»Wenn Sie eine Geschichte in Hollywood verkaufen wollen, schreiben Sie einen Comic-Strip. Statistiken zufolge sollte das Ihre Chancen um etwa 30 Prozent erhöhen.« Unabhängig davon, inwiefern diese Zahlen der Wahrheit entsprechen, scheint sich die US-amerikanische Filmindustrie heute noch an diesen Ratschlag aus den 1940er Jahren von Whitney Bolton zu halten, dem ehemaligen Direktor für Öffentlichkeitsarbeit der Columbia Studios. Zumindest bietet der Blick auf die in Deutschland zehn erfolgreichsten Filme des letzten Kinojahres insofern ein gewohntes Bild, als dass sich darunter drei Comic-Verfilmungen finden lassen. Wenig überraschend ist auch, dass es sich bei »Doctor Strange in the Multiverse of Madness«, »Thor: Love and Thunder« und »The Batman« allesamt um Verfilmungen von Superhelden-Comics handelt, die seit Jahren zu den teuersten und kommerziell erfolgreichsten Produktionen aus Hollywood gehören. Die immense Popularität von Superheldenfilmen führt in der öffentlichen Wahrnehmung häufig zu dem Eindruck, dass es sich bei Comic-Verfilmungen grundsätzlich um Superheldenfilme handelt. Dass dem nicht so ist, führt der ebenfalls 2022 erschienene »Wo in Paris die Sonne aufgeht« vor Augen, bei dem viele im Publikum vermutlich gar nicht wussten, dass es sich bei ihm um eine Comic-Verfilmung handelt. Die Adaption zweier Graphic Novels von Adrian Tomine um die miteinander verflochtenen Lebens- und Liebesgeschichten dreier junger Menschen könnte mit seinen in schwarz-weiß erzählten Alltagsepisoden zumindest kaum weiter von den bunten, lauten und fantastischen Welten entfernt sein, für die die Comics aus den Verlagshäusern Marvel und DC Pate stehen.

Abgesteckt ist damit zumindest ansatzweise das weite Feld, innerhalb dessen sich Comics, sprich Comic-Strips, Comic-Serien und Graphic Novels, und ihre Verfilmungen thematisch und ästhetisch bewegen können. Daher gilt es einer Gleichsetzung von Comic-Verfilmungen mit Superheldenfilmen aktiv entgegenzuwirken. Schließlich reduziert sie den Comic zu Unrecht auf ein einziges Genre und läuft dadurch Gefahr klischeebehaftete Vorstellungen von Superheldengeschichten auf Comics insgesamt zu übertragen. Dazu zählt das Stereotyp von einem ausschließlich jugendlichen Lesepublikum oder einer eingeschworenen Gemeinde weißer und männlicher Fans wie den Protagonisten der US-amerikanischen Sitcom »The Big Bang Theory«.

Der Hinweis von Whitney Bolton ist daher insofern wertvoll, als dass er auf die historische Dimension von Comic-Verfilmungen aufmerksam macht. So greift schon der in »L’arroseur arrosé« (1895) von den Brüdern Lumière inszenierte Sketch um einen Gartenschlauch ein Thema auf, das zuvor in unterschiedlichen Bildgeschichten wie Christophes »Histoire sans paroles – Un Arroseur public« (1889) dargestellt wurde. Heraussticht in der Frühzeit des Kinos zudem der US-amerikanische Comic-Zeichner Winsor McKay. Er wurde zu einem Pionier des Animationsfilms, als er in dem 1911 erschienenen »Winsor McCay, the Famous Cartoonist of the N.Y. Herald and His Moving Comics« Figuren aus seinem Comic-Strip »Little Nemo in Slumberland« adaptierte.

Spricht man von »moving comics« oder von einem »in Bewegung Versetzen« von Comics mit den Mitteln des Films, darf das allerdings nicht zu dem Trugschluss führen, dass Comics ihr volles Potenzial erst auf der Leinwand oder dem Bildschirm entfalten. Schließlich werden in den Panels weniger Bewegungen eingefroren als Geschehnisse verdichtet. Deutlich wird dies etwa in Dialogsituationen, bei der die Sprechblasen zweier Figuren gleichzeitig zu sehen sind, auch wenn diese eigentlich sukzessive aufeinanderfolgen. Daher lassen sich die Einzelbilder in Comics auch nicht etwa mit denjenigen des analogen Filmstreifens gleichsetzen. Vielmehr changieren die einzelnen Panels zwischen Standbild und filmischer Einstellung und verbinden teils beides miteinander.

