Kulturbauten haben eine identitätsstiftende Bedeutung für die Gesellschaft. Viele von ihnen prägen seit Hunderten von Jahren Städte und Landschaften. Sie sind zum Teil noch immer in Gebrauch oder Betrieb, und so stellt sich die Frage: Sind Kulturbauten nicht per se nachhaltig durch ihre Langlebigkeit und den entsprechend geringen CO2-Fußabdruck?

Kulturbauten sind öffentliche Gebäude und Orte, an denen Kultur gezeigt, vermittelt oder gelehrt wird. Dabei finden sich vielerorts Beispiele großartiger und prägnanter Architektur: Von der Antike mit den Thermen, Aquädukten und Arenen der Römer, über das Mittelalter und seine einzigartigen Sakralbauten bis in die Neuzeit mit ihren eindrucksvollen Museen und Konzerthäusern. Standen ursprünglich Themen wie Urbarmachung, Erschließung und Kultivierung unbekannter Landschaften im Vordergrund, erweitert sich das Spektrum heutiger Kulturbauten um Freizeiteinrichtungen wie Kur- und Spaßbäder, Kinos bis hin zu TechnoClubs wie dem Berliner Berghain. Der Nachhaltigkeit historischer Kulturbauten, alle mit lokalen Materialien und Muskelkraft errichtet, und ihrer Langlebigkeit steht heute ein Nachhaltigkeitsbegriff gegenüber, der im Wesentlichen von technischer Effizienz und Budgets bestimmt wird. Diese Definition von Nachhaltigkeit ist ökonomischen Zwängen unterworfen; nicht selten sogar ausschließlich darauf fokussiert. Wir Architekten hingegen versuchen, den Begriff Nachhaltigkeit ganzheitlich und multiperspektivisch zu betrachten – im Kontext von Klimaschutz, Ökologie, Ökonomie, Soziokultur und unter Einbezug von Gestaltung. Diesen Anspruch verfolgt unser Büro 4a Architekten seit bald 35 Jahren. Unsere Expertise umfasst Neubauten ebenso wie Sanierungen von Bädern und Thermen, die als Kulturbauten Städte maßgeblich prägen können, wie es am Beispiel von Baden-Baden, Bad Ems oder Vichy zu sehen ist. Freizeit- und Sportanlagen übernehmen als Orte der Begegnung eine identitätsstiftende und kulturelle Funktion in der Gesellschaft: Hier treffen sich Menschen jeglicher Couleur, jeden Alters und aus allen Schichten. Bäder und Thermen sind im besten Sinne demokratisch. Sie dienen Sport, Gesundheit und Erholung und sind, ganzheitlich betrachtet, nachhaltig – wenn nicht allein ökonomische Aspekte wie der hohe Energieverbrauch im Vordergrund stehen.

Diese Betrachtungsweise von Nachhaltigkeit setzt voraus, dass Kulturbauten von ihren Besuchern auch langfristig angenommen werden. Basis dafür ist eine ästhetische und materialgerechte Gestaltung, die sich nicht an Moden orientiert, sondern vielmehr kulturelle Bezüge aus der Umgebung aufgreift. Dieser Gestaltungsansatz ist identitätsstiftend und gerade auch bei Sanierungen von großem Vorteil. Denn in den letzten Jahren hat sich das Verhältnis von Neubauten zu Sanierungen deutlich hin zur Sanierung von Bestandsgebäuden verschoben. Ein zentraler Aspekt, der bei Sanierungen zum Tragen kommt, ist die Wiedererkennbarkeit. Der Fokus bei der Sanierung des Mineralbads Berg in Stuttgart lag beispielweise darauf, Grundstruktur und Duktus der Anlage beizubehalten und charakteristische Bestandselemente nach der Restaurierung wieder zu integrieren. Dies führt zu einer Wiedererkennbarkeit und damit höheren Akzeptanz durch die Badegäste, wie die Besucherzahlen seit der Neueröffnung belegen. Auf starke Eingriffe und Raumerweiterungen wurde bewusst verzichtet, nicht alle Standards können denen eines Neubaus entsprechen. Grundsätzlich ist die Erhaltung vergleichbarer Gebäude durch entsprechende Pflege eine wesentliche, bisher vernachlässigte Aufgabe. Viele Bäder sind aufgrund mangelnder Pflege und schlechter baulicher Unterhaltung in einem so desolaten Zustand, dass ihr Abriss droht. Damit sie langfristig bestehen können, müssen Kulturbauten sich verändern und inhaltlichen sowie gesellschaftspolitischen Entwicklungen angepasst werden. Bei Bädern könnte das eine 24-Stunden- oder Mehrfachnutzung sein. Auch hybride Anlagen wie das Sport- und Erholungszentrum SEZ in Berlin-Friedrichshain, das allerdings abgerissen werden soll, könnten eine Lösung sein. Gleiches gilt für viele Kulturbauten wie z. B. das Amphitheater in Nîmes, ein imposantes, stadtprägendes Kulturdenkmal aus der Römerzeit. Es dient heute noch als klassische Vergnügungsstätte für den Stierkampf, wurde jedoch durch eine textile Überdachung in seiner Funktion erweitert, so dass hier kulturelle Veranstaltungen und Konzerte stattfinden können.

Neubauten im Kulturbereich unterliegen wie jedes andere Gebäude den geltenden Regeln und Richtlinien, also auch den gültigen Kriterien für nachhaltiges Bauen wie beispielsweise dem GEG-Gebäudeenergiegesetz 2024. Als Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) sind wir mit diesen Kriterien vertraut. Aktuell planen wir beispielsweise in Oppenheim das vermutlich erste Hallenbad in Europa, dessen Energieerzeugung auf Wasserstoff basiert und das nahezu komplett energieautark sein soll. Jedoch ersetzen innovative Konzepte nicht unseren hohen gestalterischen Anspruch an die Architektur eines Gebäudes und ebenso wenig die unerlässliche Pflege. Alles muss sinnvoll ineinandergreifen – ganz nach dem Prinzip von »cradle to cradle«: in ressourcenschonenden Entwicklungen, in geschlossenen Kreisläufen denken und handeln, wie es die Natur schon immer tut. Buckminster Fuller hat in seinem Buch »Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde« (»Operating Manual for Spaceship Earth« 1969) sinngemäß gesagt, wir könnten nur so viel Ressourcen verbrauchen, wie unser Planet zur Verfügung habe. Das trifft ebenso auf Kulturbauten zu, mag auch deren Anteil im Verhältnis zur Gesamtbaukultur so verschwindend gering sein, dass man im Grunde darüber hinwegsehen könnte. Vorausgesetzt man entfaltet das Thema Langlebigkeit, wie es Wim Wenders in seinem sehenswerten Film »Perfect Days« von 2023 erzählt, ausgerechnet über die Pflege und den Erhalt von Toilettengebäuden, oft übersehenen und vergessenen, aber dringend notwendigen Kulturbauten.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2024.