Mit den Kulturimmobilien von Theatern, Konzerthäusern und Museen ist ein jährliches Investitionsvolumen in Milliardenhöhe verbunden. Doch im Lebenszyklus einer Kulturimmobilie fallen nicht nur immense Kosten für die Planung und den Bau an, sondern die meisten Kosten sind mit dem Betrieb verbunden. Auf diesen ist jegliche Planung und deren Umsetzung auszurichten, da der Raum für die Qualität des Kulturerlebnisses von entscheidender Bedeutung ist.

In der Regel wird bei Planung und Bau bzw. Sanierung zunächst auf die Architekten und die Baukosten geschaut und vielfach allzu rasch ein Architektenwettbewerb in Gang gesetzt, bevor die entscheidende »Phase 0« bearbeitet wird, in der geklärt wird, warum und wozu das Gebäude gebaut oder saniert werden soll und wie der spätere Betrieb (optimiert) gestaltet werden kann. Daher geht es in diesem Beitrag darum, konsequent die »Nutzerperspektive« einzunehmen mit Blick auf die Entscheidungsstrukturen (Governance) und die Ausrichtung des Vorhabens auf den späteren Betrieb (Nutzerprojektsteuerung). Mit dem Begriff »Nutzer« sind hier die für den Betrieb und das Kulturangebot Verantwortlichen in den Theatern und Konzerthäusern gemeint, also sowohl die Leitung als auch sämtliche Teams, ob Ensemble, Dramaturgie, Technik oder Gastronomie oder Garderobenpersonal. Denn diese bespielen später jeden Tag und jede Nacht das Gebäude.

Es ist von höchster Relevanz, Bau bzw. Sanierung stets von der Nutzung und dem Gebäudebetrieb her zu denken. Wird das eine ohne das andere geplant, entstehen Folgekosten, die nur schwer zu begrenzen sind: Das Bau- bzw. Sanierungsvorhaben muss korrigiert und/oder der Betrieb kann nicht wie gewünscht realisiert werden. Deshalb muss schon die Planung in der sogenannten »Phase 0« des Vorhabens Trägerstrukturen und Organisationentwicklung, Standortfragen, Markenbildung oder Betriebskonzept mit einbeziehen. In jedem dieser Handlungsfelder spielen zahlreiche interne und externe Akteure eines Theaters oder Konzerthauses und die weiteren am Bau Beteiligten verschiedene Rollen, die sich auch im Verlauf der Realisierungsphasen verändern, da zu Beginn andere Fragestellungen stehen (z. B.: Was ist für das Gebäude notwendig, auf was kann verzichtet werden?) als etwa kurz vor Fertigstellung (z. B.: Was wird in Marketing und PR zur Eröffnung der neuen/sanierten Spielstätte kommuniziert?).

Unter Nutzern veranstaltet KULTUREXPERTEN seit Anfang 2022 zweimal im Monat ein Videoformat, das dem Austausch zum Thema »Kulturimmobilien planen, bauen und betreiben« dient. Aus den inzwischen mehr als 60 Vorträgen und Fachdiskussionen lässt sich eine Erkenntnis ableiten: Die Klärung der Governance und der Nutzerprojektsteuerung sind entscheidende Erfolgsfaktoren. Die leidvollen Erfahrungen mit Baustellen, die in Zeit und Budget mitunter vollständig aus dem Ruder gelaufen sind – wie etwa die Theatersanierung in Köln – zeigen umgekehrt, dass die Nachlässigkeiten oder gar Fehler auf eben diesen beiden Handlungsfeldern wesentliche Gründe für das jeweilige Desaster sind. Daraus ergeben sich die folgenden vier Leitfragen, die vor jedem Start unbedingt valide beantwortet werden sollten:

 

  • Wie werden die Entscheidungsstrukturen in allen Phasen so implementiert, dass stets ein tragfähiger Konsens unter sämtlichen am Bau Beteiligten, ob Politik, Verwaltung, Öffentlichkeit, Nutzer, Projektsteuerer, Architekten etc. Handlungsbasis ist?
  • Wie werden die Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen in den verschiedenen Phasen – z. B. Klärung in Phase 0, Wettbewerb und Vergaben, sodann die 9 Phasen der Honorarordnung für Architekten (HOAI) – jeweils den Erfordernissen angepasst, um fundierte und verlässliche, rasche und tragfähige Entscheidungen herbeizuführen?
  • Mit welchen Methoden und Instrumenten kann eine funktionierende Bau- und Nutzerprojektsteuerung eingerichtet werden?
  • Wie wird nicht nur der Raumbedarf, sondern vor allem auch der Handlungsbedarf für alle Beteiligten vollständig und auf eine Weise ermittelt, um stets den Überblick zu behalten und eine fortwährende Kontrolle und Justierung des Gesamtprozesses zu gewährleisten?

