Die IFLA, International Federation of Library Associations and Institutions, ist der Dachverband von rund 150 nationalen Bibliotheksverbänden und hat darüber hinaus mehr als 1.500 Bibliotheken als Mitglieder. Damit vertritt die IFLA das globale Bibliotheksfeld im internationalen Kontext. Das Motto »IFLA – the Global Voice of Libraries« zeigt den Anspruch, den die IFLA erhebt, die Stimme der Bibliotheken zu sein, wenn es um deren Repräsentanz, aber auch um deren Stellenwert im globalen Geschehen geht.
Wie hat sich also diese »Globale Stimme der Bibliotheken« zu der russischen Invasion positioniert? Welchen Herausforderungen musste und muss sich unsere Föderation stellen?
Diese Fragen kann ich nicht beantworten, ohne vorher auf die Ziele, die Struktur und die Governance unseres Verbandes einzugehen. Denn, wie bereits gesagt, die IFLA ist ein Weltverband mit Mitgliedern aus allen Kontinenten, politischen Systemen und auch Bibliothekstypen, von den großen Nationalbibliotheken bis zu den Stadtbibliotheken auf lokaler Ebene.
Einer der wesentlichsten Grundwerte, zu denen sich die IFLA als professionelle Nichtregierungsorganisation verpflichtet hat, ist »die Befürwortung des Grundsatzes des freien Zugangs zu Informationen, zu Ideen und Werken der Imagination und des Grundsatzes der Meinungsfreiheit, die in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind.« Das oberste Entscheidungsgremium der IFLA ist das Governing Board, der Vorstand, dem ich als Präsidentin vorsitze. In diesem Governing Board sind elf gewählte oder »geborene« Mitglieder aus vier Kontinenten: Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika. Die Beschlüsse dieses Gremiums sind die Basis für die Handlungsoptionen des Verbandes.
Wenige Tage nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, am 1. März, veröffentlichte die IFLA auf ihrer Website folgendes Statement: »Die IFLA steht in Solidarität mit unseren Kollegen in der Ukraine – verurteilt alle gewalttätigen Aktionen und schließt sich der internationalen Gemeinschaft in ihren Erklärungen zur Situation an. In Verbindung mit dem Protest der internationalen Bibliotheksgemeinschaft appelliert die IFLA dringend an die Bibliotheken auf der ganzen Welt, sich für die Verbreitung genauer Informationen über den Konflikt als Mittel zur Unterstützung von Demokratie und Meinungsfreiheit zu mobilisieren. Die IFLA fordert die Bibliotheken auch auf, alle ukrainischen Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zu unterstützen. Wir sollten bereit sein, praktische Lösungen zu finden, und bereit sein, den Ukrainern bei Bedarf Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen.«
Dieses Statement spiegelte nicht im selben Umfang und in derselben Aussage die entsprechenden Verlautbarungen vieler nationaler Bibliotheksverbände und einiger weniger internationaler Verbände des Kulturbereiches. Schon gar nicht folgte es den Forderungen, die nicht nur der ukrainische Bibliotheksverband, sondern auch andere Partnerverbände erhoben hatten, nämlich, die russischen IFLAMitglieder wenn nicht vollständig auszuschließen, so doch die Mitgliedschaften ruhen zu lassen. Der ukrainische Verband wiederholte seine Forderung nach Ausschluss ausdrücklich, einige andere Verbände, so auch der Deutsche Bibliotheksverband, insistierten auf einer Aussetzung der Mitgliedschaft bzw. der vollständigen Einstellung aller professioneller Aktivitäten. Dies hätte z. B. auch ein Verbot der Teilnahme von Menschen aus Russland an unserem Weltkongress im Juli zur Folge gehabt, ebenso auch die Aussetzung der Aktivitäten der russischen Mitglieder unserer über 50 Facharbeitsgruppen.
Vor diesem Hintergrund war es notwendig, dass die IFLA dieses Thema noch einmal intensiv bearbeiten musste. Gewichtige Argumente, die in diesem Zusammenhang vorgebracht wurden, war die Frage von nichteuropäischen Vorstandmitgliedern, warum nun im Kontext Europa zum ersten Mal über den Ausschluss von IFLA-Mitgliedern gesprochen wurde, obwohl es in anderen Teilen der Welt bereits seit Jahren und Jahrzehnten Kriege oder kriegsähnliche menschenverachtende Aggressionen gibt, die noch nie zu einer derartigen Diskussion geführt hätten. Hier kam sogar das Wort »Eurozentrismus« auf. Schließlich sind gut 40 Prozent der IFLA-Mitglieder aus Europa. Und tatsächlich hatte IFLA außer von den USA und Mitgliedern des Commonwealth so gut wie keine außereuropäischen Aufforderungen erhalten, die russischen Mitglieder zu sanktionieren.
In seiner letzten Sitzung hat sich nun der IFLA-Vorstand zur Publikation einer neuen, umfassenderen Stellungnahme entschieden, die vor allem die Aggression verurteilt, den Schutz der Kulturgüter einfordert und zur Unterstützung für die ukrainischen Kolleginnen und Kollegen aufruft.
Mein Fazit: Ein Weltverband hat kaum eine andere Option, als sich aus einer globalen Perspektive zu positionieren.