Schon in der Antike sind Theater oder Bibliotheken konstituierende Elemente der Polis. Seither ist Urbanität ohne Kulturbauten undenkbar. Sie sind als zentrale Funktionen fest im Planungs- und Raumordnungsrecht verankert. Dabei sind sie sowohl städtische Infrastrukturelemente, Ausdruck kultureller Identität als auch siedlungsprägend durch stadtbildprägende Bauwerke. Obwohl sie Infrastrukturen und Teil der Baukultur des Öffentlichen sind, ist das Vorhandensein von Kulturbauten und deren Betrieb eine freiwillige Aufgabe von Gemeinden und muss immer wieder neu im Rahmen der Stadtentwicklung ausgehandelt und politisch entschieden werden.
Zu Aktivposten der Stadtentwicklung wurden Kulturbauten endgültig seit den Siedlungserweiterungen der Industrialisierung. Der Pariser Oper (Palais Garnier, 1875, Charles Garnier) war neben ihrer Bedeutung als Kulturort mit eklektizistischer Architektur von Anfang an durch Hausmann auch die Rolle als Impulsgeberin für einen ganzen Stadtbezirk mit öffentlichen Räumen, Boulevards, Handel und Dienstleistungen zugewiesen. Paris ist ein gutes Beispiel dafür, wie dieses, im 19. Jahrhundert dem Städtebau und der Stadtbaukunst zuzurechnende Phänomen, im 20. Jahrhundert bei der Neuen Oper Paris, der Opéra Bastille (1989, Carlos Ott), zum Instrument der Stadtentwicklung wird und im 21. Jahrhundert, bei der zuletzt eröffneten Philharmonie de Paris von Jean Nouvel im 19. Arrondissement, zur aktiven strukturpolitischen Intervention in einem sozial schwachen Gebiet am nordöstlichen Stadtrand. Ab Ende der 1970er Jahre waren die postmodernen Museumsprojekte großer Städte sowohl Gegenstand der kulturellen Neupositionierung und Innenstadtkonsolidierung als auch Ergebnis eines stadtentwicklungspolitischen Interventionsansatzes. Das Museumsufer in Frankfurt am Main, die Staatsgalerie in Stuttgart, das Museumsquartier in Wien oder die Museumsmeile in Hamburg sind Beispiele dieser Bündelungsstrategien für ein neues kulturelles Profil der Stadt durch Kulturbauten. Jüngeres Beispiel dieser auf Außenprofilierung ausgerichteten Erneuerungsstrategie ist Marseille, das nach jahrzehntelangen Vorläufen der schrittweisen Transformation ehemaliger Hafenareale seinem Strukturwandel schließlich im Zusammenhang mit dem europäischen Kulturhauptstadtjahr 2013 gleich mit drei neuen Museen Ausdruck verlieh. Auch die Entwicklung der Hamburger HafenCity hatte seit ihrer Masterplanung im Jahr 2000 die Fokussierung auf eine Wahrzeichenarchitektur in prominenter Lage zum Ziel, die sich dann durch die Elbphilharmonie am Standort des Kaispeichers A im Zug der Entwicklung herauskristallisierte.
Nach der Welle der Museen werden städtische Entwicklungsimpulse durch Kulturbauten aktuell von Bibliotheken, Kulturzentren oder einer Reihe neuer, zum Teil noch in der Diskussion befindlicher Konzerthäuser getragen. Neue Kulturimmobilien sind damit an vielen Orten weit über ihre zentralörtliche Infrastrukturfunktion hinaus zu Trägern kultureller und baulicher Identität geworden und zu Instrumenten und Hoffnungsträgern von Stadtentwicklungspolitik.
Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept Karlsruhe 2020 formuliert fünf integrierte Leitvorhaben als Schwerpunkte künftiger Stadtpolitik. Neben der Technologiestadt oder der Umweltstadt ist das auch der Fokus Kulturstadt 2020, bei dem es unter anderem um die inhaltliche Neukonzeption und bauliche Weiterentwicklung der kulturellen Infrastruktur geht. Kulturbauten wie das Stadtmuseum/Prinz-Max-Palais, das Badische Staatstheater oder der neue Kulturort Alter Schlachthof stehen hierbei direkt im Fokus der Stadtentwicklung. Gerade die Transformation ehemaliger Industrieareale zu neuen Kulturorten wie Musikzentren oder Kulturfabriken gilt seit Jahren als zentraler Entwicklungsimpuls zur Unterstützung der Kreativ- und Kulturwirtschaft.
Die Tate-Modern in London, ein von Herzog & de Meuron umgebautes Kraftwerk und bewusster Entwicklungsimpuls für den vormals strukturschwachen Londoner Süden, hatte im Jahr nach ihrer Eröffnung 2001 bereits 5 Millionen Besucher. Ausschlaggebend war aber hier, wie bei vielen der weltweit in den letzten 30 Jahren realisierten ikonographischen Bauwerke, nicht allein die Qualität der Ausstellung, sondern vor allem das Raumkonzept und die Architektur.
