Der Modedesigner Kostas Murkudis gibt im Gespräch mit Ludwig Greven Auskunft über die Rolle von Kleidung als Kulturzweig, fehlende Wertschätzung für Haute Couture in Deutschland, »kulturelle Aneignung« und warum er sich dennoch nicht als Künstler sieht.
Ludwig Greven: Sie gehen gerne in Galerien und Museen und haben mit Künstlern zusammengearbeitet. Schaffen Sie selbst Kunst?
Kostas Murkudis: Wenn mich andere so einschätzen wollen, gerne. Aber ich verstehe mich nicht als Künstler. Ich wollte von Anfang an Dinge für den Alltag entwerfen, die nicht nur einmal produziert und gebraucht werden. Mir ist das Benutzen wichtiger als das Aus- und Ansehen. Das Museale hat mich nie so gereizt. Ich habe großen Respekt vor jedem Künstler. Für mich ist das kein Attribut. Im Gegenteil halte ich es für spannend, mich mit einer anderen Disziplin auszutauschen, davon zu lernen, etwas gemeinsam machen zu können.
Wo sehen Sie den Unterschied zwischen Kunst und Design, insbesondere Modedesign? Auch bei Kunstwerken gibt es ja oft Reproduktionen.
Die Abgrenzung ist die, dass ich für mich keine individuelle, gar egozentrische Position formulieren will. Ich sehe mich als Handwerker, der Kleidung herstellt, auch wenn damit Poesie oder Storytelling einhergeht. Natürlich ist immer eine persönliche Note oder Geschichte einverleibt. Aber ich beanspruche für mich keine Haltung, die ich in Form eines Kunstwerks ausdrücke, ob das nun einmal, zweimal oder in Serie produziert wird. Das hat mich nie gefesselt. Ich habe Respekt vor Künstlern, die ihr Innerstes nach außen kehren – im besten Falle. Das ist nicht mein Ansinnen.
In der Kunst wie im Design und Modedesign geht es darum, etwas auszudrücken durch Farbe, Form, Material, Gestaltung. Gibt es da nicht doch Parallelen?
Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht mit künstlerischen Prozessen auseinandersetze. Der Unterschied ist, dass ich für den Menschen entwerfe. Er gibt die Rahmenbedingungen vor mit seiner Anatomie, so wie sie uns vom Universum geschenkt ist. Ein Künstler ist in seiner Gestaltungskraft und seinen Möglichkeiten völlig frei von solchen Parametern. In der Mode geht es um Kleidung, die nicht nur hübsch ausschauen soll, sondern auch in der Nutzung funktionieren muss. Das erfordert ein anderes Wissen, ein anderes Können.
Ist es auch ein wesentlicher Unterschied, dass Kunstwerke den Betrachtern nicht unbedingt gefallen müssen? Wenn Ihre Kollektionen potenziellen Kunden nicht gefallen, werden sie nicht gekauft.
Auch Kunstwerke müssen irgendetwas berühren, wenn Künstler davon leben wollen. Sonst werden sie von Sammlern und Museen nicht gekauft und nicht auf Kunstmessen gezeigt. Am Ende ist es der gleiche Bewertungsmaßstab. Der Unterschied ist nur: Ein Künstler muss sich nicht darum kümmern, ob eine Hose zwei Beine hat und jemand hineinpasst.
2010 wurde Mode von Ihnen im Frankfurter Museum für Moderne Kunst zusammen mit einem Künstler gezeigt, 2015 sogar in einer Einzelausstellung. Wie kam es dazu?
Ich hatte mit dem Künstler vorher schon eine Performance gemacht. Ich habe die Kollektion zur Verfügung gestellt und hatte die Idee, dass er sie inszenieren könnte. Es ist ja in der Mode gang und gäbe, dass man Kollektionen in einer Show zeigt. Man braucht Musik und Licht, um die Idee einem Publikum zugänglich zu machen. Da wir befreundet sind, habe ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, meine Arbeit zu inszenieren im Kontext des Museums. Einige Jahre später gab es die Folgeausstellung, wo er mich bei der Architektur der Ausstellung unterstützt hat.
