Zu den Feierlichkeiten am israelischen Unabhängigkeitstag im Jahr 2017 lud Staatspräsident Reuven Rivlin das auf klassische arabische Musik spezialisierte Firqat-Alnoor-Orchester ein. Nicht nur der Veranstaltungsort, sondern auch der Zeitpunkt dieses Konzerts war denkwürdig, da an diesem Tag die Geburtsstunde des Staates Israel im Jahr 1948 gefeiert wird. Das Orchester wurde sieben Jahre vorher gegründet und besteht mittlerweile aus 25 Mitgliedern. Sein umfangreiches arabisches Repertoire umfasst ägyptische, irakische, marokkanische und libanesische Musik.
Das hätte sich die alte Garde jüdischer Musiker aus arabischen Ländern in den frühen 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts, als diese das erste arabische Orchester des Radiosenders »The Voice of Israel« unter der Leitung von Zuzu Musa gründeten, nie träumen lassen. Die meisten von ihnen waren in ihren Heimatländern berühmte Künstler und gehörten arabischen Orchestern an, die in Ländern wie Ägypten und im Irak eine große Fangemeinde hatten. In Israel waren sie jedoch für die Öffentlichkeit, die arabische Lieder mit der Sprache des Feindes verband, mehr oder minder irrelevant. Trotz allem war Arabisch die Sprache der 850.000 Juden, die aus arabischen Ländern eingewandert waren.
Seitdem hat die arabische Musik in Israel große Fortschritte gemacht. War sie Anfang der 1950er Jahre noch in den Untergrund verbannt, so steht sie heute dank des großen politischen und gesellschaftlichen Wandels im Land sowie des veränderten Geschmacks der Israelis im Rampenlicht und wird an berühmten Orten praktiziert, die früher ausschließlich Konzerten mit europäischer Musik vorbehalten waren. Als die Lieder der alten Garde mit den Immigranten aus arabischen Ländern ins Land kamen, befand sich Israel im Kriegszustand mit seinen arabischen Nachbarn. Arabische Musik und Kultur wurden daher zum damaligen Zeitpunkt mit dem Feind assoziiert. Zudem setzte sich Ben Gurion, der Gründervater des jüdischen Staats, für eine Politik des »Melting Pot« ein, um eine homogene, Hebräisch sprechende Gesellschaft zu schaffen.
Der israelische Dichter Eli Eliyahu beschreibt, wie sein aus dem Irak nach Israel eingewanderter Vater jedes Mal, wenn er mit seinem Auto durch die Stadt fuhr, auf eine hebräische Radiostation umschaltete, wenn ein Lied von Umm Kulthum, der ägyptischen Diva, gespielt wurde – aus Angst davor, dass andere die von ihm so geliebten arabischen Lieder hören würden. Er befand sich damals nach seinen Worten in einem Zustand der Befangenheit. Jenes Genre, das von bekannten arabischen Künstlern wie Abd Alwahab und Farid el Atrache aus Ägypten, Salima Murad aus dem Irak und Zohra Al Fassiya aus Marokko vertreten wurde, galt der vorwiegend aus Osteuropa stammenden jüdischen Elite der Aschkenasim als primitiv und als nicht hinreichend legitimiert. Für die Einwanderer aus arabischen Ländern war arabische Musik jedoch Teil ihrer Identität, die dank ihrer melancholischen Texte eine Art Katharsis bewirkte, nach der sie sich in Zeiten, in denen sie um ihr Überleben kämpften, sehnten.
Man kann zwischen zwei Arten arabischer Musik unterscheiden, die sich in den letzten 30 Jahren zusammen mit der von israelischen Arabern kreierten Musik im jüdischen Israel herauskristallisiert haben. Musiker, oft Nachfahren jüdischer Flüchtlinge aus arabischen Ländern, wollten ihren kulturellen Wurzeln treu bleiben und spielten klassische arabische Musik aus Ägypten, dem Irak, Marokko oder dem Jemen. Erfolgreiche Interpreten dieses Genres sind Künstler wie Yair Dalal, ein in Israel geborener Komponist und Sänger mit irakischen Eltern, sowie Zehava Ben, eine israelische Sängerin mit marokkanischen Wurzeln, die mit ihren Cover-Versionen von Umm-Kulthum-Liedern in den 1980er Jahren Fans in Gaza und Ägypten verzauberte.
