»Der bewegte Mann« – dieser Comic aus der Feder von Ralf König ist spätestens seit der Verfilmung von Sönke Wortmann von 1994 berühmt. Heute sind Königs Comics Kult. Denn er hat Maßstäbe für den deutschen Comic gesetzt. Im Gespräch mit Theresa Brüheim beantwortet er Fragen rund um sein Schaffen.
Theresa Brüheim: Herr König, was ist Ihr Lieblings-Comic?
Ralf König: Ich liebe alles von Claire Bretécher, der großen Französin. Was für ein Strich! Nervös, aber treffsicher und hochkomisch! Der Carlsen Verlag hat neulich »Die Frustrierten« als Sammelband herausgebracht. Ich habe viel von Madame Bretécher gelernt.
Was motiviert Sie als Comic-Zeichner und -Autor? Wo finden Sie Inspiration?
Immer im Leben. Während ich lebe, denke ich zwar nicht immer »Das muss ich zeichnen«‚ aber wenn ich etwas zeichnen will, denke ich an das, was mir im Leben passiert ist oder was ich beobachtet habe. Noch ein Schuss Fantasie dazu, und es fließt von allein.
Wie sind Sie zu Comics und zum Comic-Zeichnen gekommen?
Eine Kindheitsleidenschaft. Ich habe Wilhelm Busch im Schrank meiner Eltern entdeckt, da konnte ich noch nicht lesen, aber die Bilderabfolgen verstehen. Und dann konnte mein Cousin bessere Donald-Duck-Schnäbel zeichnen als ich. Das packte meinen Ehrgeiz. Und dazu hatte ich immer eine blühende Fantasie und brachte meine Freunde hinter dem Kaspertheater zum Lachen.
Bereits mit 19 Jahren haben Sie erste Comics im Münchener Underground-Magazin »Zomix« sowie in der Schwulenzeitschrift »Rosa Flieder« veröffentlicht – wie haben sich Ihre Arbeit, Ihr Zeichenstil und Ihre Themenwahl seitdem entwickelt und verändert? Woran halten Sie aber vielleicht doch bis heute fest?
Wenn man wie ich sehr viel zeichnet, passiert auf dem Zeichenbrett eine kleine Evolution. Die Zeichnungen verändern sich unbemerkt, bei mir waren erst die Kinnladen sehr ausladend und die Nasen klein, das hat sich mit der Zeit verschoben. Ich habe nie gedacht, die Nasen müssen größer sein und runder. Es passiert. Thematisch bin ich immer dicht dran an Beziehungen und Sexualität. Und weil ich schwul bin, sind meine Nasen schwul, klar.
Sie haben beginnend vor über 40 Jahren Themen der Schwulenszene in den heterosexuellen Mainstream der Gesellschaft gebracht und gelten als Chronist der Schwulenbewegung – wie sehen Sie diese Bezeich-nung heute?
Auch das passierte einfach, ohne dass ich das geahnt oder gewollt hätte. Ich habe sehr oft aufgegriffen, was gerade los war – in der Gesellschaft und privat. Da war die anfangs sogenannte Homo-Ehe oder die grausame AIDS-Krise in den 1980er und 1990er Jahren, und später nach 9/11 auch das Wiederaufkommen religiöser Debatten. Wenn man das alles mit Comics kommentiert, ist man wahrscheinlich ein Chronist.
Worauf legen Sie aktuell in Ihrer Arbeit den Fokus?
Ich veröffentliche täglich Comic-Strips auf Instagram mit meinen Charakteren Konrad und Paul, die ich schon seit 1999 zeichne. Dabei geht es inzwischen viel ums Älterwerden. Ich bin plötzlich 62 und kann das kaum glauben. Ich finde es spannend, meine Figuren mit mir altern zu lassen, das passiert mit Comic-Figuren sehr selten. Lucky Luke war immer um die 30, und die Peanuts kamen nie in die Pubertät. Und meine Leserinnen und Leser sind auch älter geworden, die brauchen Trost und Humor und das Gefühl, mit ihren Midlifekrisen nicht allein zu sein.
Im Februar 2023 ist Ihr neuestes Werk »ABBA hallo« erschienen. Was erwartet die Leserinnen und Leser?
Das ist z. B. eine Sammlung dieser Instagram-Comics, die zweite schon. Die erste heißt »Vervirte Zeiten« und es geht um den ersten Corona-Lockdown. In »ABBA hallo« geht es um das Auslaufen von Corona und um »Voyage«, das erste ABBA-Album seit 40 Jahren. Und Paul verknallt sich wieder in einen haarigen schönen Kerl.
Welche Rolle spielt Humor als Stilmittel in Ihren Comics?
Die entscheidende. Ich bin in den Dialogen auf Lacher getrimmt. Aber ich kann mir auch erlauben, zwischenzeitlich für einige Seiten ernst zu sein, wie z. B. in meinem Buch »Super Paradise« über HIV und AIDS. Da haben Leute beim Lesen geweint. Das ist gut, es eröffnet mir eine große Spannweite des Erzählens.
Inwieweit ist es Ihnen ein besonderes Anliegen, Lachen mit einem politischen Moment der Reflexion zu verbinden?
Ich bin kein queerer Aktivist, ich will vor allem coole und geile Comics zeichnen. Aber weil meine Figuren selbstbewusst schwul sind und darum nicht rumjammern, waren sie wohl auch Vorlage für manches Coming-out und insofern auch politisch. Nur eben nicht mit erhobenem Zeigefinger. Mit Humor erreicht man einiges.
Wie blicken Sie heute auf die deutsche Comic-Szene?
Ich lese tatsächlich nicht viele Comics. Sie sind zu oft mit dem Computer gezeichnet oder koloriert, und früher waren »Comics für Erwachsene« derb und versaut, wie die amerikanischen »Underground Comix«, »Fritz the Cat« und so. Heute sind »Comics für Erwachsene« Graphic Novels mit gewollt gehobenem Anspruch. Mich langweilt das Leben von Otto von Bismarck als Bildergeschichte. Und derber Humor hat es mittlerweile schwer. Die Zeichner haben womöglich Angst, etwas politisch Unkorrektes zu zeichnen und den Shitstorm zu ernten.
Woran arbeiten Sie gerade? Was ist künftig von Ihnen zu erwarten?
Ich zeichne noch ein paar Wochen »Konrad und Paul« für Instagram und ein sinnfreier, etwas pornografischer Science-Fiction liegt auf dem Tisch, »Barry Hoden«. Und dann habe ich Lust, mir mal wieder neue Charaktere auszudenken, aber damit bin ich noch nicht weit. Die Evolution lässt sich nicht anschieben, es passiert von allein.
Vielen Dank.