Der unscharfe, aber weitverbreitete Begriff Gartenkultur ist nicht nur in einem engeren philologischen Sinn problematisch. Er will die Vielfalt der mit Gärten verbundenen bzw. aus Gärten hervorgehenden kulturellen Umgangsformen und Praktiken unter ein Schlagwort subsumieren. Dabei muss zunächst konstatiert werden, dass bereits der Garten nur noch partiell Natur ist, nämlich kultivierte Natur und mithin ein kulturelles Produkt darstellt. Gärten sind auf der Ebene der Konzeption und Aneignung Elemente der Kultur unter Einschluss lebendiger Natur und deren Eigengesetzlichkeit. Jenseits dieses Widerspruchs bezieht sich Gartenkultur, es wird damit nicht einfacher, auf eine äußerst heterogene Gesamtheit an praktischen und theoretischen Perspektiven auf Gärten, Parks, partiell Landschaften und den Stadtraum. Die Bandbreite reicht von Botanik und Nutzgärtnerei über das literarische Genre der Bukolik oder Ziergärten bis hin zur Landschaftsarchitektur, zu Friedhöfen, Schrebergärten und Urban Gardening, ja bis zum Wintergarten oder zur niederländischen Tulpenindustrie. Gartenkultur schließt also auf Gärten bezogene, mit Gärten verbundene oder aus Gärten hervorgehende Produktions-, Gestaltungs- sowie Rezeptions- und Unterhaltungsformen ein.

Nicht unterschätzen sollte man, dass der Terminus Gartenkultur auch als ideologischer Kampfbegriff verwendet wurde, etwa in der Reformzeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg von dem Gartenarchitekten Leberecht Migge. Er betonte mit dem Begriff in seiner 1913 publizierten »Gartenkultur des 20. Jahrhunderts« die sozialen Dimensionen von Gärtnerei sowie Gartenkunst und hielt die Gartenpraxis der Ziergärtner mit ihrer Beschränkung auf ornamentale Aufgaben für dringend reformbedürftig. Zugleich forderte Migge eine Ergänzung der Städte um Parks sowie Nutzgärten für Arbeiterinnen und Arbeiter, um auf diese Weise Mangelernährung zu begegnen und die Entfremdung deklassierter urbaner Schichten von der Natur aufzuhalten. Migge instrumentalisierte den Begriff Gartenkultur sozialpolitisch, ein im Rückblick legitimer Partizipationsanspruch, der erfolgreich Wirkung entfaltete.

Migge ist ein früher Sonderfall, aber hinter dem von ihm popularisierten Terminus Gartenkultur verbirgt sich heute in der Regel die Behauptung, alles hänge mit allem zusammen, was nicht leicht zu widerlegen ist, aber am Ende auf die Bequemlichkeit hinausläuft, genauer zu differenzieren. Ich rate daher eher zur Vorsicht, wenn jemand den Begriff Gartenkultur verwendet, ohne ihn genauer zu definieren. Aber verlassen wir diese Ebene, vermutlich sind andere thematische Zuspitzungen und historische Ableitungen interessanter, wenn sie auch überraschen mögen. Verdeutlicht werden soll, was das Kompositum bereits anzeigt: Die jeweilige Semantik von Gartenkultur hängt vom Verständnis dessen ab, was jeweils Kultur umfasst.

Eine dezidiert kulturelle Prägekraft besitzen Gärten im weitesten Sinne auf den Feldern der Kunst, des Soziallebens, der Politik und auch der Religion. Als kulturelle Prägung könnte man das in Gärten vermittelte Bild der Natur betrachten, bestimmte kulturelle und soziale Praktiken, die in Gärten ihren Ausgang nahmen bzw. an Gärten gebunden waren und sind. Zu verweisen wäre exemplarisch auf die seit dem 17. Jahrhundert in der Welt des Adels, der Fürsten, aber auch des begüterten Bürgertums verbreitete Promenade als eine neue Kulturtechnik. Gärten und Parks werden zu diesem Zeitpunkt als Begegnungsorte mit der Natur in Szene gesetzt und auch so empfunden. Da zahlreiche Residenzgärten bereits seit dem 17. Jahrhundert Orte der Öffentlichkeit darstellten, mussten in ihnen Formen einer ständeübergreifenden Kommunikation eingeübt werden. Gärten wurden auf diese Weise Orte der Disziplinierung, eine soziale Praxis, die von der nichtständischen Bevölkerung verlangte, sich im Park wie Leute von Stand zu benehmen. Die letzten Vorrechte derer von Stand wurden an kaum einem anderen Ort besser zusammengefasst als in einer Gartenordnung im Großen Garten zu Herrenhausen aus dem Jahr 1777. Unter Punkt V heißt es: »(…) gemeinen Leuten wird jedoch bey leibes strafe verboten: (…) sich der bäncke beÿ der grossen Fontaine nur als dann zu bedienen wenn solche für Standes Personen oder vornehmen Fremde nicht nötig fallen.«

