I m April 1934 wurde die »Hygiene-Akademie« am Deutschen Hygiene Museum in Dresden zur »Staatsakademie für Rassen- und Gesundheitspflege« umbenannt. Die Umbenennung war mit einer Erweiterung des Aufgabenfeldes und auch des Budgets verbunden. Die Veränderung im Namen und die damit verbundene neue Rahmung des Tätigkeitsfeldes dieser Fortbildungseinrichtung für Gesundheitspersonal ist charakteristisch für die Zeit des Nationalsozialismus: In vielen Bereichen von Kultur, Gesellschaft und auch in den Wissenschaften wurde einerseits an existierende Ideen, Programmatiken und institutionelle Strukturen angeknüpft, andererseits kam es zu teilweise gravierenden Umdeutungen und neuen Prioritätensetzungen. Für die Hygiene soll dies im Folgenden dargestellt werden.
Mit der universitären Etablierung im Kontext der Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte das Arbeitsfeld der Hygiene eine enorme Konjunktur erfahren, und durch die parallele Entdeckung von Bakterien als den Verursachern von gravierenden Krankheiten wie Tuberkulose, Syphilis oder Diphtherie eröffneten sich völlig neue Möglichkeiten der Krankheitsprävention und Bekämpfung. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert wurden Gesundheitsrisiken nicht nur in der Medizin, sondern auch in der breiten Bevölkerung ganz wesentlich als Kontamination mit gefährlichen Mikroben verstanden. In kürzester Zeit wanderte das bakteriologische Wissen vom Labor in Kinos, Küchen und Badezimmer. Der Kampf gegen die Mikroben wurde mit allen Mitteln geführt, angeführt vom Arsenal der Methoden aus der Bakteriologie und Hygiene wie etwa Impfungen oder Quarantäne, ergänzt durch Erziehungsprogramme und Beratungsstellen. Der Rückgang vieler Infektionskrankheiten wurde in der Bevölkerung und auch in der Sphäre der Kultur als Erfolg der Wissenschaften gefeiert. Gleichzeitig wurde die zunehmende Durchdringung des Alltagslebens durch bakteriologische Deutungen und dadurch legitimierte Praktiken wie Meldepflicht oder Zwangsbehandlungen bei bestimmten Infektionskrankheiten als ambivalent und kontrollierend erfahren.
Im Nationalsozialismus erfuhr diese Dynamik eine Radikalisierung, problematische Potenziale im Arbeitsfeld der Hygiene kamen zu einer besonders extremen Manifestation. Zunächst wurde, der Politik der sprachlichen Germanisierung folgend, der aus dem Griechischen stammende Begriff der Hygiene an vielen Stellen durch die Bezeichnung Gesundheitspflege ersetzt. Die Grundorientierung für dieses Tätigkeitsfeld entstand aus dem Selbstverständnis des Regimes, die in Biologie und Medizin beschriebenen »Gesetze des Lebens (…) zum Maßstab des Handelns für den Aufbau des Staates, der Gesellschaft und für Pflege und Entwicklung der den Staat tragenden Volks- und Rassengemeinschaft« zu machen, wie es in einem zeitgenössischen Hygiene-Lehrbuch von Zeiss und Rodenwaldt von 1937 hieß. Die Machthaber stützten sich damit auf die Autorität der biomedizinischen Wissenschaften. Komplementär begrüßten und unterstützten viele Repräsentanten dieser Wissenschaften die neuen politischen Instanzen, in der Erwartung, dass ihre Expertise nun zur Grundlage von Gesundheits-, Sozial- und Bevölkerungspolitik werden würde und dass in diesem Kontext neue Ressourcen zur Verfügung gestellt würden. 1935 wurde eine neue Reichsärzteordnung erlassen, die in Paragraf 19 die Aufgabe des Berufsstandes zusammenfasste: »Die deutsche Ärzteschaft ist berufen, zum Wohle von Volk und Reich für die Erhaltung und Hebung der Gesundheit, des Erbguts und der Rasse des deutschen Volkes zu wirken.« Damit war die Wertehierarchie markiert, an der sich die Ärzte auszurichten hatten: Das Wohl des Volkes war demjenigen des individuellen Menschen klar übergeordnet. Parallel wurde in diesem Dokument ebenso wie in zeitgenössischen Lehrbüchern der Hygiene und in öffentlichen Reden von Gesundheitspolitikern oder Medizinfunktionären ein besonderer Fokus der Gesundheitspflege deutlich gemacht, nämlich die sogenannte Erb- und Rassenpflege, auch als Eugenik oder Rassenhygiene bezeichnet: Gesundes oder besonders erwünschtes Erbgut sollte gezielt gefördert werden, während krankes oder aus anderen Gründen unerwünschtes Erbgut identifiziert und durch Einschränkung der Fortpflanzung letztlich »ausgemerzt« werden sollte. Die Bemühungen der Gesundheitspflege sollten also besonders auf das Wohlergehen der Rasse gerichtet werden. Diese wiederum wurde im Wesentlichen als Summe des »Erbguts« im deutschen »Volkskörper« verstanden. Neben den Erbanlagen war in dieser Programmatik auch die Umwelt von erheblicher Bedeutung: Körperpflege, Ernährung, Haushalt, Arbeitsleben und Freizeit sollten so gestaltet werden, dass erwünschte Erbanlagen in optimaler Weise zur Manifestation kommen könnten.
