Menschen auf der ganzen Welt leiden unter den Folgen des wärmeren Klimas. Forscherinnen und Forscher in Augsburg untersuchen gesundheitsrelevante Verknüpfungen von unterschiedlichen Umweltfaktoren. Die Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann verbindet die Themen Klima, Gesundheit und Hygiene auf in Deutschland einzigartiger Weise in Forschung und Lehre. Sandra Winzer spricht mit ihr über die Auswirkungen des Klimawandels auf Gesundheit, Hygiene, Gesellschaft und Kultur.

Sandra Winzer: Klimawandel, Gesundheit, Hygiene … inwiefern hängen diese Begriffe zusammen?

Claudia Traidl-Hoffmann: Der Klimawandel beeinflusst das ganze System Mensch. Wie auch das ganze System Erde. Viele Faktoren des Klimawandels sorgen bei Menschen für Hauterkrankungen, Lungenerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das führt nicht nur dazu, dass Volkskrankheiten vermehrt auftreten. Es gibt auch neue Erkrankungen: Infektionen oder vektorvermittelte Erkrankungen. Ein Beispiel ist das West-Nil-Fieber-Virus. Darüber hinaus gibt es z. B. neue Erreger in Gewässern. In der Ostsee gibt es einen Erreger – sogenannte Vibrionen, der über Wunden in den Körper gelangt. Es ist ein ganzes Portfolio von Erkrankungen, das der Klimawandel verursacht und/oder begünstigt.

Sie sagen: »Klimawandel triggert Volkskrankheiten«. Was ist da dran?

Das sind alles umweltbedingte, chronisch entzündliche Erkrankungen, die getriggert werden. Oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle. Aber auch mentale Erkrankungen werden begünstigt: Zukunftsängste, Depressionen, aber auch Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Demenz und Alzheimer. Diabetes wird durch die Erderwärmung auch schlimmer. Aber auch Folgeerkrankungen der Diabetes wie chronische Wunden. Auch sie verschlimmern sich gerade bei Hitze. Ein letzter großer Punkt sind die Allergien, die durch Veränderung von Ökosystemen häufiger und stärker auftreten. Pollen fliegen länger im Jahr, wir haben mehr Pollen pro Tag und auch neue Pollen. Das alles führt dazu, dass diese Volkskrankheiten massiv zunehmen.

Wie können wir Risikofaktoren aus der Umwelt erkennen?

Es gibt Informationssysteme über Schadstoffe in der Luft, aber auch z. B. über Pollen. In Bayern haben wir ein automatisches Polleninformationsnetzwerk. Dann gibt es auch Hitzewarnsysteme über den Deutschen Wetterdienst. Das sind aber viele unterschiedliche Informationsquellen, die die Recherche für den einzelnen Menschen nicht einfacher machen. Wir sind gerade dabei, alle uns bekannten Umweltgefahren in eine App reinzupacken. Mit der können wir die Menschen dann bestenfalls personalisiert vorwarnen. Eine ältere Dame müssen wir ganz anders warnen und ansprechen als etwa einen jungen Mann. Wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen versuchen, Menschen umfassend zu informieren – am besten über ein Medium.

Wie können wir Volkskrankheiten auch bei sich ändernden Umweltbedingungen verhindern und bekämpfen? Welche Möglichkeiten bleiben uns, auch gesundheitlichen Problemen gegenzusteuern?

Das große Thema ist die Prävention. Wir müssen dafür sorgen, dass wir gesund bleiben. Da gibt es viele Möglichkeiten. Man mag es kaum glauben, aber Rauchen ist ungesund. Man kann auf Rauchen verzichten, sich bewegen, sich gesund ernähren – es gibt viele Möglichkeiten, wie man seinen Körper gesund hält. Man kann auch versuchen, in einer Stadt zu leben, in der viel Grün ist. Da sind aber natürlich die Möglichkeiten des Einzelnen reduziert. Die Verantwortung, dass wir uns Lebensräume schaffen, die uns gesund halten, ist aber eine ganz große. Rauchen, Alkohol – das alles sind Dinge, die uns schleichend umbringen. Auf der anderen Seite brauchen wir auch eine Städteplanung, die Städte generiert, die gesund halten. Planungen, die eine hohe Artenvielfalt in den Städten begünstigen – mit Grünflächen, Sportmöglichkeiten und Unterstützung der mentalen Gesundheit. Es ist sehr vielfältig, aber das Schlagwort ist und bleibt Prävention. Es geht um die Gesunderhaltung einer Gesellschaft, die altert und natürlich auch durch die Pandemie weiter geschwächt ist. Wir haben natürlich durch die Pandemie viele Lungenerkrankte »produziert«.

Wurde die Coronapandemie durch den Klimawandel begünstigt?

Durch den Klimawandel nicht direkt, sondern eher durch die schwindende planetare Gesundheit. Der Mensch überschreitet immer mehr planetare Grenzen. Die Artenvielfalt spielt dabei eine große Rolle und das Eindringen des Menschen in Tierreiche, in denen er nichts zu suchen hat. Insofern ist es eher diese Krise der planetaren Gesundheit, über die wir sprechen.

