Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich auch zu einer existenziellen Bedrohung für die Pressefreiheit entwickelt. In der Ukraine ist die Berichterstattung zum Teil lebensgefährlich, Russland droht aufgrund drakonischer Zensurgesetze zu einem medialen schwarzen Loch zu werden. Um auf diese Bedrohungen zu reagieren, arbeitet Reporter ohne Grenzen auf mehreren Ebenen: Wir helfen vor Ort in der Ukraine, unterstützen bei der Ausreise und dem Schutz von russischen Medienschaffenden, kämpfen für den freien Zugang zu Informationen in Russland und unterstützen langfristig beim Aufbau von Exilmedien.

Der Krieg hat dramatische Auswirkungen auf die Pressefreiheit in der Ukraine. Die Situation von Journalistinnen und Reportern, die vor Ort über den Krieg berichten, ist lebensgefährlich. Bis zur Drucklegung dieses Artikels wurden sechs Medienschaffende getötet und etwa 30 verletzt. Immer mehr Journalistinnen und Reporter, aber auch mediale Infrastruktur wie Sendeantennen werden zu Zielen. Weil es sich bei bewussten Angriffen auf die Medien um Kriegsverbrechen handelt, haben wir vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) bereits zwei Strafanzeigen gegen Russland eingereicht.

Um Berichterstattende vor Ort zu unterstützen, haben wir wenige Tage nach Kriegsbeginn gemeinsam mit unserer ukrainischen Partnerorganisation, dem Institut für Masseninformation (IMI), ein Zentrum für Pressefreiheit im westukrainischen Lwiw eröffnet. Es dient als Anlaufstelle für alle, die finanzielle oder psychologische Unterstützung suchen, vor allem aber können sich Kriegsberichterstattende dort Schutzausrüstung wie kugelsichere Westen oder Helme ausleihen. Die Nachfrage ist hoch.

Der Krieg hat auch dramatische Auswirkungen auf die Medienlandschaft in Russland. Schon in den Jahren zuvor war die Repression gegenüber unabhängigen Medien massiv. Seit dem vergangenen Jahr hat der Kreml sie noch mehrmals verschärft, mithilfe von Gesetzen gegen angebliche »Falschnachrichten«, durch den massiven Einsatz von Überwachungstechnik und durch die Einschränkung internationaler Plattformen wie Facebook oder Twitter. Über 120 Redaktionen und einzelne Medienschaffende sind zu »ausländischen Agentinnen und Agenten« erklärt worden, ein Status, der unabhängige, gar kritische Berichterstattung bewusst unmöglich machen soll. Internet und soziale Medien sind nur in Teilen eine Alternative. Hunderte von Webseiten wurden durch die staatliche Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor blockiert. Mit dem System SORM kann der Kreml die Kommunikation der Bevölkerung in großem Stil überwachen, für kritische Kommentare droht jahrelange Haft.

Wenige Tage nachdem er den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, am 4. März, hat Wladimir Putin ein neues Zensurgesetz unterzeichnet. Medienschaffenden drohen nun bis zu 15 Jahren Haft, wenn sie Informationen veröffentlichen, die denen des Verteidigungsministeriums widersprechen. In der Folge stellten verschiedene internationale Medien ihre Arbeit vorübergehend ein. Mehrere russische Medien beendeten die Berichterstattung über den Krieg. Die kremlkritische Zeitung Nowaja Gaseta mit dem Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow entfernte sämtliche Beiträge über die Invasion aus dem Netz.

Der Zugang zu sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram und Twitter ist blockiert. Telegram und YouTube funktionieren derzeit noch. Aber: Für den weitaus größten Teil der russischen Bevölkerung ist das nach wie vor wichtigste Medium das staatliche Fernsehen. Hier ist seit Jahren nur Propaganda für die Zwecke des Kremls zu sehen.

Die Situation der Pressefreiheit in Russland ist so schlecht wie seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr. Das Zensurgesetz zwingt eine große Zahl russischer Journalistinnen und Journalisten zur Flucht ins Ausland. Ihnen hilft Reporter ohne Grenzen unter anderem auf politischer Ebene: Wir setzen uns gegenüber der Bundesregierung für einen Schutzstatus für diejenigen ein, die dringend das Land verlassen müssen oder das bereits getan haben. Viele der bedrohten Medien wollen ihre Arbeit im Exil fortsetzen und dafür neue Redaktionen aufbauen, auch in Deutschland. In Zeiten von internationalen Konflikten und steigendem Autoritarismus sind unabhängige Informationen wichtiger denn je. Damit die dafür notwendigen Mittel unbürokratisch und schnell bei denjenigen ankommen, die sie benötigen, haben wir den »JX Fund – European Fund for Journalism in Exile« gegründet. Der Fonds greift zwar das Momentum rund um die Entwicklungen in der Ukraine und in Russland auf, denkt aber bewusst größer und nimmt den Exil-Journalismus insgesamt in den Blick.

Wir versuchen aber auch, unabhängige Journalistinnen und Journalisten in Russland selbst zu unterstützen. Um den Zugang zu Informationen im Land zu sichern und zensierte Nachrichtenseiten zugänglich zu machen, spiegeln wir diese auf internationalen Cloud-Servern, unterstützen VPN-Anbieter und betreiben mehrere Server im Anonymisierungsnetz Tor. Das mögen Tropfen auf den heißen Stein sein. Doch ohne wirksame Gegenmaßnahmen wird das russische Internet, werden die russischen Medien insgesamt, bald vollständig von Kreml-Propaganda beherrscht sein.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2022.