Mode und Kunst wandeln sich regelmäßig. Gibt es da ein Zusammenspiel?
Beide Metiers sind mittlerweile eng verflochten. Die Mode schmückt sich gerne mit Kunst, sie möchte sich dadurch aufladen. Die Kunst lässt sich das gerne gut bezahlen. Denn die Mode ist das wesentlich einträglichere Business. Beide wollen sich im besten Licht präsentieren. Und beide lassen sich natürlich voneinander inspirieren. So arbeiten heute viele Künstler mit Textilien. Das ist nicht neu, hat aber in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die Zyklen, denen beide Bereiche unterliegen, hängen auch daran, dass sich die Welt immer schneller dreht, fast überdreht. Seit dem Erscheinen des Smartphones hat jeder auf dem Globus die Möglichkeit, die gleichen Informationen und Bilder zeitgleich zu konsumieren. Diese Flut, die wir unterschiedlich verarbeiten, führt, wenn wir etwas schon mal gesehen haben, zu dem Gefühl, dass das ganz alt sei. Man sehnt sich nach etwas Neuem. Also fängt man selbst an nachzudenken, was könnte etwas sein an Neuem. Wie kann ich antworten, auf die Fragen der Zeit? Das ist ein ganz natürlicher Prozess, der sich durch die technischen Möglichkeiten enorm verändert und beschleunigt hat. Das beeinflusst insbesondere die Mode. Denn sie hat ja im Zentrum, sich ständig zu erneuern. Früher war das zweimal im Jahr, im Sommer und im Winter. Dann wurden die Zyklen immer kürzer. Die Kunst hat sich auf dieses Spiel mit eingelassen durch die vielen Kunstmessen und ihre Ableger, die überall entstanden sind. Jeder möchte an dem Kuchen teilhaben. Das führt dazu, dass der Ausstoß auch da immens geworden ist, was nicht heißt, dass alles qualitätsvoll ist.
»Modisch« hat oft einen negativen Beigeschmack.
Das Wort hat in Deutschland die Bedeutung von vergänglich, überflüssig. Grundsätzlich hat Mode eine ganz andere Funktion. Sie ist ein Kulturzweig. Dazu gehören Essen, Getränke, Bilder, Raum, Licht, Geruch und eben die Kleidung. Bei uns hat sie einen merkwürdigen Beigeschmack. Nach meinem Eindruck ist sie hier noch nicht richtig angekommen. François Mitterrand hat in Frankreich Mode als hohe Kunst bezeichnet, er hat die Prêt-à-porter in diese Weihen gehoben. Sie ist nicht zu vergleichen mit Malerei oder Bildhauerei. Doch in ihrer Weise ist sie ein Element der Kultur wie Architektur, Film oder Fotografie. Für Frankreich ist sie auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ludwig XIV. hat das klug eingeleitet. In Italien ist es ähnlich, da würde auch keiner auf die Idee kommen, abfällig von »modisch« zu sprechen. Das ist sehr deutsch. In Deutschland ist man noch sehr verhaftet im Bauhaus-Gedanken, die Form müsse sich an der Funktion orientieren, sie müsse vor allem funktionieren. Der Begriff Mode wird hier meist falsch verwendet und verstanden. In Deutschland wird meist Kleidung produziert, nicht Mode.
Die EU-Kommission hat der »Fast-Fashion« wie Fast Food wegen fehlender Nachhaltigkeit den Kampf angesagt. Dürfen wir keine billige Kleidung mehr kaufen?
