An vielen Stellen erlebe ich, dass Respekt im täglichen Miteinander zu schwinden scheint. Die Zündschnur wird oftmals kürzer, die Konflikte mehren sich. Dabei gehört der respektvolle Streit in der Sache zum elementaren Bestandteil unserer Demokratie. Das ist auch gut so! Eine Demokratie lebt vom produktiven Streit. Debattieren, verschiedene Meinungen haben, der Austausch von Argumenten und das Zuhören sind im Stadtrat, im Kreistag, in den Landtagen und im Deutschen Bundestag Alltag. Übrigens: Unrecht haben und sich von den Argumenten des anderen überzeugen lassen gehört ebenfalls dazu. Helmut Schmidt hat es passend zusammengefasst, als er sagte: »Demokratie besteht aus Debatte und anschließender Entscheidung auf Grund der Debatte.«

Zu einer demokratischen Entscheidungsfindung gehört eine demokratische Streitkultur zwingend dazu. Eine Vielfalt an Sichtweisen ist gut und belebt die Debatte. Nur darf das respektvolle Miteinander dabei nicht verloren gehen.

Leider wächst die Polarisierung der politischen Meinungen in unserer Gesellschaft und mit ihr wachsen das Unverständnis und die Missachtung anderer Ansichten. Immer öfter gehen gute Streitkultur und Respekt in gesellschaftlichen Debatten verloren. Verrohte Sprache, Hass, Hetze und Shitstorms sind heute online schneller verbreitet. Gewaltvolle Sprache wird so zum Nährboden für gewaltvolle Handlungen.

Die Aushebelung unserer politischen Streitkultur passiert dabei auf leisen, aber stetig größer werdenden Schritten: mal eine Relativierung der Geschichte, dann eine Herabsetzung von Personen mit anderen Meinungen, gefolgt von verächtlichen Kommentaren über unser politisches System bis hin zur Beleidigung von allem, was nicht ins eigene Weltbild passt. Mich bestürzt diese Abkehr von einer respektvollen Debatten- und Streitkultur hin zu Spaltung und Hass. Wenn dies auch noch mit wachsender Häufigkeit im Plenum des Deutschen Bundestages passiert, hat das erschreckende Symbolkraft. Man merkt dies bei Redebeiträgen der AfD im Deutschen Bundestag: Sie beteiligt sich dort nicht an der Debatte, sondern redet für ihre sogenannte Community im Internet, denen sie ihre Reden in kurzen Ausschnitten präsentiert und damit weiter polarisiert.

Um unsere Streitkultur wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, plädiere ich für mehr Pragmatismus in unseren Debatten. Jede und jeder von uns kann und sollte Gewalt in Sprache ablehnen. Die Sprache derjenigen, die versuchen unsere Gesellschaft zu spalten, kann nicht Fuß fassen, wenn wir sachlich und unaufgeregt über Themen sprechen, anstatt uns von populistischen Argumentationen einnehmen zu lassen.

Unsere Zivilgesellschaft ist stark und ihre demokratische Mehrheit darf nicht für eine Hass schürende Minderheit weichen. Die Sichtbarkeit gehört der Demokratie und nicht ihren Feinden. Das Gleiche gilt für unsere Streitkultur zwischen denjenigen, die sich klar zu unserer Verfassung bekennen. Wie hat es einst ein langjähriges Stadtratsmitglied bei mir im Sauerland treffend auf den Punkt gebracht, als er mir auf den Weg mit gab: Man kann und muss hart in der Sache streiten, aber am Ende des Tages muss man immer noch ein Bier miteinander an der Theke trinken können.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2023.