Was ist Fotografie? Eine eigenständige Kunstform oder die Fortsetzung der bildenden Kunst mit anderen Mitteln? Bebildert sie das Geschehen im Sinne eines Abbildes oder erzählt sie eine eigene Geschichte? Kann die Fotografie auf das technische Mittel, mit dem Fotos erstellt werden, reduziert werden oder müssen die verschiedenen künstlerischen Möglichkeiten und Ausdrucksweisen betrachtet werden?
Das Urheberrecht ist bei dieser Frage eindeutig, hier steht in § 2 Geschützte Werke, zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören auch »Lichtbildwerke einschließlich der Werke, die wie Lichtbildwerke geschaffen werden«.
Die Fotografie steht damit gleichberechtigt neben den Sprachwerken, den Werken der Musik, den pantomimischen Werken, also der Theaterkunst, einschließlich Werken der Tanzkunst, den Werken der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und den Filmwerken. Natürlich ist die Voraussetzung bei der Fotografie, wie bei allen anderen Kunstformen, dass Werke im Sinne des Urheberrechtes immer persönliche geistige Schöpfungen sein müssen. Würde allein das Urheberrecht zugrunde gelegt, ist die Fotografie ein eigener künstlerischer Bereich.
An sich könnte man sagen, was soll diese Aufregung, diese Haarspalterei, was ein künstlerischer Bereich ist, der neue Trend ist doch ohnehin die Aufweichung der Grenzen, die interdisziplinäre, die fluide Arbeit. Ich teile dies ausdrücklich. Immer öfter und schon sehr lange wird in der Kunst interdisziplinär gearbeitet. Jede Opernaufführung ist ein interdisziplinäres Werk, in dem erst im Zusammenwirken von Musik, darstellender Kunst, Bildgestaltung, Design usw. das eigenständige Werk entsteht.
An jedem Film und jedem Computerspiel sind zahlreiche Gewerke beteiligt, die Arbeitsteiligkeit zeichnet gerade diese Kunstsparten aus. Und manche Künstlerin oder Künstler hat auch eine Doppelbegabung und kann in unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen arbeiten.
Ich bin trotz der Interdisziplinarität fest davon überzeugt, dass es so etwas wie ein inneres Grundverständnis künstlerischer Bereiche gibt. Und dieses innere Grundverständnis ist auch im Deutschen Kulturrat zu spüren. Die Musikerinnen und Musiker, die teilweise bereits als Kinder ihre künstlerische Ausbildung beginnen, wenn sie eine internationale solistische Karriere anstreben oder wenn sie in einem bekannten Orchester arbeiten wollen, haben eine andere Form des Arbeitsverständnisses, der fast »sportlichen« Disziplin als es bei bildenden Künstlern der Fall ist.
Bildende Künstlerinnen und Künstler drücken sich über ihr Werk aus und sind eher selten wortgewandt, wohingegen den Literatinnen und Literaten die geschliffene Sprache sehr vertraut ist, was sich insgesamt auf den Sektor auswirkt. Schauspielerinnen und Schauspieler suchen die Bühne, verstehen es, sich in Szene zu setzen, selbst wenn sie abseits der Bühne, was gar nicht selten vorkommt, eher schüchtern sind.
Dennoch, sowohl in der darstellenden Kunst als auch dem Film ist die Wirkung auf ein wie immer auch geartetes Publikum wichtig. Architektinnen und Architekten wie auch Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger denken räumlich und in langen Zeiträumen. Die Designerinnen und Designer sind bei allem Bestreben nach dem eigenen Ausdruck kundenorientiert. Und die Soziokultur und kulturelle Bildung hat vor allem die Vermittlung, weniger die Kunst als Selbstzweck im Blick. Alles nur Stereotypen, könnte eingewandt werden. Ja, natürlich sind es Stereotypen, wie sie jeder Typisierung zugrunde liegen. Dennoch bleibe ich dabei, dass diese Stereotypen auf einen wahren Kern zurückgehen. Sonst würden sie auch nicht funktionieren.
Und die Fotografie? Die Fotografie ist Kunst, sie ist Handwerk, sie ist Dokumentation, sie ist Abbild und vieles andere mehr. Und vor allem ist sie unglaublich beliebt. Das Smartphone und soziale Medien führen dazu, dass wir geradezu einer Bilderflut ungeahnten Ausmaßes gegenüberstehen. Mitunter bekommt man den Eindruck, dass alles und jedes abgebildet werden muss.
Moderne Digitalkameras erlauben darüber hinaus auch Hobbyfotografen, die sich intensiv mit Fotografie befassen, ganz erstaunliche Aufnahmen in hoher Qualität. Die Fotografie, gerade die Makrofotografie, mit der ich mich in meiner Freizeit intensiv befasse, lässt uns unbekannte Welten entdecken, die uns normalerweise verschlossen sind.
Analoge Fotografie verlangt, im Gegensatz zur digitalen Fotografie, in besonderer Weise die Auseinandersetzung mit Materialien, welches Papier verwende ich für die Abzüge, wie lange und mit welchen Chemikalien, bei welcher Temperatur entwickele ich und vieles andere mehr. Ich kann mich heute noch an meine allererste Entwicklung des belichteten Fotopapieres in meiner kleinen Dunkelkammer erinnern. Aus dem scheinbaren Nichts erschien langsam das schwarz-weiße Bild auf dem Papier. Einfach wunderbar.
Und dann die, wie in anderen künstlerischen Bereichen auch drängende Frage, wie können die Werke, ob digital oder analog, unverfälscht und dauerhaft aufbewahrt werden. Ähnlich dem Film, der auf empfindliche Materialien gebannt ist oder in der vergänglichen Digitalität vorliegt, dem Verfall preisgegeben ist, braucht auch die Fotografie die sensible Konservierung, teils auch Restaurierung des fotografischen Erbes.
Fotografie ist nicht eindimensional, sondern vielschichtig. Sie ist Dokumentar-, Reportage-, Porträt-, Industrie-, Architektur-, Werbe-, Mode-, Akt-, Natur- und Landschafts-, Genre- und Experimentelle Fotografie.
Fotografie wird in Museen auf der ganzen Welt gezeigt, sie wird gesammelt und gehandelt und sie durchdringt den gesamten Kunstbereich. Und, wie in allen anderen Kunstformen auch, sind die herausragenden Werke der Fotokunst dünn gesät. Das macht das Suchen nach ihnen so spannend.
Der Schwerpunkt Fotografie soll einige dieser Fotoschichten sichtbar machen. Mein Dank gilt dem Deutschem Fotorat, der bei der Planung dieses Schwerpunktes behilflich war.
Pontus Hultén, der mit Harald Szeemann vielleicht wichtigste Ausstellungsmacher des 20. Jahrhunderts, sagte treffend: »Fotografieren ist einfach. Doch die Fotografie ist eine sehr schwierige Kunst.« So ist es.