Er ist fragil und doch robust. Er ist Massenmarkt und Nischengeschäft zugleich. Er wächst kräftig, ist aber trotzdem noch ein Zwerg. Der deutsche Comic-Markt ist von bemerkenswerten Widersprüchen geprägt. Das war besonders deutlich während der ersten zwei Coronajahre zu sehen. Zu Beginn der Pandemie 2020 befürchteten vor allem unabhängige Comic-Verlage, dass Umsatzeinbrüche und Zahlungsausfälle sie in existenzielle Krisen stürzen könnten, da sie kaum über finanzielle Ressourcen verfügen, um unerwartete Entwicklungen abzufedern.

Ein Jahr später sah die Lage dann wieder entspannter aus. Während der heimische Buchmarkt im ersten Covid-Jahr nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels einen Verkaufsrückgang um 11,1 Prozent und ein Umsatzminus von 2,3 Prozent verkraften musste, zogen die meisten Comic-Verlage eine positive Bilanz. Ihre Umsätze blieben auch durch die Zeit des Lockdowns hindurch stabil, in vielen Fällen lagen sie sogar über den Vorjahren.

Nach Angaben der Fachzeitschrift buchreport hat der heimische Comic-Markt im ersten Coronajahr 185 Millionen Euro Bruttoumsatz erzielt. Trotz der pandemiebedingten Einschränkungen im stationären Buchhandel und den frequenzbedingten Rückgängen im Pressevertrieb sei das Segment damit um etwa vier Prozent gewachsen. Im Vergleich zum Gesamtumsatz der Buchbranche ist das allerdings immer noch eine überschaubare Zahl: Der lag 2021 bei rund neun Milliarden Euro.

Zwei Gruppen von Verlagen prägen den deutschen Comic-Markt: zum einen eine Handvoll großer Unternehmen, die zu international agierenden Konzernen gehören. So ist der Hamburger Carlsen Verlag, der neben Klassiker-Reihen wie »Tim und Struppi« und den »Peanuts« sowie Manga-Bestsellern wie »Naruto« auch viele aktuelle Comics und deutsche Eigenproduktionen veröffentlicht, Teil des schwedischen Medienunternehmens Bonnier AB.

Die Egmont Ehapa Media GmbH in Berlin, die unter anderem zugkräftige Reihen wie »Asterix« und zahlreiche Disney-Reihen wie die »Lustigen Taschenbücher« im Programm hat, ist eine Tochtergesellschaft der dänischen Egmont-Mediengruppe. Und der Stuttgarter Panini Verlag, bei dem unter anderem zahlreiche US-Superheldenserien von Verlagen wie Marvel und DC auf Deutsch erscheinen, gehört zur gleichnamigen italienischen Unternehmensgruppe.

Im Bereich Manga sind neben dem Platzhirsch Carlsen der Verlag Kazé, der seit 2022 Crunchyroll heißt, und Tokyopop bezüglich des Marktanteils die nächstgrößten Akteure. Kazé gehört seit 2019 zum Streamingriesen Crunchyroll und nahm 2022 dessen Namen an, Tokyopop ist die deutsche Niederlassung des gleichnamigen in den USA und Japan sitzenden Konzerns.

Die zweite Gruppe sind einige Dutzend kleinere, unabhängige Verlage, die in der Regel von Comic- oder Manga-Enthusiasten gegründet wurden. Hier sind unter anderem Reprodukt, avant und Jaja in Berlin, Splitter in Bielefeld, Rotopol in Kassel, Cross Cult mit seinem Manga-Ableger Manga Cult in Ludwigsburg, Schreiber & Leser sowie der Manga-Verlag Altraverse und der Kinder-Comic-Verlag Kibitz in Hamburg, Schwarzer Turm in Weimar, Zwerchfell in Stuttgart, Salleck Publications in der Pfalz und Weissblech Comics in Schleswig-Holstein zu nennen.

In wirtschaftlicher Hinsicht stehen die größeren Verlage auf einem stabileren Fundament, weil deutschsprachige Comics meistens nur einen Teil ihrer Produktpalette ausmachen. Zudem haben sie in der Regel verlässliche Dauer-Bestseller im Programm.

Die Lage bei den unabhängigen Verlagen ist prekärer. So hat der 1991 gegründete Verlag Reprodukt, der inzwischen eine Institution in Sachen Autoren-Comics ist, trotz seines viel gelobten Programms nach Angaben seines Leiters Dirk Rehm manches Jahr mit einer Negativbilanz abgeschlossen. Erst seit etwa zehn Jahren könne er von der Verlagsarbeit leben. Doch das wirtschaftliche Polster für schwierige Zeiten ist weiterhin dünn: Auf die stark gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise reagierte Reprodukt im Frühjahr 2022 mit einer Crowdfunding-Kampagne, über die mehr als 70.000 Euro zusammenkamen, um das Herbstprogramm zu sichern.

Die Auflagen der Comics haben eine ähnlich große Bandbreite wie das wirtschaftliche Fundament der Verlage. Bei den unabhängigen Verlagen gelten vierstellige Auflagehöhen in der Regel als gutes Ergebnis und Verkaufszahlen von 10.000 Stück als großer Erfolg.

Auf der anderen Seite gibt es die Bestseller, die ein Vielfaches davon erreichen, vor allem beim Manga. So verkauft der Carlsen Verlag nach Angaben seines Manga-Programmleiters Kai-Steffen Schwarz allein vom ersten »Massiv«-Sammelband der Bestseller-Reihe »Naruto«, der seit fünf Jahren die deutschen Bestsellerlisten anführt, mehr als 100.000 Exemplare pro Jahr. Bei Egmont gehört aktuell unter anderem die »Idefix«-Reihe zu den Bestsellern. Die ist ein Ableger des Bestsellers »Asterix«, vom ersten Band wurden im vergangenen Jahr nach Verlagsangaben mehr als 140.000 Exemplare verkauft.