Die zweite und dritte Generation von Juden aus arabischen Ländern versah die klassische arabische Musik mit Pop-, Jazz-, Blues- bzw. Rockmusik-Elementen, was bei den heutigen israelischen Zuhörern besser ankommt. Diesen Stil verkörpert Dudu Tassa, dessen Familie in zweiter Generation in Israel lebt. Er führte den irakischen Rock›n Roll ein – eine Verschmelzung der Musik seines Großvaters, einem der Al Kuwaiti Brothers, die bis 1950 als die Erfinder der modernen irakischen Musik im Irak galten. Tassa widmete sein drittes Album mit einer Neuauflage der Lieder und Melodien seines Großvaters und Großonkels den Al Kuwaiti Brothers. Das Album wurde ein Bestseller und seine Konzerte waren überall ausverkauft. Tassas neue Arrangements fanden bei Tausenden Irakern im Irak und im Ausland großen Anklang. Die erfolgreiche Überarbeitung der Musik seiner Vorfahren führte dazu, dass Tassa von der britischen Rockband Radiohead eingeladen wurde, auf ihrer ausverkauften USA-Tournee als Vorgruppe aufzutreten.
Laut Moshe Morad, der als Musikethnologe und Rundfunkjournalist für »Culture Radio Israel« arbeitet, begünstigt der kulturelle Reichtum der heutigen israelischen Gesellschaft einerseits sowie das Selbstverständnis der Israelis, die ihr Land nunmehr als Bestandteil des Nahen Ostens sehen, andererseits die Entwicklung unterschiedlicher, vom Original abweichender Stilrichtungen mit Pop-, Rock- und Hip-Hop-Elementen. Unzählige Gruppen, die arabische Musik machen oder sich von ihr inspirieren lassen, wurden in Israel gegründet und haben sowohl in der arabischen Welt als auch in anderen Ländern viele Fans. Ravid Kahalani, der jemenitische Wurzeln hat, ist ein Vertreter dieses Genres. Sein Stil wird von der Musik Nordafrikas, vom Blues sowie von den Songs amerikanischer Superstars wie Prince und Michael Jackson beeinflusst. Er hat mehrere Alben mit arabischen Titeln wie »Ma’ahla Asalam« mit Texten von Zion Golan herausgebracht.
Das von drei Schwestern gegründete jemenitische Trio A-WA ist ein weiteres Beispiel für diesen Trend. Ihr erstes 2016 veröffentlichtes Album mit jemenitischer Musik wurde quasi über Nacht zum Hit, nachdem Millionen das Video für den Song »Habib Galbi«, zu Deutsch: Liebe meines Herzens, angeklickt hatten. Die Musik des Trios basiert auf vielen traditionellen jemenitischen Liedern, die die Schwestern seit ihrer Kindheit zum Besten geben. Daneben verfassten sie neue Texte im jemenitisch-arabischen Dialekt. Die meisten dieser Musiker arbeiten häufig mit dem »The Jerusalem East and West Orchestra« unter der künstlerischen Leitung von Tom Cohen zusammen, in dem Araber und Juden gemeinsam Musik machen. Neta Elkayam, eine auch in Marokko populäre Sängerin aus Netiwot, einer sogenannten »Entwicklungsstadt« in Südisrael, in der die Menschen, das Essen, die Synagoge und die Musik überwiegend marokkanisch geprägt sind, arbeitet in ihrem neuen Projekt mit den Liedern marokkanischer Frauen, die deren Weg von Transitlagern nach Israel thematisieren.
