Ohne Wasser kein Leben, mit dieser kurzen Formel lässt sich die immense Bedeutung zusammenfassen. Das Leben auf der Erde ist aus dem Wasser entstanden. Die ersten Kleinstlebewesen lebten im Wasser, im Wasser fand die Entwicklung zu größeren Arten statt, der Weg vom Wasser auf das Land war ein entscheidender erdgeschichtlicher Entwicklungsschritt. Heute wird bei Missionen auf den Mond oder den Mars zuerst geforscht, ob Wasser vorhanden war oder gar noch ist, um davon ausgehend nach Leben zu forschen. Die Erde erscheint aus dem All als blauer Planet – so eine große Bedeutung haben auf der Erdoberfläche die Ozeane.

Wer schon einmal eine Wasserprobe unter dem Mikroskop betrachtet hat, wird von der Vielfalt des Lebens im Wassertropfen fasziniert sein. Bakterien, Amöben, winzige Einzeller und Mehrzeller, die drolligen Bärtierchen leben ebenso im Wasser wie die riesige Anzahl an verschiedenen Algenarten. Ich beobachte unter dem Mikroskop am liebsten Rhizopoden in Wassertropfen. Zu dieser Tiergruppe gehören die Nacktamöben, die beschalten Thekamöben, die wunderbaren Sonnen- und Strahlentierchen. Es ist ein unbeschreibliches Erlebnis, diese Einzeller beim »Schreiten« durch Wasser, beim Umfließen ihrer Opfer, bei der Zellteilung und anderen wunderbarer Aktivitäten in der Wunderwelt des Wassertropfens zu beobachten.

Die Bedeutung von Wasser geht aber über die Faszination für die Schönheit des im Wasser beheimateten Lebens weit hinaus. H2O, also Wasser, ist auch das wichtigste Lösungsmittel in der Chemie, aber ebenso in unserem alltäglichen Leben, beim Waschen von Körper und Kleidung. Und ohne regelmäßige Zufuhr von Wasser verdursten wir in sehr kurzer Zeit.

Ohne Wasser ist der Mensch nicht überlebensfähig, Wasser ist eine zentrale Ressource, und damit ist der Zugang zu Wasser oftmals ein Politikum. Welche Bedeutung Wasser für Mensch und Natur hat, ist in den letzten Sommern, in denen Niederschläge auch in Deutschland rar waren, sehr anschaulich geworden.

In vielen Ländern fliehen Menschen vor Dürre, weil ihre Felder keinen Ertrag mehr geben und ihre Tiere sterben. Menschen fliehen ebenso vor Wasserfluten, vor Überschwemmungen. In den letzten Jahren haben auch in Deutschland Hochwasser infolge von Sturzregen zugenommen, ein kleiner Bach wird zu einem reißenden Gewässer und reißt Menschen, Autos, Häuser mit sich. Städte und Ortschaften, die sich teils seit Jahrhunderten in unmittelbarer Nähe von Flüssen befinden, sind gefährdet. Schutzmaßnahmen insbesondere für historische Kulturbauten vor Überflutungen mussten in den vergangenen Jahren getroffen werden und sind teilweise auszubauen. Was einst ein großer Vorteil war, die Lage am Wasser, um schnell Waren von A nach B zu transportieren, kann jetzt eine Gefahr bedeuten.

Die Flächenversiegelung gerade in den Städten macht es erforderlich, neu über das Wassermanagement nachzudenken. Stadtplaner und Architektinnen beziehen diese Überlegungen bei der Planung von neuen Quartieren ein. Schwammstadt ist dafür das Stichwort. D. h., der Niederschlag soll gehalten, aufgesogen und sukzessive gesammelt werden. Dies mit dem Ziel, langfristig Wasser in der Stadt zu halten und wieder in den Kreislauf einzubringen.

Wasser war darüber hinaus in der vorindustriellen und industriellen Zeit für die Energiegewinnung sehr wichtig. Zwei deutsche Weltkulturerbestätten des industriellen Welterbes, das Augsburger Wassermanagement-System und das Bergwerk Rammelsberg mit dem Oberharzer Wasserregal, sind eng mit dem Element Wasser verbunden, und auch die Hamburger Speicherstadt, eine weitere Weltkulturerbestätte, wäre ohne Wasser kaum denkbar.

Nicht vergessen werden darf Wasser als künstlerisches Motiv. Seien es Mythen und Märchen über Meerjungfrauen, die Sirenen in Homers Odyssee oder andere gefährliche Ungeheuer. Die Bedrohung durch Wasser wird in der Literatur ebenso beschrieben wie seine Schönheit. Man denke etwa an Theodor Storms »Schimmelreiter« oder auch an die Gewässerbeschreibungen in Adalbert Stifters »Nachsommer«. Meeresdarstellungen sind fast ein eigenes Genre in der bildenden Kunst, und auch im Film spielt Wasser eine wichtige Rolle.

Die kulturelle Bedeutung des Wassers korrespondiert mit seiner herausragenden Relevanz für das Leben. Insofern war es folgerichtig, dass bei der Erarbeitung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung dem Wasser ein eigenes Ziel gewidmet wurde. Als Ziel 6 ist formuliert »Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle zu gewährleisten«. Der Deutsche Kulturrat hat in seinem Positionspapier »Umsetzung der Agenda 2030 ist eine kulturelle Aufgabe« Folgendes formuliert: »Wasser ist ein Allgemeingut, und der Zugang zu Wasser muss als eines der Menschenrechte betrachtet werden. Trinkwasser gehört zur Daseinsvorsorge und darf kein Spekulationsobjekt werden. Gerade der Kulturbereich kann das Verständnis für den sorgfältigen Umgang mit Wasser schärfen. In allen Kulturen hat Wasser eine herausragende Bedeutung, wovon Sagen, Mythen und biblische Geschichten erzählen. Wasser ist ein häufiges Motiv in Literatur und Malerei. Auch Welterbestätten in Deutschland wie beispielsweise das Harzer Wasserregal belegen, welche kulturellen Traditionen im sorgfältigen und nachhaltigen Umgang mit Wasser bestehen.« Mit dieser Positionierung greift der Deutsche Kulturrat die doppelte Bedeutung von Wasser auf.

Wasser erscheint uns in Deutschland oftmals als eine Selbstverständlichkeit. Trockenfallende Brunnen zeigen aber, dass auch in unseren Breiten das Wasser zunehmend zu einem kostbaren und zu schätzenden Nass wird. Ein anderer Umgang mit Wasser, seine Wertschätzung für Mensch und Natur ist nicht allein eine ökologische, sondern vor allem auch eine kulturelle Frage.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2023.