Der disziplinierende Effekt der Gartenöffentlichkeit trat zunehmend in Widerspruch zu dem aus der Natur abgeleiteten Gebot der Gleichheit. Auf diese Weise etablierten sich Gärten und Parks als eminente Orte bürgerlicher Partizipationsansprüche. Die Promenade verbürgerlichte sich zum Spaziergang, dem Karl Gottlob Schelle 1802 die Schrift »Die Spatziergänge oder die Kunst spatzieren zu gehen« widmete. Die Rede ist hier bereits von Touren durch die Natur – aus der adeligen Promenade entsteht die kulturelle Praxis des Wanderns. Die bürgerlichen Gleichheitsverheißungen wurden am 19. Juli 1812 von einem gewissen Ludwig van Beethoven besonders strapaziert, als er auf einem Spaziergang in Begleitung des nicht weniger illustren Johann Wolfgang von Goethe in Teplitz der entgegenkommenden Kaiserin den Weg nicht freigab. Nach Bettina Brentano erwiderte Beethoven auf Goethes Bitte, den Weg freizugeben, mit der Forderung: »Sie müssen uns Platz machen. Wir nicht!«

In Gärten nahmen kulturelle Praktiken ihren Ausgang, die in eine Unterhaltungskultur der Moderne mündeten. Erinnert sei an Ballspiele wie Paille-Maille, Croquet und Tennis, die auf Rasenflächen praktiziert wurden, die es nur in Parks gab, deren Entstehung die Enteignung von Klöstern im England des 16. und 17. Jahrhundert Vorschub leistete. Eine besondere Bedeutung besaßen Freiluftkonzerte und Freilufttheater. Zu verweisen wäre im 17. Jahrhundert auf die königlichen Feste Ludwigs XIV., auf denen Theaterstücke von Molière und Orchesterwerke von Jean-Baptiste Lully aufgeführt wurden. Die bürgerliche Version davon bildete das Konzertgeschehen in Vergnügungsparks, etwa Vauxhall Gardens in London. Dass man Georg Friedrich Händel hier 1738, zu Lebzeiten, ein lebensgroßes Denkmal errichtete, basiert darauf, dass seine Musik Tausende Londonerinnen und Londoner in den Sommermonaten in den Park lockte.

Am Beispiel der aus Gärten hervorgehenden Freizeitparks, sogenannteTivolis oder Vauxhalls, der Zooparks, die in fürstlichen Menagerien ihre Prototypen besitzen oder auch des heute weltweit verbreiteten Open-Air-Konzert-Entertainments kann man beobachten, wie sich einst gartenkulturelle Praktiken verselbständigt haben und zu einem Format der Massengesellschaft umgewidmet wurden.

Kulturelle Dimensionen eignen Gärten aber auch darin, dass sie ein beliebtes Objekt von Zuschreibungen und Codierungen darstellen. Entgegen der naheliegenden Vermutung, sie seien in Europa als biblisches Paradies inszeniert worden, dominierten heidnisch-arkadische Imaginationen, die literarische Vorlagen von antiken und modernen Autoren in Gärten verlebendigten. Von Theokrit über Vergil und Francesco Petrarca bis zu Georg Philipp Harsdörffer und Christoph Martin Wieland reicht der Bogen der Autoren, die Land- und Gartenleben poetisch idealisierten und damit Künstlern Ausstattungs- sowie Gartenbesuchern Erlebnisvorlagen an die Hand gaben. Fast schon müßig der Hinweis, dass aus dieser literarischen Konstellation die massenhafte bildhauerische Verlebendigung von Gärten und Parks erwuchs, die bis zu den heutigen Skulpturenparks reicht.

Die Praxis der Zuschreibung und Codierung in und von Gärten besteht aber auch in ihrer Eignung, miniaturisierte und symbolisch verdichtete Landschaften darzustellen bzw. in Szene zu setzen. In Gartenräumen ließen sich metaphorisch Territorien, ja Nationen bzw. deren Vorformen, imaginieren. Gerade in Gärten wurde erstaunlich früh vorgeblich Nationales zum Ausdruck gebracht. In Versailles besteht die Hauptfläche unmittelbar hinter dem Schloss seit 1682 aus zwei Bassins, auf deren Einfassungen die Hauptflüsse Frankreichs in Form von Personifikationen fläzen. Jeder und jedem erschloss sich dieses Arrangement als Bild Frankreichs. In Stowe Gardens nahe Oxford fand ein Monument der British Worthies Aufstellung, das aus Personendarstellungen der britischen Geschichte und Gegenwart besteht. In Schwetzingen verfügte Kurfürst Carl Theodor, den Schlosspark als Monument der Kurpfalz zu erhalten, und im New Yorker Central Park war es den Gestaltern um die Mitte des 19. Jahrhunderts wichtig, vorgeblich amerikanische Landschaften zu idealisieren. Noch heute vermittelt man in den sogenannten Gärten der Welt in Berlin-Marzahn das in der Frühneuzeit Europas erfundene Konzept nationaler Gartenstile und blendet dabei die heiklen politischen Intentionen aus, denen sich solche Modelle verdanken. Ungleich größer wäre der didaktische Wert solcher Freizeitstätten, würde man in ihnen die universelle Kultur von Gärten betonen und vermitteln. Schließlich gehören Gärten zu den schmeichelhaftesten Zeugnissen der Menschheit.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2023.