Moshe Morad meint hierzu: »An den drei Musikprogrammen, die wöchentlich auf Radio Kan für israelische Zuhörer ausgestrahlt werden, sieht man, wie beliebt und erfolgreich die arabische Musik mittlerweile geworden ist. So entstehen Plattformen für neue Bands, wie beispielsweise Radio Baghdad, eine kleine, auf klassische irakische Musik spezialisierte Gruppe, die ihr erstes Album auf den Markt gebracht hat.« Zu diesen Künstlern gehört interessanterweise auch Johanna Riethmüller, eine deutsche Geigerin aus Hamburg, die sich in die arabische Musik verliebt hat. Sie spielt in vielen Bands und bevorzugt ägyptische, aber auch irakische Musik. Sie hat sich sogar eine irakische Joza, ein kleines Streichinstrument, das einer Kokosnuss ähnelt, gekauft und lernt nun beim irakischen Meister Mohammad Gomar per Skype Maqam, nachdem sie in Israel eine klassische Ausbildung in arabischer Musik absolviert hat. Sie sagt, sie habe sowohl von Arabern als auch von Juden viel gelernt, und dass Musik in ihrem Blut liege. In diesem Zusammenhang erwähnt sie den mit ihr verwandten Heinrich Riethmüller, der durch die Musik in der deutschen Fernsehsendung »Dalli Dalli« wie auch aufgrund seiner Filmmusik bekannt wurde.
Was ist der Grund dafür, dass sich die israelische Jugend von heute für arabische Musik begeistert? Zweifellos war ein Großteil der Jugendlichen in der Synagoge mit bedeutenden Interpreten von Taarab, ein traditioneller arabischer Musikstil, bei dem lange melodische Noten im Vordergrund stehen, in Berührung gekommen, nachdem Oberrabbiner Ovadja Josef die Vertonung religiöser Lieder mit diesen Melodien erlaubt hatte.
Ziv Yehezkel, ein israelischer Musiker und Sänger, der seit seinem 13. Lebensjahr Kantor ist, trat zunächst mit Pijjutim, liturgischen jüdischen Liedern, und danach mit klassischer Musik mit dem Israeli Andalusian Orchestra auf, das 2006 mit dem Israel-Preis für seinen Erfolg bei der Vermittlung des jüdischen Erbes an die israelische Bevölkerung ausgezeichnet wurde. Mit seiner Musik eroberte Yehezkel sowohl die Herzen der Araber in Israel und Palästina gleichermaßen. Auf Grundlage seiner Ausbildung in arabischer Musik kreiert und spielt er klassische arabische Musik.
Interessanterweise waren es die konservativen Synagogen, die für Musiker und Sänger zum Mittelpunkt wurden. Ariel Cohen, der Dirigent des Firqat Alnoor Orchestra, sagt, dass mindestens die Hälfte der in seinem Orchester tätigen Musiker die klassische arabische Musik in der Synagoge kennengelernt hätten und sie danach zu Hause hörten. Einige von ihnen unterrichten sogar arabische Musik an der Kunstschule Musrara, die an der grünen Linie zwischen Ost- und Westjerusalem steht, einem Ort, der für Palästinenser und Israelis gleichermaßen zu einem Treffpunkt der Zusammenarbeit geworden ist. Seit einiger Zeit spielen in der Gruppe Jamaat Tahrir sowohl jüdische als auch arabische Musiker mit.
Die arabische Musik in Israel hat sich nicht nur von der Last der Feindschaft zu den arabischen Ländern befreit, sondern sie spiegelt auch die Demokratisierung des öffentlichen Geschmacks wider. Diese hat die Direktoren von Musikprogrammen letztlich überzeugt, auch wenn die arabische Musik erst über Umwege Eingang in die israelische Musikszene fand!
Yuval Evri, Juniorprofessor für Nahoststudien und Judaistik an der Brandeis University im US-Bundesstaates Massachusetts, gibt sich optimistisch, was die Reichweite der Musik angeht. »Generationen junger Menschen in Europa haben durch den Kontakt mit der Musik amerikanischer und britischer Rockbands Englisch gelernt. Nun ergibt sich die Chance, dass sich junge Israelis in Zukunft aufgrund dieser aufkeimenden neuen Bewegung – wieder – für Arabisch interessieren.«
Aus dem Englischen übersetzt von Renate Lagler-Thompson.