Der Klimaforscher und Meteorologe Hans von Storch gibt im Gespräch mit Ludwig Greven Auskunft über die Folgen des Klimawandels, notwendige Schutzmaßnahmen an Flüssen und an der Küste – und über zum Teil überspitzte Szenarien von Klimaaktivisten.

Ludwig Greven: Wasser ist Segen, manchmal aber auch Fluch. Müssen wir uns infolge des Klimawandels auf häufigere Hochwasser und steigende Meeresspiegel wie auch auf zunehmende Dürren in unseren Breitengraden einstellen?

Hans von Storch: Ja, das sollten wir. Der Meeresspiegel steigt; Starkniederschläge und damit die Notwendigkeit, dass große Mengen Wasser kurzfristig abfließen müssen, werden wahrscheinlich intensiver, ebenso Dürren als Folge stärkerer Hitzewellen und lang anhaltender Wärme.

Hochwasser und Dürreperioden gab es auch schon in vorindustrieller Zeit. Manche bezweifeln daher, dass sie mit dem Klimawandel zu tun haben. Was hat sich geändert?

Man muss unterscheiden zwischen seltenen, aber heftigen Ereignissen, die es tatsächlich schon immer gab und immer geben wird, und einer Verschärfung aufgrund des menschgemachten Klimawandels. Die Neigung in letzter Zeit zu intensiveren Starkniederschlägen ist erkennbar, aber noch können wir den Zusammenhang nicht mit ausreichend kleiner Irrtumswahrscheinlichkeit nachweisen. Unsere Modelle zeigen jedoch einvernehmlich, dass dieser Zusammenhang zukünftig immer deutlicher werden wird.

Wären die Gefahren gebannt, zumindest geringer, wenn es gelänge, die Klimaerwärmung gemäß dem Pariser Ziel auf 1,5 Grad zu begrenzen? Oder müsste auch dann mehr in Prävention gegen Hochwasserkatastrophen wie an der Ahr und gegen Dürren investiert werden?

Nein, solche Ereignisse gab es immer; historisch sind die Jahre 1804 und 1910 vermerkt – aber ein Erreichen der Pariser Ziele würde die Verschärfung begrenzen.

Zu den katastrophalen Folgen an der Ahr wie auch schon beim Elbhochwasser 2002 kam es auch des-halb, weil Häuser in Flussniederungen gebaut wurden, obwohl die Flüsse schon in früheren Zeiten immer wieder über die Ufer getreten sind. Braucht es eine andere Siedlungspolitik, die der Natur wieder mehr Raum gibt?

Für die Raumnutzung sollte gelten, dass man sich über heutige und vielleicht zukünftig erhöhte Wahrscheinlichkeiten für extreme Ereignisse klar ist; auch dass es immer seltene, aber heftige Ereignisse gibt. Selbst ein sonst kleiner Fluss kann kurzfristig zu einer schweren Herausforderung werden. Also: Monitoring und Rekonstruieren vergangener Ereignisse, realistische Szenarien für mögliche Änderungen heranziehen und über Anpassung nachdenken.

Tragen Flussbegradigungen und die Elbvertiefung zu Hochwassern bei?

Flussbegradigungen – das glaube ich schon. Der Tidenhub in Hamburg ist jedenfalls erheblich angewachsen durch die Elbvertiefung, auch Sturmfluten laufen höher auf, aber wegen der erfolgten Anpassungsmaßnahmen hat das kaum zu einer verschärften Gefahrenlage geführt.

An Mosel und Ahr waren die Weinberge früher terrassiert und konnten so Regenwasser aufnehmen. Um sie maschinell bearbeiten zu können, wurden sie wie viele Ackerflächen flurbereinigt und in schräge Flächen verwandelt, die bei Starkregen zu Sturzbächen führen. Sind Menschen selbst schuld, wenn dann ihre Häuser absaufen?

Mir scheint, dass man das Wissen um die schlimmen Hochwasser der Vergangenheit verdrängt hat und die notwendige Anpassung, möglicherweise zugunsten eines leeren Geredes über Klimarettung, grob vernachlässigt hat.

Braucht es auch in Städten und anderen Siedlungen mehr Grünflächen und Dachbegrünung statt Bodenversiegelung, damit das Wasser versickern kann?

Dies ist sicher eine sinnvolle Maßnahme, um das urbane Klima zu verbessern. Neben der globalen Erwärmung haben wir ja eine erhebliche Erwärmung in den Städten seit 100 Jahren – nicht nur in Hamburg, sondern auch in kleineren Städten wie etwa Rostock.

Vor allem an der Küste, aber auch an der Elbe ist Hochwasserschutz durch immer höhere Deiche seit Jahrhunderten eine zentrale Aufgabe. Wird sie in Zukunft noch wichtiger?

Wer nicht dieken will, mutt wieken (Wer nicht deichen will, muss weichen; niederdeutsches Sprichwort, Anm. d. Red.) – das gilt unverändert weiter. Das steht aber bisweilen in Widerspruch zu Forderungen nach Naturschutz.

Manche Klimaforscher und Klimaaktivisten warnen davor, dass in Zukunft Städte auch bei uns wegen der steigenden Meeresspiegel nicht mehr bewohnbar sein werden. Wie realistisch ist das?

Das kommt auf den Zeithorizont an. Wenn wir 1.000 Jahre ansetzen, dann kann das stimmen. Aber dann ist die Gesellschaft so massiv verändert, dass wir nicht abschätzen können, was das bedeuten würde. Für die kommenden 100 Jahre haben wir abgeschätzt, dass die pessimistischste Schätzung in Hamburg einen Anstieg des mittleren Hochwassers um einen Meter beträgt, was aber vermutlich deutlich unterschritten wird.

Generell neigen Klimaaktivisten, aber auch nicht wenige Klimaforscher zu apokalyptischen Prophezeiungen. Wie hilfreich und wie angebracht ist das?

Ich glaube, es geht vielen Aktivisten gar nicht wirklich um das Klima, sondern es ist ein Vehikel, die Welt hier bei uns zu verbessern. Denn sonst würde man sich Gedanken machen, wie wir denn helfen können, den globalen Ausstoß von 35 bis 40 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr und anderen Treibhausgasen auf Netto-Null zu reduzieren. Und welche Anpassungsmaßnahmen erforderlich werden für den nicht eingehegten Klimawandel.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2023.