Die größte Dynamik weist der deutsche Comic-Markt seit einigen Jahren im Manga-Segment auf, 2021 gab es hier noch einmal einen Umsatzanstieg von knapp 25 Prozent. Comics, insbesondere Manga, sind dadurch im Buchhandel inzwischen die drittgrößte Warengruppe innerhalb der Belletristik nach Erzählender Literatur und Spannung.

Schaut man sich die Bestsellerlisten genauer an, wird deutlich, welche Art von Veröffentlichungen sich besonders gut verkaufen. Zum einen sind dies neue Geschichten mit seit Langem erfolgreich etablierten Comic-Figuren. Das neue »Asterix«-Album lag 2022 in der Bestsellerliste der Comics im westlichen Stil auf Platz fünf, dessen Ableger »Idefix« schaffte es im vergangenen Jahr sogar auf Platz drei derselben Liste. Ebenfalls unter den Top Ten: die Neuinterpretation der frankobelgischen Comic-Figur Marsupilami aus dem »Spirou«-Universum durch den Berliner Zeichner Flix.

Eine weitere Gruppe auf den vorderen Bestsellerplätzen: Comics mit Figuren und Handlungselementen, die in anderen Medien bereits ein großes Publikum haben. So war der bestverkaufte Comic hierzulande im vergangenen Jahr die deutsche Eigenproduktion »Die Känguru-Comics« von Marc-Uwe Kling und Bernd Kissel, die sich inhaltlich an Klings Radio-Comedyreihe anlehnen, die auch in Büchern und einem Kinofilm ein großes Publikum erreichte. Dieser Titel erzielte nach Angaben des Carlsen Verlages Verkaufszahlen im mittleren fünfstelligen Bereich.

Weit oben auf den Comic-Bestsellerlisten 2022 finden sich auch der aktuelle Comic-Band der »Arazhul«-Reihe, der sich auf die erfolgreiche YouTube-Videoreihe gleichen Namens bezieht, der »Golemkönig«, ein Comic aus der Welt des YouTube-Stars Paluten, und »Die Abenteuer vom Rosenhof« der erfolgreichen YouTuberinnen Victoria und Sabrina.

Bei den Mangas verkaufen sich in der Regel die Reihen am besten, deren Figuren das Publikum auch aus Anime kennt, also Zeichentrickfilmen. Das gilt fast für alle Manga-Bestseller auf dem deutschen Markt, deren Liste 2022 von »Naruto« angeführt wurde, gefolgt von der Agenten-Comedyserie »Spy x Family«, der düsteren Fantasyreihe »Jujutsu Kaisen«, der wilden Actionserie »Chainsaw Man« sowie dem Dauerbrenner-Piratenabenteuer »One Piece«.

Daneben gibt es immer wieder Bestseller, die vor allem mit der Popularität der jeweiligen Autorinnen und Autoren zu erklären sind. Dazu gehören seit einigen Jahren die Comics der Schwedin Liv Strömquist, die mit viel Witz soziale Phänomene aus feministischer Perspektive analysiert. Auch das queere Beziehungsdrama »Heartstopper« der britischen Jugendbuchautorin und Illustratorin Alice Oseman, das als Web-Comic gestartet ist, inzwischen auch als Realverfilmung auf Netflix viele Fans hat und 2022 auf dem zweiten Platz der deutschen Comic-Bestsellerliste landete, kann man zu dieser Gruppe zählen.

Zu den erfolgreichsten heimischen Comic-Autoren zählt in diesem Bereich der Kölner Zeichner Ralf König, der seit Jahren den deutschen Alltag durch sein fiktives Comic-Paar Konrad und Paul kommentieren lässt. »ABBA hallo«, der jüngste Sammelband seiner zuerst online veröffentlichten Strips, steht aktuell ebenfalls weit oben auf den Bestsellerlisten. Bemerkenswert ist, wie sich in jüngster Zeit das Verhältnis importierter Titel zu Eigenproduktionen verändert hat. Während vor einigen Jahren die deutschen Comic-Bestsellerlisten fast komplett von Übersetzungen ausländischer Titel dominiert waren, ist dies mit Ausnahme des Segments Manga heute anders.

Wer sich einen kompletten Überblick über das deutschsprachige Comic-Angebot verschaffen will, steht vor einer großen Aufgabe: Die Zahl der aktuell lieferbaren deutschsprachigen Comics inklusive Manga beträgt derzeit 27.625 Titel, wie im Verzeichnis Lieferbarer Bücher nachzulesen ist, der zentralen Datenbank für die deutschsprachige Buchbranche. Das umfasst allerdings auch Cartoon- und Karikaturbücher sowie andere formal mit dem Comic verwandte Produkte. Die Zahl der Neuveröffentlichungen in diesem Bereich liegt nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels bei jährlich rund 2.000 Titeln, was einem Anteil von rund drei Prozent an allen deutschsprachigen Erstauflagen entspricht.

Im Vergleich zu Ländern mit einer stärker ausgeprägten Comic-Tradition ist der deutsche Comic-Markt aber immer noch eine zarte Pflanze. Der japanische Manga-Markt beispielsweise erreichte im vergangenen Jahr Umsätze von fast fünf Milliarden Euro. In Japan erzielten also Comics allein eine Summe, die etwa der Hälfte des Umsatzes der gesamten deutschen Buchbranche entspricht.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.