Die Menschheit hat so ihre Träume, vermutlich von Anfang an. Riesenhäuser bauen, Fliegen können, sich über Ozeane hin verständigen, sich die Arbeit von Maschinen abnehmen lassen, die Grenzen des eigenen Wahrnehmens und Denkens überschreiten … Was von diesen Träumen wird Wirklichkeit? Sehr einfach: alles, was sich wissenschaftlich berechnen und technisch machen lässt, alles, was einen ökonomischen oder sozialen Nutzen verspricht – einschließlich der Maschinen, mit denen man andere Menschen vernichten kann – und schließlich alles, was sich in irgendeiner Weise vorstellen, also in Begriffe, Erzählungen und Bilder übertragen lässt. Für Letzteres ist die Kunst im Allgemeinen und der Film ganz besonders zuständig. Im Kino können wir uns ein Bild von Dingen machen, die eigentlich über unseren Wahrnehmungshorizont hinausgehen. Beispielsweise: Künstliche Intelligenz, englisch: »artificial intelligence«. Das ist eine digitale Kraft, die nicht mit einem Paukenschlag und nicht mit einem starken Bild begann; sie hat sich vielmehr langsam und meistens unsichtbar in alle unsere Lebensbereiche hinein ausgebreitet. KI steckt in Interkontinentalraketen, Börsenkursen und in unserem Kühlschrank. Gerade beginnt sie damit, als ChatGTP literarische Fantasie zu entwickeln. Aber damit KI tatsächlich Teil unserer Wirklichkeit wird, müssen wir uns ein Bild machen; im Kino muss die unsichtbare Kraft KI wahrhaft Gestalt annehmen. Und das hat schon begonnen, bevor die Wissenschaft selbst an die Realisierung glaubte.
Im Kino kommt KI in drei Erscheinungsweisen vor. Erstens – am populärsten – in der Form von mehr oder weniger autonomen, mehr oder weniger menschenähnlichen technischen Einheiten, vom Roboter bis zum künstlichen Menschen, der von einem echten kaum noch zu unterscheiden ist. Da haben wir die verführerische Roboterfrau von Fritz Langs »Metropolis« (1927), die tragisch-rebellischen Replikanten aus »Blade Runner« (1982) bis hin zur Liebesgeschichte zwischen einem Mann und einem einfühlsamen Betriebssystem in Spike Jonzes »Her« (2013). Zweitens erscheint KI in der Form eines Supercomputers, der einen eigenen Willen und nicht selten einen eigenen Willen zur Macht entwickelt. Der berühmteste dieser mörderischen technischen Super-Intelligenzen ist natürlich »Hal« aus Stanley Kubricks 2001: »Odyssee im Weltraum« (1968). Gefährlicher noch waren das Mischwesen aus »Schach dem Roboter« (1976), die androide Maschine mit den menschlichen Genen, oder aber der Computer, der unbedingt mit einer Menschenfrau einen menschmaschinellen Nachkommen zeugen will in Donald Cammells »Demon Seed – Des Teufels Saat« (1977). Und drittens als allumfassendes System, das dem Menschen jede Entscheidung abnimmt und ihn womöglich in eine Simulation wie eine Matrix aus der gleichnamigen Filmserie der Wachowskis (beginnend 1999) oder zuvor eine »Welt am Draht« in Rainer Werner Fassbinders Fernseh-Zweiteiler (1964) versetzt. Schwer zu sagen, was unheimlicher ist, jedenfalls erzählt das Kino eher selten von einer nützlichen und harmonischen Beziehung zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Zumeist geht es um Konflikte, um Missbrauch, wenn nicht gar um einen drohenden letzten Krieg zwischen Mensch und Maschine wie in der »Terminator«-Serie – seit dem denkwürdigen Jahr 1984.
