Private Medien berichten nach wie vor vor Ort aus der Ukraine sowie auch aus Russland. Claus Grewenig beantwortet Politik & Kultur erste Fragen zur Lage.

Wie beurteilen Sie die Verschärfung des russischen Mediengesetzes? Wie kann jetzt für den Schutz der Pressefreiheit gesorgt werden?

Die Verschärfung des russischen Mediengesetzes ist eine äußerst bedenkliche Entwicklung und gibt Anlass zu großer Sorge. Unbestimmte Rechtsbegriffe eröffnen bei der Anwendung des Gesetzes breiten Raum und erschweren schon aufgrund der erheblichen Strafandrohungen – etwa für die Verbreitung von »Falschnachrichten« – die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten erheblich. Ein »Schutz von Presse- und Rundfunkfreiheit« in unserem freiheitlichen Verständnis ist daher leider illusorisch. Bis auf Weiteres wird man daher alle Chancen und verbliebenen Kanäle nutzen müssen, um aus Russland und über die Situation im Land zu berichten. Dies vor allem auch, um den im Umfeld des aktuellen Krieges verbreiteten Fake News fundierte und verlässliche Einordnungen entgegenzusetzen. Ein Journalismus mit diesem Anspruch ist das gesellschaftliche Rückgrat gegen Desinformation. Nicht zu vergessen ist bei alledem der Mut derjenigen, die gegen das Gesetz und das Regime trotz drakonischer Maßnahmen auf die Straße gehen, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen.

Wie ist die aktuelle Situation für private Rundfunk- und Tele­medienunternehmen in Russland und der Ukraine?

Natürlich ist sie sehr herausfordernd und schwankt mit der jeweils aktuellen Gefahrenlage. Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten der privaten Rundfunk- und Presseunternehmen wie z. B. WELT, BILD oder RTL sind in der Ukraine und auch in Russland mit Reportern und Teams durchgehend vor Ort vertreten. Programme und die Berichterstattung beispielsweise unseres Hauses wurden sofort umgestellt und durch eine Vielzahl an Sondersendungen und Live-Schalten der aktuellen Situation angepasst. Dabei hat die Sicherheit der jeweils für die Unternehmen Tätigen in der Ukraine wie in Russland oberste Priorität und es ist klar, dass die Berichterstattung in Russland auch vor dem Hintergrund des neuen Mediengesetzes mit Bedacht erfolgen muss. Aber nur die Vor-Ort-Präsenz ermöglicht wichtige eigene, unmittelbare Anschauungen und einen ungefilterten Blick auf die gesellschaftliche Realität. Das ist in Zeiten systematisch betriebener Desinformation wichtiger denn je und schlägt sich entsprechend in der hohen Qualität der Berichterstattung der Privaten nieder. Darüber hinaus haben die Medienunternehmen vielfältige Initiativen gestartet, um für die Betroffenen der kriegerischen Auseinandersetzungen Hilfe und Unterstützung zu organisieren.

Wie schätzen Sie die Berichterstattung privater Medien aus Russland zukünftig ein?

Dazu ist eine verlässliche Prognose schwierig. Eine Beurteilung der Lage erfolgt täglich auf Grundlage der jeweiligen Entwicklungen und eng abgestimmt mit den vor Ort für die Privaten vor und hinter der Kamera Tätigen. Es ist eine fortlaufende Abwägung zwischen ihrer individuellen Sicherheit bzw. der Zumutbarkeit dieser Aufgabe sowie dem journalistischen Anspruch der dort vertretenen privaten Medienhäuser, möglichst selbst vor Ort zu recherchieren und fundierte und verlässliche Informationen aus erster Hand aus diesen Gebieten zu liefern. Solange es vertretbar und verantwortbar ist, werden die Reporterinnen und Reporter ihre Einschätzungen auch unmittelbar liefern. Zudem ergänzen wir dies mit dem Blick und der Einordnung der hiesigen Redaktionen – oder erweitern die Berichterstattung über die Ukraine um eine weitere Perspektive mit dem Einsatz von geflüchteten ukrainischen Journalistinnen und Journalisten.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2022.