Wer gerne wissen möchte, welche Schäden der Wolf an Weidetieren in Sachsen anrichtet, erhält dazu auf einer einschlägigen Website detaillierte Angaben. Wer sich aber für notfallbedingte Schäden an Kulturgut in Deutschland interessiert, wird nirgendwo fündig. Aufsehenerregende Katastrophen in großen Einrichtungen wie der Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar 2004 oder der Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 werden zwar weithin erinnert. Was aber fehlt, ist eine Erfassung aller notfallbedingten Schäden, auch solcher in kleineren Einrichtungen. Das soll sich jetzt ändern: Blue Shield Deutschland e. V. (BSD) richtet jetzt den »Schadensmonitor Kulturgut Deutschland« ein. Angaben zu Schäden in Kulturgut bewahrenden Einrichtungen und an denkmalgeschützten Objekten können in einen Online-Fragebogen eintragen werden (blue-shield.de). Die Daten werden vertraulich behandelt, gesichert aufbewahrt und sollen der statistischen und wissenschaftlichen Auswertung dienen.

Der Schadensmonitor orientiert sich an dem Projekt »Mémoire des sinistres sur patrimoine culturel«, das vom französischen Nationalkomitee von Blue Shield vor vier Jahren ins Leben gerufen wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass in Frankreich durchschnittlich alle zehn Tage in einem Archiv, einer Bibliothek, einem Museum oder an einem Denkmal ein notfallbedingter Schaden eintritt.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Technisches Versagen, häufig die Primärursache für Brände oder Wasserschäden, zählt ebenso dazu wie – in zunehmendem Maße – durch den Klimawandel ausgelöste Ereignisse wie Überflutungen oder Erdrutsche. So stürzten beispielsweise im jüngst vergangenen Sommer Mauerteile der Burgruine Falkenstein bei Flintsbach im Landkreis Rosenheim ein, nachdem heftige Regenfälle den Boden aufgeweicht hatten. Eine weitere Kategorie bilden mutwillig oder fahrlässig herbeigeführte Beschädigungen, bedingt durch Vandalismus ebenso wie durch Vernachlässigung.

Neben Ursache und Verlauf soll auch das materielle Ausmaß solcher Schäden erfasst werden. Für die verheerende Hochwasserkatastrophe, die im Juli 2021 Landschaften im Westen Deutschlands, insbesondere das Ahrtal, heimgesucht und 190 Todesopfer gefordert hatte, ermittelte ein Bericht der Bundesregierung für Nordrhein-Westfalen einen Schaden von insgesamt 12,3 Milliarden Euro, wovon 61 Millionen kulturellen Einrichtungen und Archiven zugeordnet werden konnten. Für Rheinland-Pfalz wurde der Gesamtschaden auf 18 Milliarden Euro beziffert, Angaben zum Kulturgut waren hier allerdings mangels einschlägiger Daten nicht möglich. Häufig gehen Meldungen zum Schadensumfang auf Meldungen von Versicherern zurück. Ist Kulturgut der öffentlichen Hand allerdings nicht versichert, fehlen Angaben hierzu. Ersatzweise lässt sich der materielle Schaden dann beispielsweise nur aus Angaben in Anträgen zur finanziellen Förderung von Restaurierungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen ermitteln.

Vieles kann aber auch durch finanziellen Einsatz nicht mehr gerettet werden. Der ideelle Verlust, der durch die Zerstörung von Geschichts- und Kulturzeugnissen, identitätsstiftenden Objekten und Ensembles entsteht, ist nicht zu beziffern.

Die genaue Kenntnis über Umfang und Ursachen notfallbedingter Schäden sowie über die Interdependenz von Schadensausmaß und Prävention ist eine unabdingbare Voraussetzung für die zielgenaue Planung entsprechender Maßnahmen. Die Auswertung der erhobenen Daten soll künftig nicht nur Kulturgut bewahrenden Einrichtungen zur Verfügung stehen, sondern auch dazu dienen, übergeordneten Behörden oder parlamentarischen Gremien eine faktenbasierte Grundlage für Entscheidungen über Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz von Kulturgut in Krisen und Konflikten an die Hand zu geben.

Der Fragebogen des BSD-Schadensmonitors erfasst, wiewohl er schnell und unkompliziert ausgefüllt werden kann, eine Vielzahl von Angaben. Sie sollen nicht nur eine differenzierte statistische Auswertung ermöglichen, sondern auch Forschungsdaten für spätere Untersuchungen bieten. Zum Ausbau des Schadensmonitoring strebt Blue Shield Deutschland eine Vernetzung mit Fachverbänden, Notfallverbünden und einschlägigen Behörden an, die beispielsweise durch die Bereitstellung von Altdaten zur dauerhaften Sicherung und Auswertung des erhobenen Datenmaterials beitragen können.

»Protecting Heritage in Crisis« ist das Motto von Blue Shield (theblueshield.org). In diesem Sinne engagiert sich auch Blue Shield Deutschland für den Schutz von materiellem und immateriellem Kulturgut in Krisen und Konflikten, wozu die Umsetzung der Haager Konvention von 1954 ebenso gehört wie die Vorbereitung auf Notfallszenarien generell. Der Schadensmonitor soll hierbei helfen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2024.