Weder die genannte Wertehierarchie mit dem Primat des Kollektivwohls noch die auf »Erbgut und Rasse« fokussierte »Gesundheitspflege« waren jedoch neu und spezifisch für die Zeit des Nationalsozialismus: Die Programmatik der Eugenik bzw. Rassenhygiene war bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert von dem britischen Statistiker Francis Galton und dem deutschen Arzt Alfred Ploetz formuliert worden, im frühen 20. Jahrhundert entstanden international eugenische Fachgesellschaften sowie eugenisch motivierte humangenetische Forschungseinrichtungen. Ebenso waren seit dem späten 19. Jahrhundert in wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten zu Fragen der Hygiene die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerung nicht nur zentrale Themen, sondern auch eine Wertsetzung, die explizit dem Individualwohl gegenübergestellt und häufig übergeordnet wurde. Im Kontext der Bekämpfung von Infektionskrankheiten etwa sollten Individualrechte zumindest vorübergehend eingeschränkt werden können, um die drohenden Gefahren für Volk und Staat abzuwehren. Die Sozialhygiene als Teilfeld der Hygiene, in dem diese Fragen diskutiert wurden, öffnete sich schon früh der Eugenik bzw. Rassenhygiene. Exemplarisch sichtbar wird dieser Zusammenhang in der Person von Ignaz Kaup, ab 1912 Inhaber der ersten Professur für Sozialhygiene, der parallel stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten sowie Vorstandsmitglied in der Gesellschaft für Rassenhygiene war.
Während der Stellenwert von Eugenik bzw. Rassenhygiene im Kontext des Arbeitsfelds der Hygiene bis 1933 zwischen Medizinern, Sozialwissenschaftlern, Juristen und politischen Instanzen kontrovers diskutiert wurde, ebenso die genaue Gewichtung von Individual- und Kollektivwohl bei spezifischen Maßnahmen, schuf der »neue Staat« ab 1933, durchaus unter Beteiligung der gleichen akademischen Berufsgruppen, eine Gesundheits- und Sozialpolitik, in der das Primat des Volkswohls und der Rasse handlungsleitend war. Neben der »Erbbiologie« oder Genetik, die als Grundlagenwissenschaft für die Rassenhygiene verstanden wurde, blieb die Bakteriologie weiterhin eine zentrale Bezugsdisziplin für die Hygiene: Zur Stärkung des »Volkskörpers« sollte die Bekämpfung von Infektionskrankheiten intensiviert werden, und insbesondere nach Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 stand die Seuchenbekämpfung weit oben auf der Agenda der Gesundheitspolitik. Gleichzeitig wurde die Sprache der Hygiene benutzt, um soziale Randgruppen und »Andersartige« wie Juden oder Sinti und Roma zu stigmatisieren und diskriminieren: Sie wurden als »schmutzig« und als Überträger von Infektionskrankheiten und »verdorbenem Blut«, in einer rhetorischen Eskalation dann als »Ungeziefer« oder »Eitergeschwüre« bezeichnet, die eine Bedrohung für die Reinheit und Stärke des Volkskörpers darstellten. In der Logik dieser Rhetorik wurden Maßnahmen der Seuchenbekämpfung nicht nur gegen die Mikroben als Krankheitserreger gerichtet, sondern im Zuge der Judenverfolgung auch gegen die Menschen, welche angeblich die Gesundheit des deutschen Volkskörpers bedrohten. Der Einsatz von Giftgas zur Entlausung von Kleidern und Gebäuden mit dem Ziel der Bekämpfung des Fleckfiebers wurde im Kontext des Holocaust zur zentralen Methode der Vernichtung der Juden.