Es gibt unterschiedliche Lebensrealitäten. Manche Leute können sich ständig teure Sachen kaufen, die sie ein- oder zweimal tragen und dann wegwerfen, im besten Fall weitergeben. Andere kaufen unachtsam oder wissentlich Kleidungsstücke, bei denen man schon am Preis sieht, dass sie kaum unter ethisch vertretbaren Bedingungen hergestellt sein können. Das ist höchst fragwürdig, wie der ganze Überfluss, den die Modeindustrie produziert mit ihrer Ressourcenverschwendung. Aber die Veränderungen, die man bei den Produktionsketten erreichen will und muss bis zur Recyclingfähigkeit, setzen mehr voraus. Man müsste schon Schulkindern beibringen, wie Dinge hergestellt werden, wo sie herkommen, wie es zu den Preisen kommt und der Billigkleidung. Es ist nicht damit getan, mit bösen Fingern darauf zu zeigen. Wenn Dinge teurer werden, wird man sie nicht so schnell achtlos wegschmeißen. Und vielleicht freuen sich die Menschen dann auch ungleich mehr über Neuerwerbungen. Das hilft bei der Kaufentscheidung und wie man mit den Dingen umgeht.
Mode hat den Ruf, dass sie etwas für Reiche und Schöne ist. Kann sie auch Vorbild sein für die, die sie sich nicht leisten können, und auf sie ausstrahlen?
Sowohl als auch. Ich arbeite für verschiedene Labels, auch solche, die Kleidung zu fairen Preisen für ein breites Publikum herstellen. Mein Bestreben war nie, nur elitäre Gruppen zu bedienen. Sonst würde ich nur Couture, Einzelstücke machen. Ich komme aus einem anderen Kulturkreis, wo Kleidung eine ganz andere Bedeutung hat.
Greifen Sie aus Griechenland, der Heimat Ihrer Eltern, bewusst Formen und Farben auf?
Ich beschäftige mich gerade intensiv damit, weil mich diese Kultur und das Textil dort wieder sehr gefangen genommen hat, auch weil sich da einiges tut. Als ich mit 18 oder 19 das erste Mal in Griechenland war, fiel mir auf, dass alte Menschen auf dem Land meist nur Schwarz trugen, auch meine Großeltern in einem kleinen Dorf. Das hat mich anfänglich beeinflusst, zumal damals in den 1980er Jahren auch japanische Modemacher Schwarz zelebrierten, die Summe aller Farben. Darüber hat schon Goethe geschrieben. Das griechische Universum hat aber natürlich noch ganz andere Facetten. Griechenland verbindet man gerne mit Tempeln, der Akropolis, dem weißen Marmor, der in Wirklichkeit extrem bunt angemalt war. Es ist hochinteressant, sich damit auseinanderzusetzen. Aber das hat mich nicht dazu gebracht, z. B. den Faltenwurf bei Statuen von Apollo oder Hermes, dem Götterboten zu übernehmen, um daraus ein modernes Crepes-Chiffon-Kleid zu reproduzieren. Das ist nicht meine Denkart.
Aber sich davon inspirieren lassen?
Das ja, und davon lernen. Versatzstücke sind sicher in meinen Kollektionen sichtbar. Aber ich würde es nicht sinnlos übernehmen als Dekor.
Was halten Sie von dem Vorwurf »kultureller Aneignung«? Leben nicht Kunst, Musik und auch Mode vom Austausch mit anderen Kulturen, der gegenseitigen Befruchtung?
Das ist eine ganz schwierige Diskussion, auch weil sie mit der Frage des Besitzes an kreativem Eigentum verbunden ist. Es gibt Menschen, die behaupten, alles Wissen auf dieser Welt gehört allen. Andere sagen, die jeweilige Kultur gehöre nur der jeweiligen Volksgruppe. Eine Tracht aus einem anderen Land einfach auf den Laufsteg zu bringen in einer kommerziellen Show, ist heikel. Grundsätzlich finde ich es jedoch nicht verwerflich, Formen aus anderen Kulturen aufzugreifen. Sich daran zu orientieren, auch z. B. in der Malerei oder Musik, heißt, etwas zu verstehen lernen, es in seine Einzelteile zu zerlegen und es im nächsten Schritt zu verwandeln. Diese Auseinandersetzung schätze ich sehr und mache es hin und wieder selbst.
Vielen Dank.