Auf 50 Milliarden Euro Marktvolumen beläuft sich der Fashionmarkt in Deutschland und hat branchenübergreifend die größten Umsatzeinbußen im Rahmen der Pandemie verzeichnen müssen: Homeoffice, fehlende Anlässe, ausbleibende Reisen und Verzicht auf private Feiern haben die Bedarfe nach Bekleidung verändert bzw. bekanntermaßen deutlich reduziert. Zwar sorgte ein leichter Zuwachs im zweiten Pandemiejahr 2021 – vor allem durch ein ausgeprägtes Onlinewachstum – für etwas Entlastung, die hohen Umsatzverluste aus 2020 wurden indes bei Weitem nicht aufgeholt. Ende 2021 lag der Umsatz nach Berechnungen des Instituts für Handelsforschung (IFH) Köln immer noch mehr als 11 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2019.  

Die Wucht der Auswirkungen spüren die Anbieter entsprechend unterschiedlich stark: Die stationären Fachhändler ohne Onlineverkauf bzw. Multi-­Channel-System sind stark unter Druck – dies trifft insbesondere die inhabergeführten und innerstädtischen Bekleidungsgeschäfte. Eine starke Entwicklung hatten in den vergangenen Jahren die Händler mit einer Online-DNA und allen voran Plattformanbieter wie About You und Zalando. Sie konnten nicht nur von der Entwicklung zur Onlinenisierung, sondern auch von der Anpassungsfähigkeit ihrer Geschäftsmodelle profitieren.  

Onlinehandel als Wachstumsmotor und Katalysator 

Die Anbieter mit stationärer DNA konnten vor allem online nochmal deutlich zulegen – insbesondere im zweiten Pandemiejahr. Diese Multi-Channel-Systeme punkten bei den Konsumentinnen und Konsumenten nicht zuletzt durch vielfältige kommunikative Zugangsmöglichkeiten und Services wie »Click & Collect«. Im Vorteil sind dabei die Vertikalen. Die Unternehmen, welche mit ihren Hauptvertriebslinien etwas unterhalb der klassischen Preismitte verortet sind, wie z. B. H&M und Zara, haben ihre Onlineaktivitäten meist deutlich ausgebaut, während sie gleichzeitig teilweise bereits vor der Pandemie begonnen haben, ihr stationäres Ladennetz zu bereinigen. Im Vergleich zum Multilabel-Handel konkurrieren die Vertikalen auch online nicht mit anderen Anbietern derselben Marken.  

So agiert der Onlineanteil nicht nur als Wachstumsmotor für die gesamte Branche, sondern auch als Katalysator für einzelne Anbietergruppen und Geschäftsmodelle. Der Einfluss ist hierbei auch so groß wie in keiner anderen Einzelhandelsbranche – schließlich liegt der Onlineanteil mittlerweile zwischen 40 und 50 Prozent. Dabei hieß es noch vor 15 Jahren – als Zalando am Markt startete, dass Mode keine Onlineeignung besitze.  

Weit gefehlt: Ein Player hat mit seinem Marketingversprechen dann das Gegenteil bewiesen und für den Wandel einer ganzen Branche gesorgt. So ist der Modemarkt grundsätzlich längst schon vom Strukturwandel ergriffen, die Coronapandemie hat die Entwicklung allerdings nochmal deutlich beschleunigt.  

Folgen der Nachhaltigkeits­orientierung gravierender als Digitalisierung 

Neu ist: Es wird weniger Mode gekauft bzw. insgesamt weniger Geld für Mode ausgegeben, nicht nur weil die Bedarfe andere sind, auch weil Klimakrise und Coronapandemie das nachhaltige Gewissen verstärken und teilweise auf neue Kleidung verzichtet wird. Die Fashionbranche ist aus Konsumentensicht die Branche mit der zweithöchsten Bedeutung von Nachhaltigkeit. Durch die tägliche Relevanz von Kleidung und die Nähe am Körper bzw. Menschen ist die hohe Bedeutung nachvollziehbar. Doch die Industrie ist von Herstellung über Rohstoffe bis in den Vertrieb nicht fair und die Branche weist anbieterseitig erst wenige Nachhaltigkeitsansätze in der Breite auf – Tendenz jedoch zunehmend. Der Nachzüglerstatus zeigt sich in einer großen Streuung bei den Unternehmen im sogenannten CSR-Index – CSR steht für Corporate Social Responsibility –, welcher über alle Branchen hinweg auch der schlechteste Index ist, wie die 2021 veröffentlichte Studie »Nachhaltigkeit in der amazonisierten Welt« des IFH Köln zeigt.  