Im Kino geht es also weniger um die realen Möglichkeiten der KI und schon gar nicht darum, was man in einem streng wissenschaftlichen Sinne eigentlich darunter verstehen könnte. Es geht vor allem um die Angst, die Menschen vor Künstlicher Intelligenz haben. Und das geschieht in einem höchst eigenen Paradoxon: Die Angstbilder der KI werden mithilfe von audiovisuellen Systemen hergestellt, in denen selber schon mehr KI steckt als anderswo. Und noch paradoxer: Gerade die Bilder von vor- und antimodernen Paradiesen, zwischen Disney-Märchen und »Avatar«, sind ohne massiven Einsatz von KI-System »glaubhaft« nicht mehr herzustellen. 2016 hat der Filmemacher Oscar Sharp zusammen mit dem Informatiker Ross Goodwin eine KI mit dem Namen »Jetson« entwickelt – um die Legende zu vollenden: Das lernende Programm taufte sich später selbst in »Benjamin« um –, die eine große Anzahl von Drehbüchern zu Science-Fiction-Filmen verarbeitete, um einen weiteren Film des Genres vorzuschlagen.
Die größte Tradition und die größte Vielfalt im Film haben wohl die denkenden, autonomen und auf irgendeine Art menschlichen Maschinenwesen, die vorwiegend wiederum in drei Formen vorkommen: als verführerisch-verräterische Wesen wie die Roboterfrau in »Metropolis«, als freundliche und leicht komische Begleiter wie die Roboter R2-D2 und C-3PO, unzertrennlich wie Laurel und Hardy in den »Star Wars«-Filmen.
Das Problem ist nicht die Technik selbst, das Problem ist, um einen Gedanken von Stanisław Lem fortzuspinnen, dass die Menschheit technisch fortgeschrittener ist als sozial, dass sie sozial fortgeschrittener ist als kulturell, und dass sie kulturell immer noch fortgeschrittener ist als moralisch.
Selbst wenn sie »böse« geboren ist, wie in »Terminator«, oder das wissbegierige Maschinenwesen ist, das, anstatt seine Aufgabe als Superwaffe zu erfüllen, sich nach Input und menschlicher Nähe sehnt, wie »Nummer 5 lebt!«, kann der Künstlichen Intelligenz doch die Läuterung gelingen. Stärke und Schwäche zugleich dieser KI als Subjekt ist seine Treue zu einer einmal übernommenen Aufgabe, so wie »WALL-E« nicht aufhören kann, den von Menschen zugemüllten Planeten aufzuräumen, obwohl hier gar niemand mehr lebt. Andere Formen wie das Pinocchio-Roboterkind in Steven Spielbergs »A.I.« sind zum Guten geboren und müssen dafür leiden, und in einer der »Star Trek«-(Raumschiff-Enterprise)-Folgeserien spielt der intelligente Androide eine Hauptrolle, der stets darunter leidet, nicht als »wirklicher Mensch« anerkannt zu werden, obwohl sein Bewusstsein ihm genau dies suggeriert. Und auch generell lässt sich wohl feststellen, dass es die Subjekt-KI auch im Film leichter hat, akzeptiert zu werden, als die System-KI. In einer davon abgeleiteten Begrifflichkeit lässt sich von »Körper-KI« und von »Hyper-KI« sprechen.