Nicht nur mit Spielfilmadaptionen haben wir es auch in den 1940er Jahren zu tun, aus denen das Zitat von Bolton stammt. So erscheinen ab den 1930er Jahren Filmserials zu Comic-Strips wie dem Science-Fiction-Abenteuer »Flash Gordon« oder den Kriminalgeschichten von »Dick Tracy«. Deren mit einem Cliffhanger endenden Episoden wurden typischerweise in Matineevorstellungen an aufeinanderfolgenden Wochenenden gezeigt und richteten sich insbesondere an Kinder und Jugendliche. Zu nennen ist in dieser Zeit ebenso die Vielzahl an animierten Kurzfilmen rund um den spinatliebenden Matrosen Popeye. Als Zeichentrickfilme adaptiert wurden in den darauffolgenden Jahrzehnten ebenso die Abenteuer von Asterix oder Lucky Luke. Und mit der Verfilmung seines Mangas »Astro Boy« Anfang der 1960er Jahre begründete Osamu Tezuka die Tradition des Anime im japanischen Fernsehen.

Als Initialzündung für die gegenwärtige Dominanz von Comic-Verfilmungen und insbesondere Superheldenfilmen im Bereich des Blockbuster-Kinos kann schließlich der kommerzielle und kritische Erfolg von »Superman« (1978) gelten. Dieser wartete nicht nur mit namhaften Schauspielern wie Marlon Brando und Gene Hackman auf, sondern schaffte es dank des Einsatzes ausgeklügelter Spezialeffekte, die Welt eines Superhelden glaubhaft auf die Leinwand zu bringen. Es dauerte dann allerdings noch ein paar Jahre bis zu Tim Burtons nicht weniger erfolgreichem »Batman« (1989), bis Hollywood Comic-Verfilmungen endgültig auf seine Agenda setzen sollte. So erscheinen in den 1990er Jahren gleich eine Fülle an Adaptionen. Dazu zählen drei Abenteuer der Teenage Mutant Ninja Turtles, die Science-Fiction-Komödie »Men in Black« (1997) und mit der modernen Vampirgeschichte »Blade« (1998) der Beginn einer Reihe ambitionierter Verfilmungen von Marvel Comics.

Möglich gemacht wird die anhaltende Blüte von Comic-Verfilmungen seit der Jahrtausendwende auch durch die Verwendung computergenerierter Spezialeffekte. Diese erlauben es Filmschaffenden etwa, einzelne Panels möglichst genau nachzustellen und den jeweiligen Comic als eine Art Storyboard zu verwenden wie im Falle der Spielfilmadaptionen zu »Sin City« (2005) oder »300« (2006). Das Ergebnis sind in beiden Fällen betont künstlich wirkende Welten, die Vorlage und Adaption, Comic und Film miteinander zu verschmelzen scheinen. Hervorzuheben sind in den 2000er Jahren daneben Beispiele, die nicht nur den Inhalt und das Aussehen, sondern auch formale Merkmale von Comics aufgreifen. So wird in »Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt« (2010) unter anderem in einer animierten Rückblende mit den Panels aus dem Comic vom Bryan Lee O’Malley gearbeitet. Diese erscheinen nach- und nebeneinander vor schwarzem Hintergrund und brechen dadurch mit der Darstellung des restlichen Films. Der finanzielle Misserfolg von »Scott Pilgrim« führte allerdings zu einer Abkehr von solchen Inszenierungsstrategien, die auf die Medialität von Comics aufmerksam machen.

Hinsichtlich der Adaption von Comics in Spielfilmen lassen sich heute daher insbesondere zwei Tendenzen beobachten: Zum einen die immer künstlicher aussehenden Superheldenfilme des Marvel Cinematic und DC Extended Universe, deren ausgiebiger Einsatz digitaler Spezialeffekte die Grenzen zwischen Spiel- und Animationsfilm zusehends verwischt. Zum anderen Produktionen, deren Ursprung durch eine besonders realistisch erscheinende Inszenierung in den Hintergrund rückt. Letzteres lässt sich sowohl in der Batman-Trilogie von Christopher Nolan als auch in Arthausfilmen wie »A History of Violence« (2005) oder »Blau ist eine warme Farbe« (2013) beobachten. Daher muss das Sprechen über Comic-Verfilmungen stets offen bleiben für die Vielzahl an Themen und Geschichten, die Comics bei Weitem nicht nur einem jugendlichen Publikum anzubieten haben.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.