 

Handlungsfeld Governance

Wie die jeweiligen Akteursgruppen interagieren und wer verbindliche Entscheidungen fällen soll und kann, wird im Rahmen des Handlungsfeldes »Governance« reflektiert und verabredet. Ein Schwerpunkt liegt darin, wie der Bauherr Verantwortlichkeiten regelt, Entscheidungsprozesse und Gremienstrukturen gestaltet und wie Kommunikationsprozesse und -instrumente zur Generierung sowie zur Kommunikation von Entscheidungen etabliert werden. Es gibt indes eine Reihe weiterer für das Vorhaben entscheidender Akteure, die nach ihren jeweiligen Hauptfunktionen zu unterscheiden sind. Zu den bekanntesten Funktionen gehören folgende Gruppen:

 

  • Eigentümer/-innen
  • Bauherr
  • Gebäudenutzer/Gebäudebetreiber

 

Diese sind jeweils Auftraggeber für weitere unterschiedliche Akteursgruppen, so etwa Architekturbüros, Baufirmen oder Generalunternehmen, Projektsteuerung oder die an der Bauunterhaltung und dem Gebäudebetrieb mitwirkenden Organisationen (z. B. Facility Management etc.).

Im Zentrum des gesamten Governance-Konstrukts sollten jedoch die Nutzer von Kulturimmobilien stehen. Oft sind diese selbst auch in vollständigem Umfang die Betreiber des eigentlichen Bauwerkes (mit Hausmeisterdiensten, Facilitymanagement etc.). Doch können diese Funktionen auch auseinanderfallen oder aufgeteilt sein.

 

Qualitätsstandards entsprechend der Hauptfunktionen

Die Installation einer Nutzerprojektsteuerung, die alle Prozesse und Phasen mit den jeweils beteiligten Akteuren auf einer Zeitschiene umfasst, zielt darauf ab, als Betreiber und/oder Nutzer den Überblick nicht zu verlieren bzw. diesen überhaupt erst zu gewinnen. Die Steuerung der Prozesse auf Seiten der Nutzer hat eine klare Zielsetzung: die qualitätsvolle Arbeit der Kulturinstitution in der neuen Kulturimmobilie. Für die Steuerung ist es daher essenziell, Qualitätsstandards zu reflektieren und festzulegen, damit für alle Beteiligten deutlich ist, mit welchem Anspruch die Institution im neu-/umgebauten Objekt antreten will. Daher ist es erforderlich, Spartenspezifika und Zielsetzungen bzw. die kulturellen Aufträge der Nutzer der jeweiligen Kulturimmobilien genau zu ermitteln. Empfehlenswert ist es, die individuellen Bedarfe nach den fünf Hauptfunktionen einer jeden Kulturorganisation zu analysieren und zu reflektieren:

 

  • Leitung
  • Programm (z.B. Kuration, Dramaturgie)
  • Produktion (z.B. Technik, Veranstaltungsmanagement)
  • Kommunikation (z.B. Marketing, PR, Fundraising, Shop, Gastronomie)
  • Administration (z.B. Budget, Personal für den künftigen Gebäudebetrieb)

 

Folglich ergibt sich eine sogenannte Prozesslandschaft, die sich nach den genannten Hauptfunktionen gliedert. So ist es den einzelnen Fachbereichen bzw. Teams der Kulturorganisation möglich, ihre Belange und Bedarfe unmittelbar zu erkennen und in die Planung sowie die Vorbereitung des Kulturangebots im »neuen Gewand« einzubringen.

Um die konkreten Handlungsbedarfe in den jeweiligen Hauptfunktionen auch zum richtigen Zeitpunkt anzugehen und umzusetzen, ist es entscheidend, eine Zeitschiene anzulegen, um die einzelnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten anstehenden Handlungsbedarfe in den Hauptfunktionen zu visualisieren.

Der Zeitplan dient auch dazu, die Governance bzw. die in den jeweiligen Hauptfunktionen (und deren Kernprozessen) relevanten internen sowie externen Akteure zu identifizieren und rechtzeitig in die anstehenden Prozesse einzubinden. Die zehn wesentlichen Leitfragen zur Veranschaulichung und Systematisierung der spezifischen Herausforderungen entlang der Hauptphasen Planen, Bauen und Betreiben lauten:

 

Planen:

  • Phase 0 als das A und O: Gibt es genügend Zeit für Planung?
  • Wechselspiel von Architektur + Funktionalität: Wer weiß, was gewollt ist?
  • Realistisches Investitionsvolumen: Wie hoch sind die Betriebskosten?

 

Bauen:

  • Erfolgsfaktor Projektsteuerung: Wer steuert wen?
  • Governance des Projekts: Welche Akteure gestalten mit?
  • Parallele Prozesse: Umzug, Zwischennutzung etc.: Was passiert während der Bauzeit?

 

Betreiben:

  • Erfüllung des kulturellen Auftrags: Welche Wirkung soll erzielt werden?
  • Kulturbetrieb – Effekte erzielen: Wie werden die Inhalte generiert?
  • Gebäudebetrieb – Effizienz schaffen: Wie gestalten wir die (Produktions-)Prozesse?