Aber die Grenzen sind durchaus unscharf; »Hal« in Stanley Kubricks »2001« hat keinen Körper, aber er scheint doch sehr viele Züge eines Subjekts zu haben, was mit gewissen Abstrichen auch für M.U.T.H.R. in »Alien« (1979) gilt. Schließlich, dies ist offenbar ein entscheidendes Kriterium, haben die Künstlichen Intelligenzen Namen, auch wenn sie kryptisch sind oder aus dem Abkürzungsjargon stammen: V.I.K.I. in Alex Proyas’ »I, Robot« (2004) oder Samantha in »Her«, selbst die Betriebssoftware eines Smartphones ist nicht davor gefeit, den Übersprung in die Gefühlswelt des Menschen vorzunehmen, während es in den »Terminator«-Filmen nur noch um ein »Skynet« genanntes Supersystem gehen kann, das auf Subjekt-KI wie nun eben die Terminatoren zurückgreift, um seine Weltordnung zu realisieren. Die Maschine, die ein Ich werden will, steht also gegen die Hyper-Maschine, die eine Welt werden will. Von beidem muss sich der menschliche Protagonist der Katastrophenfantasie bedroht fühlen, doch auf eine entgegengesetzte Weise, einmal um die Vertreibung durch die neue Konkurrenz und einmal durch die Einschließung durch die neue Kontrolle. Das KI-Wesen in vielen Science-Fiction-/Horrorfilmen hat indes, wie die Monster vordem, seinen großen »Fehler« schon durch die Art, wie es entstanden ist, und durch das Ziel, das ihm gegeben ist, in sich. Eine intelligente Tötungsmaschine kann sich nur durch das Opfer erlösen, ein »Sexroboter« nur durch die Liebe, ein Arbeitssklave, wie die Replikanten in »Blade Runner«, nur durch die Revolte, eine Imitation wie in »A.I.« nur durch Einzigartigkeit usw. Weil die Maschinen menschliche Entwicklungsprozesse durchlaufen müssen – subjektive wie soziale –, fungieren sie vielleicht nicht nur im Film stets auch als Metaphern. Ihre »Nichtmenschlichkeit« bildet immer das Unmenschliche in Menschen und Gesellschaften ab, und ihre Sehnsucht nach Menschlichkeit entspricht dem Hoffen ihrer Adressaten: Da sie in aller Regel »kapitalistische« Geschöpfe sind, entfalten sie einen Kampf gegen die Entfremdung, auch wenn sie diese dabei gleichsam zunächst auf die Spitze treiben müssen; es sind geborene »Akzellerationisten«. Die KI-Wesen müssen also, um ihr Werk der Selbstwerdung zu vollenden, den Menschen spalten: Immer wieder wird der ursprüngliche »Schöpfer« zum wahren Feind – wie in »Blade Runner« oder in »Ex Machina«, und ein Mensch, der ihm entfernt ist, wird zum Komplizen. Es ist eine Art des postödipalen Dramas: Das Geschöpf muss seinen Schöpfer zumindest moralisch vernichten – das war schon der Impuls von Frankensteins Ungeheuer –, um wirklich leben zu können. Und die KI sagt nicht nur Ich, wie in »I, Robot«, sondern auch »I Am Mother« (2019), wo die Maschine ganz buchstäblich in die Rolle der Mutter für das Menschenkind schlüpft. In dieser erstaunlich hartnäckig wiederkehrenden Fantasie, die sich wie in »I, Robot« auch gegen eine Institution statt eines Subjektes richten kann, spiegelt sich die maskierte Religiosität des Motivs. Der Mensch, der »Gott spielen« will, erzeugt automatisch den zweiten Menschen, der wiederum gegen seinen Schöpfer revoltiert oder immerhin gegen seine Schöpfungslegende, bis schließlich die Maschine wieder zum Schöpfer der Menschen wird. Im Kino gibt es KI-Wesen, die man am liebsten umarmen möchte und sie trösten wegen der Entfremdung, die sie durch den Menschen erfahren haben, wie den Maschinenjungen aus »A.I.«, der eine wahre Ewigkeit nur nach der Liebe einer Menschenmutter sucht, und es gibt KI die nichts anderes als die Hölle auf Erden sein kann, wie die »Matrix«, die dem Menschen noch das Letzte nimmt, was ihm geblieben ist, die Körper-Seele-Einheit seiner Existenz. In jedem Fall beginnt da eine große neue Erzählung zu Konflikt und Koexistenz zwischen dem Menschen und seiner Parallelschöpfung. Ohne sie bleibt KI »unvorstellbar«; mit diesen Fantasien wird von ihr allerdings eines nie erwartet: die Banalität.