Ludwig Greven spricht mit der Kulturmanagerin Eva Nieuweboer über das kreative Potenzial von Zwischennutzungen.
Ludwig Greven: In den Innenstädten stehen viele Geschäfte und Büros leer. Sie engagieren sich für die Zwischennutzung solcher Gebäude für Kunst und Kultur. Welche Vision verbinden Sie damit?
Eva Nieuweboer: Ich wünsche mir, dass Städte sehr gemischt genutzt werden und sie Stätten bieten, wo sich Jung und Alt, Arm und Reich und die verschiedenen Kulturen begegnen und nicht jeder in seiner Blase bleibt. Besonders gut kann das durch Kunst und Kultur gelingen, weil das immer Diskussionsstoff bietet. Ich erhoffe mir, dass Kulturinstitutionen, freischaffende Einzelkünstler und soziale Initiativen an diesen Dorfplätzen in den Innenstädten Angebote kreieren können, die so niedrigschwellig sind, dass sie Leute erreichen, die mit Kultur sonst wenig Berührung haben, und die Initiativen geringe finanzielle Hürden nehmen müssen, um solche Flächen zu bespielen.
Sie sind Kulturbeauftragte der Pandion AG, einem Immobilienentwickler, und zudem aktiv beim Verein Transiträume Berlin. Was machen Sie da jeweils konkret?
Bei Pandion gehöre ich in erster Linie zur Unternehmenskommunikation. Zu meinen Aufgaben zählt, bei Bauvorhaben frühzeitig das Umfeld zu analysieren: Welche Initiativen, Organisationen und Vereine gibt es dort? Wer sind die Meinungsbildner in der Nachbarschaft? Mit diesen Akteuren nehme ich im Vorfeld Kontakt auf, um sie einzubinden. Auf diese Weise erhalte ich schon früh ein Gespür dafür, was in den Kiezen vorhanden ist und wo Bedarf besteht.
Eine weitere Aufgabe ist die Zwischennutzung von Grundstücken. Wir erwerben oft Areale, auf denen ehemalige Gewerbegebäude stehen – Autohäuser, Bankverwaltungen, Werkstätten, Park- und Schrottplätze, die in ihrer bisherigen Form nicht mehr nutzbar sind. Viele dieser Orte mögen auf den ersten Blick wenig ansprechend wirken, bieten jedoch mit kreativer Gestaltung enormes Potenzial. Meine Aufgabe ist, diese Locations Initiativen und Künstlern anzubieten und im Dialog mit ihnen Konzepte zu entwickeln, wie sie diese Orte verwandeln können. Ich muss dabei auch darauf achten, dass alle sicherheitsrelevanten Vorgaben wie der Brandschutz eingehalten werden.
Welche Gebäude und Flächen eignen sich besonders für eine kulturelle Zwischennutzung?
Grundsätzlich eignen sich alle Gebäude von ganz klein geschnittenen Kämmerchen in einem Bankgebäude, die wir schon mal an Street-Artists vergeben haben, die jeden Raum individuell gestaltet haben, genauso wie eine 1.000 Quadratmeter große Werkstatthalle, wo es nur vier Wände gibt, ein Dach drüber und sonst nichts. Viel wichtiger ist für die Künstler die Infrastruktur. Gibt es da Strom, Wärme, Wasser, Toiletten? Wie sind die Zugänge, wie ist die Lage, wie gut ist es angebunden? Wenn man richtig Krach machen will als Musiker oder um Partys zu veranstalten, ist es gut in einem Gewerbegebiet zu sein.
Welche Künstler und Initiativen sprechen darauf an?
Das ist höchst unterschiedlich. Ich hatte schon Einzelkünstler, die alles alleine gemacht haben, bis zu einem Künstlerkollektiv von 170 Personen. Das kommt sehr auf die Größe des Gebäudes an. Auch die Dauer der Zwischennutzung spielt eine Rolle.
Bekommen die Künstler die Räume kostenlos, oder müssen sie etwas dafür zahlen?
Das hängt vom Inhaber ab. Pandion hat die Flächen Künstlerinitiativen bisher immer kostenlos zur Verfügung gestellt und auch die Nebenkosten getragen. Mieten nehmen wir nur, wenn ein starkes kommerzielles Interesse dahinter steht.
Wie ist der Zuspruch von Besuchern und Anwohnern?
Sehr groß. Die Leute sind neugierig, wenn etwas in ungewöhnlichen Locations stattfindet, zu denen sie sonst keinen Zutritt hätten. In Großstädten ist es allerdings kniffliger. Da findet so viel statt, dass man etwas dafür tun muss, damit die Leute nicht daran vorbeilaufen. Die Nachbarschaft soll es ja mitbekommen und daran partizipieren.
Wieso eigentlich nur Zwischennutzung? Weshalb werden solche Gebäude und Areale nicht dauerhaft Künstlern und Initiativen zur Verfügung gestellt?
Das wird kommen. Wenn man sich anschaut, wieviel Leerstand insgesamt an älteren Gewerbegebäuden und insbesondere an Warenhäusern entsteht, wird es da auch dauerhaftere Nutzungen geben. Ich denke nicht, dass die sich alle zu Wohnhäusern umbauen lassen. Das ist wahnsinnig aufwendig und oft wegen der Bauvorschriften gar nicht möglich.
Die Mieten und Immobilienpreise in den Innenstädten sind sehr hoch. Können kulturelle Nutzungen dort nur überleben, wenn sie öffentlich gefördert werden?
Nicht immer. Transiträume hat vor einem Jahr eine Zwischennutzung an eine Initiative in einer ehemaligen Primark-Filiale in Berlin-Steglitz mit mehreren Tausend Quadratmetern vermittelt. Die tragen sich finanziell selbst, weil sie dort eine Bar eröffnet haben und unter anderem Tanzveranstaltungen stattfinden. Oder sie vermieten Flächen für Corporate Events unter. Firmen springen oft auf, wenn sie sehen, da ist ein spannender, hipper Ort. So kann sich das quer subventionieren. Aber auf längere Sicht wird sich die öffentliche Hand beteiligen müssen, um das zu halten. Auch die Immobilieninhaber müssen Abstriche machen. Alle drei müssen zusammenkommen: die Städte, Inhaber und Nutzer. Sonst gehen die Innenstädte vor die Hunde. Sie ohne Kreative und soziale Initiativen zu retten wird wesentlich teurer.
Fördert das Provisorische der Nutzung eine besondere Form der Kunst und Kultur?
Viele Künstler schätzen das. Das erfordert allerdings einen bestimmten Typus. Es sind in der Regel sehr agile Menschen, die sich durch ungewöhnliche Umgebungen inspirieren lassen und mit der jeweiligen Geschichte des Ortes spielen.
Ihr Arbeitgeber Pandion vermark-tet die Flächen anschließend. Ist die Zwischennutzung für Kunst und Kultur nur ein Marketinginstrument?
Marketing ist es nicht. Unsere Kunden sind Großunternehmen, die ihre Entscheidung nicht deshalb treffen, weil wir in dem vorigen Gebäude eine Zwischennutzung hatten. Es dient eher dazu, unsere Unternehmensphilosophie zu transportieren: Wir treten dann nicht erst während der oftmals lauten Bauphase in Erscheinung, sondern sind schon vorher mit einer positiven Geschichte im Kiez präsent. Die Gegner von Immobilienprojekten werden wir damit nicht überzeugen. Aber manche Nachbarn und den einen oder anderen Mitarbeiter im Bauamt. In der Politik und im Berliner Senat wird es jedenfalls positiv wahrgenommen.
Vielen Dank.