Aktuell zeigt das Vitra Design Museum die Ausstellung »Garden Futures: Designing with Nature« und geht damit sowohl der Geschichte als auch Zukunft des modernen Gartens auf den Grund. Politik & Kultur fragt bei dem Direktor Mateo Kries nach dem Hintergrund der Ausstellung, dem Idealtyp des Gartens und grüner Zukunftsvisionen.

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung »Garden Futures: Designing with Nature«? Welche Inhalte wollen Sie vermitteln?

Die Ausstellung verfolgt die Gestaltungsgeschichte des modernen Gartens und nimmt dabei eine besondere Perspektive ein: Wir betrachten den Garten nicht als romantisches Refugium, sondern als Ort, an dem immer auch unsere Zukunft verhandelt wird. Der Garten war schon immer ein Experimentierfeld und eine Metapher für gesellschaftliche Zustände. Nicht nur die persönlichen Vorlieben des Gärtners spiegeln sich im Garten, sondern immer auch unsere Gesellschaft. Bevorzugen wir kurzen oder langen Rasen? Ist der Garten streng rechtwinklig angelegt oder verschlungen und komplex? Ja, selbst die Werkzeuge und Möbel im Garten, all das sagt etwas darüber aus, wie wir die Natur sehen und wie wir unser eigenes Verhältnis zu ihr definieren. All das soll die Ausstellung vermitteln, und wir tun dies mit einem Blick auf zahlreiche Beispiele von Gärten bekannter Künstlerinnen, Designer oder Landschaftsgestalterinnen, die z. B. mit Filmen, Zeichnungen oder Modellen vorgestellt werden. Wir zeigen aber auch eine Vielzahl an Gartengeräten oder -möbeln und verfolgen deren Designgeschichte. Und dann gibt es ganze Kunstwerke, die sich mit dem Thema Garten befassen, etwas ein riesiger Teppich der Künstlerin Alexandra Kehayoglou, der ein ganz bestimmtes Stück Natur auf der Insel Milos abbildet und den die Ausstellungsgäste benutzen können.

Wieso befasst ein Designmuseum sich mit der Zukunft des Gartens?

Design ist heute längst nicht mehr nur die Gestaltung schöner Produkte. Auch unsere Umwelt ist designt, es gibt heute kaum noch einen Fleck auf der Erde, der nicht vom Menschen gestaltet wurde. Das lässt sich anhand des Gartens wunderbar verdeutlichen. Im Garten gestalten wir Natur und drücken uns gleichzeitig aus. Der Garten hat eine Funktion, z. B. Erholung oder Ernährung, und seine Form folgt oft dieser Funktion – das ist Design. Und zugleich ist es ein Beispiel für Design, das uns alle betrifft und heute von enormer Bedeutung ist. Wir alle wissen, dass wir nur noch wenig Zeit haben, einen anderen Umgang mit unserem Planeten und unserer Natur zu finden. Der Garten ist eine Metapher dafür, ihm geben wir die Fürsorge und Pflege, die wir dem gesamten Planeten geben müssten. Deshalb stellen heute auch viele Gartengestalter die These auf, dass wir heute den gesamten Planeten als Garten verstehen sollten, für den wir verantwortlich sind. Damit sind wir wieder bei biblischen Motiven, die auch ganz am Anfang der Kulturgeschichte des Gartens stehen.

Welche Ideen und Vorstellungen prägen Gärten heute? Gibt es einen Idealtyp des modernen Gartens?

In der Geschichte unterscheidet man oft die französische Gartentradition, die eher geometrisch und streng ist, und die englisch-romantische Tradition, in der die Natur wilder und ungeordneter scheint. Diese beiden Gegenpole finden sich auch in der modernen Geschichte des Gartens, also in den letzten 150 Jahren. Einerseits wurde der Garten immer stärker kontrolliert, man denke nur an den Wettbewerb um den perfekten Rasen in deutschen Vorgärten und an all die Chemikalien und Geräte, die einem den perfekt gepflegten Garten versprechen. Demgegenüber gab es aber auch immer das Gegenteil, die Sehnsucht nach der wilden Natur, der Vielfalt. Diese gewinnt auch heute wieder stark an Bedeutung. Mehr und mehr Menschen verstehen, dass es für die Natur nicht gut ist, wenn wir alle zwei Wochen den Rasen mähen, sondern dass wir einen Beitrag zur Artenvielfalt leisten, wenn wir Pflanzen auch mal wachsen und verblühen lassen. Und dann gibt es heute viele neue Tendenzen, die zeigen, wie sehr Gärten mit der gesellschaftlichen Avantgarde verbunden sind, Stichworte sind Urban Gardening, Vertical Gardening, Guerilla Gardening. Auch diese Ideen sind aber nicht neu, wie wir in der Ausstellung zeigen: Schon in den 1960er Jahren gab es beispielsweise in New York alternative Gartenbewegungen, die beispielsweise die Stadt mit sogenannten Seed Bombs – Samenbomben – begrünen wollten.

Welchen Beitrag leisten Gärten zu einer nachhaltigen Zukunft?

Einen großen Beitrag – schließlich sind Gärten die Orte, an denen wir der Natur am nächsten kommen. Über Gärten können wir Artenvielfalt fördern, indem wir auf eine möglichst große Vielfalt achten. Gärten ermöglichen uns zumindest teilweise auch eine regionale Versorgung mit Lebensmitteln, und an vielen Stellen auf der Welt sind Gärten auch ein Schutz gegen Erosion durch den Klimawandel. In der Ausstellung zeigen wir ein Beispiel dafür aus Äthiopien. Dort sind über die Jahrhunderte Gärten um altchristliche Klöster entstanden, die von den dortigen Mönchen gepflegt wurden. Heute sind es die einzigen Orte in einer ansonsten großflächig abgeholzten Landschaft, an denen noch eine intakte Vegetation existiert.

Wie gehören Garten und Kultur Ihres Erachtens zusammen?

Gärten haben in vielen Kulturen der Welt einen zentralen Stellenwert. Im Christentum kennen wir natürlich die Verbindung des Gartens zum Paradies über den Garten Eden, in der islamischen Kultur ist der Garten ebenfalls mit dem Göttlichen assoziiert. Im Mittelalter waren Gärten in Klöstern Orte der Forschung und des Rückzugs, der abgeschlossene Garten unter dem Begriff Hortus conclusus ein Symbol für den spirituellen Rückzug. In der arabischen Welt sind Häuser um einen Garten im Innenhof gebaut. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, Gärten sind aus unserer Kultur nicht wegzudenken. Heute erleben sie eine Renaissance, da wir verstehen, wie wichtig ihre Bedeutung ist – als Symbol für die Wertschätzung von Natur und Nachhaltigkeit, aber auch ganz praktisch, ob für die Erholung oder für das Klima. All das thematisiert die Ausstellung »Garden Futures«, indem sie durch den Garten auf unsere gemeinsame Zukunft schaut.

Denn auch heute drückt sich im Garten die gemeinsame Utopie einer besseren Zukunft aus, die wir selbst gestalten können. Was für ein optimistischer Ort!

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2023.