Würden Sie sagen, wir müssen uns heutzutage auf noch stärkere Weise gesünder halten als zu Zeiten, in denen der Klimawandel noch nicht so fortgeschritten war?

Auf alle Fälle. Nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch wegen der nächsten Pandemie, die auf uns zukommt. Wer ist in der Coronapandemie umgefallen? Die Vorerkrankten und Alten. Alt zu werden – das ist der natürliche Verlauf und die einzige Möglichkeit, lang zu leben. Wir wollen aber gesund alt werden. Dafür können wir etwas tun.

Gehen die Folgen der Umwelthygiene auch über die eigene Körpergesundheit hinaus: Gibt es Auswirkungen auf Gesellschaft und Kultur?

Das ist ein riesiges Thema, weil durch den Klimawandel natürlich auch ganze Länder unbewohnbar werden. Insofern ist ein extrem hohes Konfliktpotenzial vorhanden, das das Gesicht der Welt verändern wird. Es wird eine der größten Völkerwanderung der Weltgeschichte entstehen. Die Menschen werden wegwollen von Orten, in denen sie schlichtweg nicht überleben können und hinwandern zu Regionen, die noch grün sind und wo man Essen findet. Es geht um grundsätzliche Dinge wie die Versorgung mit Wasser und Nahrung. Vor Kurzem ist erst der »Lancet Countdown 2022« veröffentlich worden. Er zeigt ganz klar auf, wie gerade das Thema Klimawandel sich auf die Gesundheit auswirkt. Wir brauchen Versorgungsstrukturen, die nachhaltig sind, aber auch verfügbar für die Menschen. Wir müssen uns ein gesundes Leben leisten können. Es kann nicht sein, dass sich Menschen, die arm sind, das 1-Euro-Fleisch kaufen müssen. Dass Menschen mit wenig Geld eben nicht das bessere Fleisch bekommen können. Wenn überhaupt Fleisch, dann direkt vom Bio-Bauern, vom Ort, der Fauna, Flora und das Tierwohl im Sinn hat. Das ist besser für den Menschen, das Tierwohl und die Umwelt. Darüber hinaus ist die Nahrungsmittelversorgung ein großes Thema. Ein weiterer Punkt ist die große Ungerechtigkeit, dass Menschen, die sowieso benachteiligt sind, durch Erkrankungen oder Wohnorte, weiter ein höheres Risiko für ihre Gesundheit haben. Wo leben Menschen, die weniger Geld haben? Mitten in der Stadt, direkt an der befahrenen Straße. Es sind jene Menschen, die schließlich langfristig massiv unter der Hitze und den Folgen des Klimawandels leiden werden.

Ihr Ansatz in Augsburg ist es, die Forschung zu vernetzen, mit Kliniken zusammenzuarbeiten und parallel weiter aufzuklären. Inwiefern kann die Wissenschaft hier künftig weiterhin ihren Beitrag leisten?

Die Wissenschaft muss erst einmal Wissenschaftskommunikation betreiben. Das wird mittlerweile großgeschrieben und auch ich habe es mir auf die Fahnen geschrieben, deswegen gebe ich auch gerne Interviews. Es geht darum, dass wir den Menschen erklären, was das alles bedeutet. Insbesondere müssen wir erklären, dass der Klimawandel nicht nur ein Problem für die Eisscholle des Eisbären ist, sondern dass es wirklich uns hier in Deutschland betrifft. Ich stehe gerade in Augsburg, es betrifft mich hier direkt vor Ort. Das müssen wir transportieren. Durch das Verständnis kommt dann hoffentlich auch in die Aktion. Einmal, dass wir Anpassungsstrategien entwickeln, aber auch, dass wir sehen, dass wir Grenzen der Anpassung haben. Wir können uns nicht, wie Markus Lanz einmal sagte, an eine vier Grad wärmere Erde anpassen. Das ist medizinisch nicht möglich. Da werden die Menschen sterben. Vier Grad mehr Wärme bedeuten massive Hitzeperioden in Deutschland. Je länger die Periode andauert, desto mehr Menschen werden sterben. Die Anpassung von uns Menschen hat medizinisch klare Grenzen. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass wir bei maximal zwei Grad Erwärmung bleiben. Am besten wären 1,5 Grad, wobei dieses Ziel wahrscheinlich schon verpasst ist.

Ihr Appell an die Menschen? Was wünschen Sie sich, das nach unserem Gespräch bei den Lesenden hängen bleibt?

Zuversicht. Die Zuversicht, dass wir als Menschheit wirklich den Sprung über den Abgrund schaffen. Die brauchen wir. Erst einmal geht es um die Macht der Einsicht, dass wir ein Problem haben. Danach aber muss Zuversicht folgen. Denn nur aus der Zuversicht heraus sind wir bereit, auch etwas zu tun. Zuversicht aber ist das, was ich mir für die Menschen wünsche.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2022 – 1/2023.