hält. Der Umsatz soll sich in zweistelliger Milliardenhöhe bewegen und allein in Deutschland bei 250 Millionen Euro liegen. Was also tun, um unsere Wegwerfwirtschaft in eine Wirtschaft umzuwandeln, in der Abfall vermieden wird, Ressourcen zirkulieren und die Natur regeneriert wird?  

Recycling – eine Lösung von mehreren 

In Deutschland wird rund ein Viertel der gesammelten Altkleider recycelt. Ein Spitzenwert in Europa. Doch der Begriff recycelt ist nicht definiert. Tatsächlich wird das Gros geschreddert und zu Putzlappen, Malervlies oder Isolier- und Füllstoffen verarbeitet. Jeans werden mit chemischen Prozessen zu Viskose verarbeitet. Im finnischen Paimio entsteht derzeit z. B. eine Textilveredlungsanlage, die jährlich 12.000 Tonnen Alttextilien verarbeiten und Rohfasern für tatsächlich neue Produkte gewinnen soll. Das entspricht gerade mal der Menge, die jeden Tag im Sortierwerk von Soex in Bitterfeld angeliefert wird. In dem von der EU geförderten New Cotton Project, einen Konsortium aus Marken, Herstellern, Zulieferern, Innovatoren und Forschungsinstituten, werden drei Jahre lang Textilabfälle gesammelt, sortiert und zu Textilfasern (Zellulose) verarbeitet. Diese werden zur Herstellung verschiedener Stoffarten verwendet und von Adidas und Unternehmen der H&M-Gruppe eingesetzt. 

Nachhaltige Mode? Die Wiederverwendung als Gegenentwurf! 

Nachhaltige Mode hat trotz aller Diskussionen seit Jahren mit geschätzten drei bis fünf Prozent einen schwindend kleinen Anteil am Modebusiness. Genaue Zahlen gibt es nicht. Da die meisten Modeunternehmen heute im Besitz von Investoren sind, die kurzfristige Renditen erwarten, wird sich da wenig ändern. Das Ziel muss jedoch eine Überhänge vermeidende und Ressourcen schonende Produktion sein! Wenn die milliardenschweren Konzerne nur ein kleines Stück fairer und ökologischer handeln, dürfte das wesentlich mehr bewirken, als wenn die vielen Kleinunternehmen hundertprozentig nachhaltig wirtschaften.  

Eine Abkehr von Fast Fashion ist gut für die Umwelt und auch für uns selbst. Der kurze Kick beim Online-Click führt irgendwann zwangsläufig bei jedem zur mentalen Erschöpfung.  

Modemarken müssen dazu ihren Fokus wieder auf qualitativ hochwertige Kleidung legen, die langlebig, reparierbar, von weiteren Personen tragbar und im Idealfall am Ende sogar vollständig kreislauffähig ist. Zalando bietet inzwischen »Pre-owned-Artikel«, also Mode aus zweiter Hand, an. Auch Emmy Clothing Company oder Hugo Boss. Und Second-Hand-Onlineshops gibt es für jeden Geschmack im Netz mehr als reichlich zu finden.  

Passend dazu geht der renommierte European Fashion Award FASH 2022, nun einen zukunftsweisenden Schritt. Gesucht werden in diesem Jahr erstmals keine neuen Entwürfe. Die jungen Designer sind aufgefordert nur aus Secondhand-Kleidung eine neue Modeaussage zu kreieren. Joachim Schirrmacher, der auch den FASH verantwortet: »Über nachhaltige und faire Mode sowie Kreislaufwirtschaft wird viel gesprochen, doch die Fakten sind mehr als ernüchternd. Wir wollen den Impuls geben, Kreativität auch in andere Richtungen zu lenken.« 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2022.