Mit der Ordnung ist es so eine Sache. Sie ist das halbe Leben, sagt man. Ist Unordnung dann die andere Hälfte? Darf ein Garten unordentlich sein? Man bedenke, er ist nicht nur grünes Wohnzimmer für uns Menschen. Er ist auch Kinderstube, Nahrungsquelle und Wohnort für Insekten. Dort kann man sie beobachten und in ihre faszinierende Welt eintauchen. In ihrer eigenen Ordnung. Denn Insekten regeln ihre Angelegenheiten weitgehend untereinander.

Also einfach mal nichts tun im Garten? Ein Buch lesen? Entweder das oder mal genauer bei den Krabblern hinschauen. Das lohnt sich, im eigenen Garten sieht man verrückteste Formen, Farben und Verhaltensweisen. Da kann kaum Langeweile aufkommen. Insekten sind wichtig für uns. Etwas zugespitzt – aber ohne Insekten kein Garten, keine Blumen, keine Früchte. Und damit auch keine Marmelade zum Frühstück. Das Brummen und Summen, das einen Garten in den sonnigen Monaten ausmacht, würde fehlen. Wer außerdem Vogelgezwitscher mag, sollte sich auch über Insekten freuen, denn diese stehen auf ihrem Speiseplan ganz oben. Umgekehrt ist der Garten ein wichtiger Lebensraum für die Sechsbeiner. In manchen Gegenden gehen geeignete Rückzugsorte mit Blühpflanzen drastisch zurück. Unter anderem damit hängt auch der Rückgang der Insektenpopulationen zusammen, Studien zufolge nahm die Biomasse in den vergangenen Jahrzehnten deutlich ab – beispielsweise um 75 Prozent innerhalb von 30 Jahren in Schutzgebieten.

Wie viele Insekten man im Garten beobachten kann, hängt – naturgemäß – von der Gestaltung ab. Englischer Rasen und Thujahecken leisten wenig für die heimische Insektenwelt. Schön fürs Auge und gut für sie sind dagegen heimische Blühpflanzen, die viel Nektar als Nahrung bieten. Und Unordnung lohnt sich. Oder geordnetes Chaos, wenn man so will: Totholzecken, Laubhaufen und offene Bodenstellen für Insekten, die dort nisten, bieten Schutz und Rückzugsmöglichkeiten. Ganz wesentlich ist der Verzicht auf Pestizide. Neben den vermeintlichen Schädlingen leiden darunter nämlich auch alle anderen Insekten. Auch der eigenen Gesundheit ist das nicht zuträglich. Man kann das auch den Insekten selbst überlassen: Sollten z. B. die nicht gern gesehenen sogenannten Schädlinge wie Blattläuse überhand nehmen, würden sie in einem naturnahen Garten von Fressfeinden wie Florfliege, Marienkäfer, Schwebfliegenlarve in Schach gehalten werden.

Auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten viel Wissen über den Plattbauch, Grünrüssler, Ameisenlöwen oder Bienenwolf verloren gegangen ist, nimmt das Bewusstsein bei den Menschen für die Multitalente, Überkopfhänger und Überwasserläufer langsam wieder zu. Auch im eigenen Freundeskreis macht sich das bemerkbar: »Kannst du mal schauen, was das für ein Tierchen ist? Das ist uns neulich in unserem Garten begegnet«, solche oder ähnliche Fragen und unscharfe Fotos von kleinen Insekten erreichen mittlerweile häufiger mein Postfach und das ist wunderbar. Denn dass Menschen wieder genauer hinschauen und ihre Umwelt in Augenschein nehmen, ist ein gutes Zeichen und Voraussetzung dafür, wenn wir wieder mehr Artenkenntnis und den Bezug zur Natur aufbauen wollen. Dass sich der Garten wunderbar zum Beobachten eignet, zeigt sich beim NABU-Insektensommer, bei dem in ganz Deutschland Insekten beobachtet, gezählt und gemeldet werden sollen. Rund drei Viertel der Teilnehmenden haben sich in den vergangenen Jahren die Zeit genommen und im eigenen Garten geschaut, was dort krabbelt und fliegt. Und dabei auch ihr Wissen, z. B. über Insekten wie den Wollschweber oder die Blauschwarze Holzbiene, erweitert. Die Aktion ist die einzige Erhebung bundesweit. Über einen sich mehrere Jahre erstreckenden Zeitraum soll so herausgefunden werden, wie sich der Bestand entwickelt. Immerhin gibt es in Deutschland rund 34.000 Insektenarten, von denen viele eben auch im heimischen Garten leben. Damit das auch so bleibt, versucht der NABU neben dem Insektensommer auch mit Tipps und Informationen zum naturnahen Gärtnern das Interesse und den Spaß daran zu wecken und den Insekten auch auf politischer Ebene eine Stimme zu geben. Auch leidenschaftliche Gärtner wie mein Großvater ändern langsam ihre Gewohnheiten und lassen Gehölz und Schnitt für die Insekten liegen. Sogar eine Nisthilfe für Wildbienen wurde aufgehängt! Und das zahlt sich aus. Denn die Vielfalt der Insekten wird wieder größer. Um zum Anfang zurückzukommen: Ob Ordnung das halbe Leben ist, bleibt jeder und jedem selbst überlassen. Etwas Unordnung schadet jedenfalls nicht, wenn sie ihren Beitrag zur Artenvielfalt leistet.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2023.