Dabei sind durch die pandemiebedingten Umsatzrückgänge besonders viele Impulse gefragt. Auch wenn das Kaufverhalten stark von Bequemlichkeit und auch Modetrends geprägt ist, braucht es die neuen Geschäftsmodelle, um den nachhaltigen Anforderungen »zukünftig« gerecht zu werden. Die Verlagerung des Produktionsstandorts nach Deutschland oder Europa ist gleichfalls ein erster Schritt zur Nachhaltigkeit, denn Löhne, Arbeits- und Gebäudesicherheit sowie Sozial- und Umweltstandards sind bei zusätzlich kurzen Transportwegen mit die höchsten in der Welt. So setzt bereits eine Reihe von Herstellern nicht nur auf diesen Standortvorteil, sondern geht noch weiter in Richtung Stoffinnovationen und Kreislaufwirtschaft. Vor allem die Jeans ist in dieser Hinsicht bei manchen ins Visier geraten, wie beispielsweise Bleed oder auch C&A mit in Deutschland hergestellten Jeans belegen. 

Kundenzentrierung als entscheidendes Denkmodell für zukünftige Ausrichtung 

Die Veränderung im Konsumentenverhalten ist ein Prozess: Vom Bewusstsein über ein Verständnis bis zum Verhalten. Bereits die Hälfte der Konsumentinnen und Konsumenten kauft bewusst Kleidung, knapp ein Viertel hat dabei eine Nachhaltigkeitsorientierung. Doch bei Fashionkäufen mit Nachhaltigkeitsgedanken besteht ein großes Spannungsfeld: Lediglich 19 Prozent verzichten mit Leichtigkeit auf nichtnachhaltige Kleidungsstücke – insgesamt aber immerhin rund ein Drittel aller Konsumenten in Deutschland. Die Gefahr für Unternehmen, diesen langsamen Umbruch im Verhalten zu übersehen, ist daher groß. Doch es gibt auch Bereiche mit greifbareren Entwicklungen: der Second-Hand-Markt. Die entsprechenden Plattformen sind attraktiver als bisherige (Ver-)Kaufsstätten – gerade auch für Ältere, was die Entwicklung beschleunigt. 

Um in der Zukunft bestehen zu können, ist es demnach essenziell die Bedürfnisse der eigenen Zielgruppe zu verstehen und sich daran auszurichten. Radikale Kundenzentrierung ist das Stichwort, die sich in allen Unternehmensprozessen wiederfindet und in mehrwertstiftenden Leistungsversprechen mündet. So hat beispielsweise About You vorgemacht, wie man mit klarer Positionierung in einem scheinbar besetzten Markt Marktanteile gewinnen kann. Dabei spielen die Personal Brands von About You eine besondere Rolle. Auch die Sichtbarkeit über die klassischen Werbekanäle hinaus nehmen eine hohe Bedeutung ein. Der bisher größte Schachzug dabei sind die About You Awards und die eigene Fashion Week, mit denen sie Mode als Kommunikationsmittel sprechen lassen. 

Ausblick: Nachhaltigkeit first! 

Die dynamische Onlinenisierung im Zuge der Coronapandemie hat dazu geführt, dass die Digitalisierung als relevantes Thema mittlerweile von vielen Händlern »hingenommen« wird. Doch trotz dieser Relevanz hat sich der Mittelpunkt notwendiger Unternehmensausrichtung bereits weiterverschoben: Die Folgen einer Nachhaltigkeitsorientierung sind gravierender für den Handel als die Digitalisierung. Durch einen Konsumverzicht der Konsumentinnen und Konsumenten wird schließlich die Grundlage des Geschäftsmodells ganzheitlich und unumstößlich entzogen. Nachhaltigkeit ist also keine Strategieoption, sondern muss als Fundament angesehen werden.  

Diese größte zurzeit herrschende Herausforderung steht dabei nicht im Gegensatz zur Digitalisierung – im Gegenteil: Durch Transparenz und Reichweite wird sie dadurch sogar befeuert. Erfolgreich im Markt werden diejenigen Anbieter sein, welche die »Warnsignale« ernst nehmen und entsprechend den vorherrschenden Bedürfnissen nach Haltung und Transparenz neue Geschäftsmodelle entwickeln. Ob fair produzierte Neuware oder Second-Hand-Ware bzw. online und stationär sind hierbei zweitranging. Die konsequente Ausrichtung an den zugrundeliegenden Bedürfnissen und die radikale Ausrichtung daran sind die Erfolgsgeheimnisse. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2022.