Das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst erinnert mit seiner Dauerausstellung an den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Dabei gehören zum Trägerverein unter anderen Museen in Moskau, Minsk und Kiew. Der Direktor Jörg Morré gibt im Gespräch mit Theresa Brüheim einen Einblick in die Arbeit des Museums sowie deren Rolle und Bedeutung im aktuellen Ukraine-Krieg.
Theresa Brüheim: Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst hat sich klar gegen den Krieg in der Ukraine positioniert – unter anderem wurde der Schriftzug »Deutsch-Russisches« überklebt und die ukrainische Fahne weht vor dem Museum. Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf Ihre Arbeit?
Jörg Morré: Der Krieg hat unsere rund 30-jährige gute, freundschaftliche und enge Zusammenarbeit schlagartig unterbrochen. Bereits nach der Krim-Annexion 2014 war es schwierig, unseren ukrainischen Partner, das Weltkriegsmuseum in Kiew, dabei zu behalten. Aber auch wenn der Kiewer Kollege nicht mehr mit den russischen Vertretern an einem Tisch sitzen mochte, so konnten wir doch einen Modus Vivendi finden. Ausstellungsprojekte machte mein Museum nun bilateral, d. h. wir Karlshorster mit den ukrainischen oder den russischen und ebenso extra mit den belarussischen Partnermusseen. Darüber konnten alle miteinander in Kontakt bleiben. Karlshorst, mitunter ich auch persönlich, war der Mittler. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, und das zum Teil von belarussischem Boden aus, ist diese Form der Zusammenarbeit zusammengebrochen.
Neben dem Deutschen Historischen Museum ist auch das Zentralmuseum der russischen Streitkräfte in Moskau ein Hauptträger. Was bedeutet dies aktuell für das Museum und Ihre Arbeit?
So ganz genau kann ich Ihnen das in diesen Tagen gar nicht sagen. Leider sind die inneren Verhältnisse in der Russischen Föderation nicht so, dass ich da mal einfach den Moskauer Kollegen antelefonieren kann und wir ausführlich alle Aspekte erörtern. Genau das war immer unsere Basis. Aber das war früher, Auge in Auge im persönlichen Gespräch. Und das war immer auch ein Stück unbeobachtet, was einem ehrlichen Gedankenaustausch sehr zugute kam. An dieser Stelle muss ich hinzufügen, dass die Coronapandemie bereits eine zweijährige Zwangspause geschaffen hat. Ich kann mir jetzt also nur all meine guten Erfahrungen mit dem Streitkräftemuseum in Erinnerung rufen. Und deswegen bin ich zuversichtlich, dass da noch eine gemeinsame Basis ist. Sehen Sie das mal aus beiden Perspektiven: Das Karlshorster Museum ist der historische Ort der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945. Das ist ein eminent wichtiger Erinnerungsort für alle unsere osteuropäischen Partner. Das Museum hat zudem in seiner Dauerausstellung den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zum Thema, ein sehr wichtiger Aspekt in der deutschen Erinnerungskultur. Diese Ausstellung haben wir zusammen mit unseren Partnern, den Feinden von damals, erarbeitet. Anfang der 1990er Jahre, als sich uns Deutschen diese Möglichkeit bot, waren wir froh und dankbar für diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit. So etwas wirft man nicht so schnell weg. Nachdem uns damals das Deutsche Historische Museum an den Start gebracht hatte, sind wir inzwischen ein eigenständiges Museum in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins mit institutionellen Mitgliedern. Wir sind klein, unabhängig, einigermaßen erfahren und werden in der Lage sein, uns an die neuen Herausforderungen anzupassen.
Hinter dem Museum stehen die vier Nationen: Russland, Belarus, Ukraine und Deutschland. Wie wird Ihre Museumsarbeit künftig aussehen? Ist diese Zusammenarbeit in Zukunft noch vorstellbar?
Vorstellbar ist alles. Zumindest halte ich derzeit an dieser Möglichkeit fest. Aber sicherlich kann der Krieg zukünftig nicht einfach vergessen werden. Er ist real, er fordert, das ist schon jetzt absehbar, viele Opfer und schlägt tiefe Wunden, die lange nicht werden heilen können. Auf der anderen Seite ist insbesondere der ukrainische Präsident so klug, dass er die engen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Bindungen zwischen Ukrainern und Russen nicht verschweigt. Es ist vollkommen richtig zu sagen: »Es ist Putins Krieg«. Es gibt in beiden Ländern so viele Menschen, die diesen Krieg ganz offenbar nicht wollen. Sie werden ihn nicht ungeschehen machen können. Aber ich glaube an die Wirkung historischer Aufarbeitung, durch die eine Bewältigung schlimmer Ereignisse gelingen kann. Das Karlshorster Museum hat das schon einmal geschafft. Wir werden uns ändern müssen, ohne dass ich Ihnen jetzt sagen kann, wie das aussehen wird. Geben Sie uns ein wenig Zeit. Und dann werden wir aus der hier in Karlshorst gewachsenen Zusammenarbeit etwas neues Völkerverbindendes entstehen lassen.
Vielen Dank.