In Zeiten multipler Krisen gewinnen Gärten auch für den sozial-ökologischen Wandel zunehmend an Bedeutung. Michaela Fenske, Leiterin des Forschungsprojektes »Gärten in Transformation« an der Universität Würzburg, im Gespräch mit Lisa Weber über das transformative Potenzial von Gärten und Gärtnern.
Lisa Weber: Frau Fenske, der Gartenboom während der Coronapandemie hat gezeigt, dass dem Garten in Krisenzeiten eine besondere Rolle zukommen kann. Was können wir vor dem Hintergrund der Pandemie über die Bedeutung des Gartens lernen?
Michaela Fenske: Grundsätzlich hat sich wieder einmal bestätigt, dass Gärten angesichts der Krisen der Welt zum Sehnsuchtsort der Gesellschaft werden. Und das spiegelt sich auch in der ursprünglichen Definition von Garten wider. Denn Garten bedeutet eigentlich überall auf der Welt das Gleiche, es ist ein eingezäunter und eingefriedeter Bereich, der auch in einigen Kulturen mit Paradies gleichgesetzt wird. Der französische Soziologe Michel Foucault hat dazu eine Theorie, nämlich die der Heterotopie. Heterotopien sind besondere Orte mit ganz bestimmten Funktionen. Foucault hat zwar nicht direkt über Gärten nachgedacht, aber man kann das Konzept der Heterotopie sehr schön auf Gärten übertragen. Wenn man das macht, können Gärten nämlich zu Orten mit besonderen Möglichkeiten werden.
Wenn Gärten Orte mit besonderen Möglichkeiten sein können, welche Rolle spielen sie im Kontext des Klimawandels, eines der drängendsten Themen unserer Zeit? Können Gärten einen Beitrag zum ökologischen Wandel leisten?
Als Alltagskulturwissenschaftlerin bzw. Empirische Kulturwissenschaftlerin interessieren mich die Alltage der Vielen. In dem Sinne sind Gärten auch Orte der Vielen. Gärten sind zudem Orte, wo es Möglichkeiten sozial-ökologischen Erfahrens gibt. In Gärten können Sie erleben, was Biodiversität überhaupt bedeuten könnte. Oder Sie erleben überhaupt erst einmal andere als menschliche Lebewesen. Sie erleben sie möglicherweise auch bewusster als in Büroräumen, wo andere als menschliche Lebewesen auch vorhanden sind, aber in der Regel doch eher als Störfaktor wahrgenommen (wenn es nicht gerade der hündliche Kollege ist). Damit sind Gärten Orte, an denen man das Zusammenleben mit anderen Lebewesen ein Stück weit erleben kann. Außerdem können sie Orte sein, wo man Verbindungen stiften kann. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht davon, dass Menschen keine Resonanzerfahrung mehr haben. Weder zu ihrem eigenen Körper noch zu ihrer Umwelt. Gärten ermöglichen uns, wieder Verbindungen und Beziehungen zur Welt zu knüpfen und eine Resonanzerfahrung zu haben. Was Gärten nicht tun werden, ist, diese Welt zu retten. Aber sie können in Gärten so etwas wie ein sozial-ökologisches Bewusstsein lernen.
Sie leiten das Forschungsprojekt »Gärten in Transformation«. Wie ist die Idee zu diesem Projekt entstanden? Mit welchen Fragestellungen beschäftigen Sie sich?
Gärten sind Erfahrungsräume, wo Menschen auch den Wandel der Umwelt spüren können. Das war der Ausgangspunkt des Projektes. Ich habe mir überlegt, dass wir zwar permanent von Vielfachkrise sprechen und dass diese in verschiedenen Alltagen spürbar wird. Bei der Gesundheitskrise war das besonders spürbar, weil wir alle davon betroffen waren. Aber der Klimawandel, das Artensterben oder der Rückgang der Biodiversität, wie wird das für viele Menschen erfahrbar?
Für eine ganze Reihe von Expertinnen und Experten, die im Natur- und Umweltschutz, in der Forstwirtschaft und Forstwissenschaft oder auch in der Landwirtschaft tätig sind, wird der Wandel besonders merklich. Aber für Menschen, die nicht unmittelbar in diesen »grünen« Berufen tätig sind, woran merken die, dass sich etwas ändert? Vor diesem Hintergrund habe ich mir überlegt, dass man mit Gärtnerinnen und Gärtnern sprechen müsste, wenn man ein Stück weit wissen will, wie diese Transformation, in der wir stecken, in den Alltagen der Menschen überhaupt wahrgenommen wird. Denn viele Menschen gärtnern. Sei es, dass sie einen eigenen Hausgarten haben oder dass sie im Urban-Gardening-Kontext eingebunden sind.
Zu einigen Fragen, mit denen ich mich beschäftige, gehören: Was wissen Gärtnernde über die Veränderungen in der Umwelt? Fällt ihnen auf, dass Arten verschwinden? Und wenn ihnen das auffällt, wen vermissen sie? Wie gehen sie mit den Veränderungen um, die es gibt? Beispielsweise mit dem Klimawandel und den Zeiten großer Trockenheit oder auch vermehrten Regenfällen, für die man im Grunde genommen Versickerungsflächen in den Gärten bräuchte? Wie gestalten sie das, wie beziehen sie das in ihre Praxis des Gärtnerns ein? Wie positionieren sie sich auf diese Art und Weise in ihrer Umwelt? Wie verbinden sie ihre eigenen Bedürfnisse mit den Bedürfnissen von anderen? Gärtnerinnen und Gärtner positionieren und informieren sich unterschiedlich in dem Feld. Vor allen Dingen gibt es teilweise jahrzehntelange Erfahrungen, die wichtig sind, weil sie in ihrem Garten als Erfahrungsraum Dinge beobachten, die wir insgesamt noch gar nicht so wahrgenommen haben. Das finde ich sehr wichtig.
Wie sieht Ihr »Garten der Zukunft« aus?
Das wäre ein Garten der Vielen und ein Garten für viele. Das heißt, das sind Gärten, die divers sind auch im Sinne der Anwesenheit vieler Arten. Der »Garten der Zukunft« ist für mich einer, der den Unterschied zwischen wild und domestiziert nicht mehr so kennt, sondern in dem eine standortgeeignete Lebensgemeinschaft beheimatet ist, die im besonderen Maße an den Orten gedeihen kann, weil sie in dieser Form die Bedingungen findet, die gut für sie sind. Das heißt, Pflanzen, die sowohl gezüchtet sind, als auch sogenannte Wildformen, die insektenfreundlich sind, ihrerseits wieder ein stärkeres Vogelleben ermöglichen und damit eben auch gastfreundliche Gärten werden. Solche Gärten haben auch immer einen Naschanteil. Das ist auch etwas, das in vielen Gartenbewegungen, auch im Urban Gardening, durchgesetzt wird. Man stiftet Naschgärten und lädt Menschen ein: Hier kannst du auch gerne pflücken und ernten. Und diese Naschgärten sollten sich nicht nur freundlich an andere Menschen, sondern auch an andere Lebewesen richten.
Vielen Dank.