Lange galten Paris, Mailand, Düsseldorf, New York oder Berlin als Mekka der Modewelt. Jede Saison präsentiert dort das »Who’s who« der Fashion-Industrie spektakuläre Winter- und Sommerkollektionen. Doch ihre Vormachtstellung in dieser Branche ist nicht mehr so eindeutig, denn mittlerweile gibt es wichtige Shows kreativer Modeschöpfer auch in anderen Städten und so ist für viele die »Tel Aviv Fashion Week« seit Längerem ein Pflichttermin. In den letzten Jahren haben sich etliche Designer aus Israel in der internationalen Schmuck- und Modebranche einen Namen gemacht. Die Bandbreite reicht von Haute Couture bis hin zu künstlerischem Design.
Konnte man Israelis früher an ihrer Kleidung und Schuhen erkennen, so hat sich seit Gründung Israels 1948 ein eigener Stil entwickelt. »In den Anfangsjahren war es die blaue und kakifarbene Arbeitskleidung, die den idealen sozialistischen Arbeiter kennzeichnete, so etwas wie Anti-Mode«, sagt Adina Gilboa. Die Wirtschaftspsychologin posierte als eines von zahlreichen Models im Juli 1969 bei der Kampagne »Big Fashion Manna Coming from Israel« für die Modezeitschrift Vogue. »Im Laufe der Jahre wurden bewusst ausländische Stile imitiert. Und beispielsweise das Modehaus Maskit kreierte mit einer Synthese aus Ost und West etwas Neues und schaffte etwas Israelisches.«
Sinnbildlich für den typischen Israeli im 20. Jahrhundert bis weit in die 1970er Jahre hinein, war der berühmte »Tembel-Hut«, auf Hebräisch: Kova Tembel. Vor allem mit der Gründung der Textilfabrik ATA durch den Industriellen Erich Moller im Jahre 1934 wurde er Teil der hebräischen Arbeiterkleidung. Das Unternehmen, das auch Unterwäsche und Uniformen produzierte, wurde im heutigen Kirjat Ata gegründet. Während des Zweiten Weltkriegs war er der größte Textillieferant der britischen Armee im Nahen Osten. Auch die Mode entwickelte sich vom Sozialismus hin zum Kapitalismus weiter.
Noch bevor radikale Veränderungen in der wirtschaftlichen und politischen Struktur Israels stattfanden, war die Mode ein Zeichen für die gesellschaftliche Spaltung des Landes: »Israels Arbeiter und Soldaten trugen ATA-Kleidung, ebenso wie Mitglieder von Jugendbewegungen, während das Bürgertum in Israel stilvolle Kleidung bevorzugte«, erklärt Gilboa. Nach mehreren Krisen schloss das Unternehmen 1984 seine Pforten. Erst 2011 feierte die Marke ein Comeback.
Seit dieser Ära hat sich in Israel in Sachen Mode viel getan. Zwar stieg der Warenimport durch Fast Fashion aus dem Ausland und dem florierenden Online-Markt gewaltig, doch altbekannte Marken wie »Gottex Bademoden« oder »Dorin Frankfurt« sind immer noch sehr gefragt. Mittlerweile gehören zahlreiche neue Designer zu dem besten, was der internationale Markt zu bieten hat.
»Ab Mitte der 1990er Jahre gab es viele Absolventen unserer Schule, die sich vor allem im Ausland einen Namen machten«, erzählt Yuli Tamir von der Shenkar Hochschule für Technik und Design. »Modeschöpfer wie Nili Lotan, die eine feste Größe in den Fashion-Shows in New York und Paris ist, gehören laut Vogue-Magazin schon lange zu den Geheimtipps, aber auch Inbal Dror und Alon Livné sind in den USA und Europa bekannt und ihre Kleidung wird von Prominenten wie Lady Gaga und sogar Meghan Markle getragen.«
Allgemein gilt die israelische Mode auch wetterbedingt als lässig und präsentiert dabei den Charakter des Landes, der in keiner Weise formal ist. So kommt die Abendgarderobe für die Frau – außer an ihrem Hochzeitstag – weniger zur Geltung, was dazu führt, dass die meisten Haute-Couture-Designer in Israel in erster Linie Brautkleider entwerfen.
»An Kreativität fehlt es nicht«, sagt Tamir. »Fertigte früher Rozi Ben Yosef Kleidung aus dem gleichen Stoff wie Handtücher an, verwendet heute Ilanit Neutra Reifen und Schläuche. Die Fashionexpertin erklärt, dass Firmen wie Palta moderne Outfits für Menschen mit Behinderung gestalten und dass auch die israelische Technologie die Modewelt entdeckt hat. »Während Start-ups wie Remeant Textilien aus Plastikmüll produzieren, stellen Designer wie Danit Peleg Kleidung mit 3D-Druckern her.«
Eine Marke, die weltweit in Concept Stores angeboten wird und bei Frauen unterschiedlichen Alters beliebt ist, ist »Let & Her«. Die Designer-Damentaschen werden von Laurence Beller aus Antwerpen und ihrer Partnerin Phyllis Sluszny aus Amsterdam geschaffen. In den letzten Jahren hat das belgisch-niederländische Duo den internationalen Markt erobert und ist auf allen großen Shows vertreten. »In Tel Aviv herrscht eine blühende Kreativität und diese Energie ist eine ansteckende Inspiration«, sagt Beller. »Wir dachten, dass in der israelischen Modebranche eine Mischung aus Eleganz und Coolness fehlen«, erzählt sie. »Eine schön gestylte Tasche lässt jede Frau gut aussehen und so wurde unser Label geboren.«
Mittlerweile wurde »Let & Her« in verschiedenen Modemagazinen präsentiert. So auch in der internationalen Frauenzeitschrift Elle. »Seitdem die Medien über uns berichten, wurde unsere Marke immer bekannter«, sagt Beller. »Das macht uns natürlich stolz.«
Einflüsse aus Orient und Okzident ergeben einen besonders kreativen Output, der sich in der israelischen Mode widerspiegelt. So ist es auch bei der Marke »Holyland«, die über politisches Statement, Lebensstil und Atmosphäre sowohl die religiöse Bedeutung Israels als auch die städtische Atmosphäre von Tel Aviv miteinander verbindet.
Selbst die Coronapandemie brachte das schöpferische Talent des Landes zum Vorschein. Während Nadav Rosenberg von »Northern Star« Gesichtsmasken für seine Kollektion anpasste, kreierte Maor Zabar eine Corona-Hutkollektion und Michal Mangisto von Akal entwarf ein weißes Hemd mit der Warnung »2 Meter Abstand«.
»Aktuelle Trends werden aufgegriffen und umgesetzt, alles passiert zügig und unmittelbar«, sagt Wirtschaftspsychologin Adina Gilboa. »Die Menschen in Israel sind aufgeschlossen für neue Materialien, Schnitte, Farben und Formen und daher wird alles auch viel schneller im Alltag getragen. Der Modestil aus der Pionierzeit hat sich weiterentwickelt.« Längst ist Tel Aviv zum Hotspot der internationalen kreativen Szene geworden. Das Ex-Model schmunzelt: »Wie Berlin, nur mit Strand«, so laute das selbst ausgerufene Motto der aufstrebenden Modestadt.