Dieses, seit den 1990er Jahren als Bilbao-Effekt diskutierte Phänomen, Kulturbauten durch bewusst ikonografische Architektur einerseits zu Symbolträgern für eine neue kulturelle Identität, andererseits aber auch zu touristisch wirksamen Motoren des Strukturwandels von der Industrie- zur Dienstleistungsmetropole zu machen, war mit der Dependance des Guggenheim Museums in Bilbao 1997 erstmals erfolgreich. Dort, in Bilbao, war es übrigens nicht nur das Guggenheim Museum von Frank O. Gehry, sondern auch die von Norman Foster gestaltete neue Metrostrecke und die neue Brücke über den Nervión und der Flughafen von Santiago Calatrava: Projekte also, deren stadtentwicklungspolitischer Impuls bewusst in die Hände von sogenannten »Stararchitekten« gelegt wurde, um neben der erhofften, berührenden Emotionalität einer Zeichenarchitektur auch den »Promifaktor« zu gewährleisten.
Im Sinne einer Tendenz ist dies auch in anderen Städten Thema und in besonderer Weise in der 1938 gegründeten Stadt Wolfsburg als ein roter Faden der Stadtentwicklung zu erkennen: Vom Kulturhaus Alvar Aaltos von 1962 über das Städtische Theater von Hans Scharoun von 1973, das Kunstmuseum von Peter Schweger 1994 bis hin zum 2005 eröffneten Science Center Phaeno von Zaha Hadid ist einerseits die zunehmende, inzwischen oberzentrale Funktion der wachsenden und sich im Zentrum konsolidierenden Stadt erkennbar, andererseits aber auch ein weiter gefasster und sich zunehmend kommerzialisierender kultureller Nutzungszweck, dem Stararchitektur Ausdruck verschafft.
Kulturbauten machen hier eindeutig Stadt, aber umgekehrt kann auch gefragt werden, wieviel stadtentwicklungspolitische Verantwortung kann Kulturbauten zugemutet werden, ohne ihren eigenen Erfolg zu gefährden? Die Oper in Oslo der Architekten Snøhetta ist nicht nur ein genialer Entwurf, der einen öffentlichen Ort mit begehbarem Rampenplatz auf dem Gebäudedach für alle Bürger schafft, ähnlich der Sydney Oper oder der Terrasse der Hamburger Elbphilharmonie in 37 Metern Höhe, sondern sie ist auch ein Pionier für die Transformation eines Hafenareals. Stadtentwicklung trägt hier die Verantwortung, Kulturbauten als Pioniere nicht allein zu lassen, sondern sie verkehrlich und räumlich anzubinden und ihnen kontinuierlich ein städtisches Umfeld für ihre kulturelle Kernfunktion zu ermöglichen.
Gleichzeitig ist natürlich das Kulturgebäude als Impuls Aufwerter für sein Umfeld und steht in der aktuellen Stadtentwicklungsdiskussion deshalb auch im Verdacht, Verdrängungseffekte von angestammten Nutzungen oder Nutzenden zu bewirken. Damit die soziale, kulturelle und architektonische Verankerung in der Stadt gelingt, muss der Gefahr reiner Marketingeffekte mit autistischen Einzelgebäuden durch integrierte Stadtentwicklungsstrategien bewusst entgegengewirkt werden.
In Berlin ist dieser Versuchung, bewusst oder unbewusst, bei den vielfältigen Neubauaktivitäten seit der Wiedervereinigung widerstanden worden. Zwar sind neben der Sanierung von Kulturbauten im Bestand – allen voran auf der Museumsinsel – eine Reihe neuer Museen entstanden, unter anderem 2001 das Jüdische Museum von Daniel Libeskind oder 2003 der Erweiterungsbau des Deutschen Historischen Museums von I. M. Pei. Trotz einer für den direkten Standort prägnanten Architektur und Sonderstellung sind diese Kulturbauten aber ensemblebezogen und haben sich in den städtebaulichen Kontext eingefügt. Auch das in Bau befindliche Museum des 20. Jahrhunderts auf dem Kulturforum wird den Standort nicht überstrahlen, sondern muss sich in eine neu zu findende städtebauliche Ordnung, leider erst nachträglich, einfügen.
Stadtentwicklung wirkt entscheidend in der Konzeptionsphase neuer oder bei der Stabilisierung bestehender Kulturbauten mit. Baukultur selbst gründet sich in der Regel auf qualitätsvolle Prozesse. Die Rahmen- und Standortentwicklungsplanungen sowie die dahinterstehenden Prozesse für Kulturbauten bilden sich in keinem Lehrbuch über Stadtplanung ab, sondern müssen initiativ von Städten entwickelt und betrieben werden. Die überwiegende Anzahl der Kulturimmobilien sind Bestandsgebäude, deren dauerhafter Betrieb für sich und bezogen auf ihren Quartiersbezug ständig nachgesteuert und optimiert werden muss. Die Bundesstiftung Baukultur nennt diese Vorlaufprozesse zu realen Planungs- und Bauvorhaben die »Phase Null« und die Optimierung der Nutzung im Betrieb die »Phase Zehn«. Sie hat hierzu in einem halben Dutzend Baukulturberichten einen umfassenden Begründungszusammenhang dargestellt.
Kulturbauten sind für sich häufig Sonderfälle einer ambitionierten Architektur und Ingenieurbaukunst. Aus Sicht der Stadtentwicklung, aber auch der Baukultur geht es darum, einen möglichst großen Nutzen für die Stadt und ihrer gebauten Lebensräume mittels Kulturimmobilien als städtische Infrastruktur zu erzielen. Wenn dies gelingt, kann über die Ebene der Stadtentwicklung hinaus für Städtebau und Architektur eine Referenz geschaffen werden, die neben der kulturellen Identität auch eine architektonische und baukulturelle Referenz schafft, als Vorbild und Ansporn für das Niveau der Alltagsarchitektur der Stadt.