 

Dabei kann es auch Überschneidungen geben: Beispielsweise ist die Erfüllung des kulturellen Auftrages ein allen fünf Hauptfunktionen übergeordnetes Ziel, dem sich alle Mitarbeitenden der betreffenden Kulturinstitution verschrieben haben sollten – gleichgültig ob Direktion, Dramaturgie, Marketing oder Technik.

In jedem Falle bilden diese grundsätzlichen Fragestellungen einen Grundstock dafür, die Handlungsbedarfe in den einzelnen Hauptfunktionen zum richtigen Zeitpunkt des Immobilienprojektes herauszuarbeiten.

Sehr wesentlich ist es, das Interim zu planen, was bei Theatern mit ihrem aufwändigen Spielbetrieb und ihren Ensembles (Chor, Orchester etc.) ungleich schwieriger ist als bei Konzerthäusern oder Museen. Das Interim erfordert die Findung eines geeigneten Standortes (zuletzt ein anschauliches Beispiel die Suche nach einem Interim für die Oper in Düsseldorf), zusätzlichen jährlichen Finanzaufwand (nach den Kölner Erfahrungen mindestens 10 Millionen Euro p. a. für die Ersatzspielstätten von Oper und Schauspiel) und meist auch eine weitere Gebäudeinvestition in zweistelliger Millionenhöhe. Als gelungene Beispiele genannt sei die Isarphilharmonie im HP 8 München als Ersatzspielstätte für den Gasteig und die Entscheidung zu dem Bau einer Spielstätte als Interim für die Oper in Nürnberg in der ehemaligen Kongresshalle. Demgegenüber wird in Stuttgart seit mehr als zehn Jahren nach einem Ersatzspielstandort für Oper und Schauspiel – noch ohne nennenswertes Ergebnis – gesucht (weitere Beispiele finden sich unter kulturimmobilie.de/pressespiegel).

Die zuvor herausgearbeiteten Handlungsbedarfe in den einzelnen spartenabhängigen und spartenunabhängigen Hauptfunktionen und bezogen auf das Interim sollten in einem zentralen, gemeinsamen Dokument als Handlungsbedarfe festgehalten werden. Die so entwickelte Handlungsmatrix wirkt wie ein Steuerpult: Sie stellt zu den jeweiligen Handlungsfeldern die Handlungsbedarfe, die (Qualitäts-)Standards und die Prozesse dar. In der Handlungsmatrix sollte auch eine explizite Maßnahmen- und Meilensteinplanung verbunden mit einer Personalbedarfs- und Budgetplanung enthalten sein.

 

Fazit

Die Nutzerprojektsteuerung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei Planung, Bau und Sanierung von Kulturimmobilien. Sie stellt sicher, dass die Interessen der für das Programm, die Produktion, die Kommunikation und die Administration einer Kulturorganisation verantwortlichen Akteure gemeinsam mit der Leitung in allen Phasen ihre Interessen, Wünsche und Ideen für den künftigen Betrieb der Kulturimmobilie einbringen können und rechtzeitig beteiligt werden. Die Nutzerprojektsteuerung sorgt vor allem auch dafür, dass auf der anderen Seite die Architektur- sowie Fachplanungsbüros und Bauunternehmen rechtzeitig die Nutzerwünsche (möglichst gebündelt) benannt bekommen. Auf diese Weise lassen sich Verzögerungen und kostspielige Umplanungen vermeiden. Zudem wird mit der Nutzerprojektsteuerung die Planung der Programmarbeit und der Kulturproduktion bei (Wieder-)Aufnahme des Betriebes einschließlich einer begleitenden und vorlaufenden Kommunikationsarbeit koordiniert. Schließlich umfasst die Nutzerprojektsteuerung auch die Erfassung des Handlungs-, Personal- und Finanzbedarfes. Dabei sind nicht nur die anfallenden zusätzlichen Sachkosten (z. B. für Umzüge, Einrichtungsgegenstände etc.) zu ermitteln, sondern auch der Finanzbedarf im Hinblick auf die Einschaltung von Rechtsanwälten, Beratern und Zulieferunternehmen etwa für Marketing,

Abschließend sei festgehalten: Kulturbauten sind Ausdruck der Identität einer Stadt oder Region. Sie prägen meist schon wegen ihrer (städte-)baulichen Prominenz maßgeblich das Stadtbild. Theater und Konzerthäuser haben hohe nationale und oft sogar internationale symbolische Strahlkraft, die stetiger Förderung und Entwicklung bedarf. Zugleich sind sie Stätten der Begegnung und der (Selbst-)Reflexion des Einzelnen in der Gesellschaft.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2024.

Literaturhinweis:

Scheytt, O.; Raskob, S.; Willems, G.: DIE KULTURIMMOBILIE. Planen – Bauen – Betreiben. Beispiele und Erfolgskonzepte, Edition Umbruch – Texte zur Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, transcript-Verlag, Bielefeld, 2016

Weitere Informationen online unter: kulturimmobilie.de