Der litauische Staat hat eine lange und komplexe Geschichte. Das heutige Litauen, das auf dem Territorium der alten baltischen Stämme entstand, wurde im 13. Jahrhundert vom christlichen Europa allseits anerkannt: 1251 erfolgte die Christianisierung des Landes, und 1253 wurde Mindaugas zum ersten König von Litauen gekrönt. Das Land dehnte sich schnell auf die Gebiete anderer baltischer Stämme und benachbarter ostslawischer Territorien aus. Im 14. bis ins frühe 15. Jahrhundert setzte sich insbesondere unter der Herrschaft der Großfürsten Gediminas, Algirdas und Vytautas die Expansion des litauischen Großherzogtums fort. Es umfasste damals nahezu das gesamte heutige litauische Staatsgebiet (außer der Region Klaipėda) sowie Belarus, einen Großteil der Ukraine, Teile Polens, Russlands und der Republik Moldau. Litauen entwickelte sich praktisch zu einem Reich, das von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte.

1385 bildeten Litauen und Polen die Union von Krewo und wurden strategische Verbündete. Im Jahr 1569 kam es durch die Realunion von Lublin zu einer noch engeren Anbindung an den historischen Partner Polen. Eine Polnisch-Litauische Union wurde gegründet, die Litauen und Polen zu Partnern machte, denen trotz gemeinsamer Herrscher eine gewisse Souveränität in Bereichen wie Gesetzgebung, Finanzen und Militärwesen zugestanden wurde. Diese Polnisch-Litauische Union zerfiel Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen der Aufteilung seiner Hoheitsgebiete zwischen Russland, Preußen und Österreich. Ab 1812 bis zum Ersten Weltkrieg befand sich der größte Teil des litauischen Staatsgebiets unter der Kontrolle des Russischen Kaiserreiches. Die Bevölkerung litt unter Repressionen, litauische Zeitungen wurden verboten und litauische Schulen geschlossen.

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs bot sich am 16. Februar 1918 die Gelegenheit, erneut einen litauischen Staat zu gründen, der jedoch mit Gewalt verteidigt werden musste. Die neu gegründete litauische Armee vertrieb die Rote Armee des bolschewistischen Russlands ebenso wie die Truppen der prodeutschen Freiwilligenarmee unter Führung von Pawel Bermondt-Awaloff. Zudem gelang es ihr, die Offensive der polnischen Streitkräfte aufzuhalten. Dennoch blieben Vilnius und Umgebung unter polnischer Besatzung. In der Zwischenkriegszeit erlebte die Republik Litauen einen Entwicklungsschub, dessen Fortschritte 1940 durch die sowjetische Besetzung im Rahmen des Molotow-Ribbentrop-Paktes wieder zum Stillstand kamen. Von 1941 bis 1944, in der Zeit des Holocaust, war Litauen von Nazideutschland besetzt. Danach musste Litauen von 1944 bis 1990 zum zweiten Mal eine Besatzung durch Russland erdulden. Jene Zeit war geprägt von stalinistischen Repressionen, Massendeportationen nach Sibirien und Kasachstan und einem Guerrillakrieg gegen die Sowjetunion. Die letzten 63 litauischen Partisanen wurden zwischen 1954 und 1969 getötet.

Heute achtet die litauische Armee sehr darauf, dass die Erinnerung an frühere Schlachten und deren Helden aufrechterhalten wird. Diese Tradition geht auf die Jahre zwischen 1919 und 1940 zurück, als man damit begann, Einheiten der litauischen Armee nach historischen Figuren des Großfürstentums Litauen zu benennen. Dabei handelte es sich zumeist um die litauischen Großfürsten Butigeidis, Vytenis, Gediminas, Algirdas, Kęstutis und Vytautas, König Mindaugas sowie die Grafen Margiris und Vaidotas, die sich im 14. Jahrhundert in den Kämpfen gegen den Deutschen Orden hervortaten, sowie um die Großfürstin Birutė, die Mutter von Vytautas – die einzige Frau, nach der eine litauische Armeeeinheit benannt wurde. Die Geschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts wurde zunächst weniger beleuchtet. Da Feindseligkeiten zum Polen der Zwischenkriegszeit einen Schatten auf die historische Periode warfen, als beide Länder noch Verbündete waren, wurde jene Zeit als verhängnisvoll wahrgenommen. Dennoch nannten sich Kavallerie-Einheiten der litauischen Armee Ulaner, Husaren und Dragoner.

Die moderne litauische Armee hält zwar weiterhin an den militärischen Traditionen der Zeit zwischen beiden Weltkriegen fest, hat es sich aber nicht nehmen lassen, einschneidende Korrekturen vorzunehmen. Während die Militärgeschichte Litauens vom 16. bis zum 18. Jahrhundert mittlerweile mehr Beachtung findet, sind es insbesondere die litauischen Schlachten des 20. Jahrhunderts, die auf großes Interesse stoßen. Dies gilt insbesondere für die Freiwilligeneinheit der litauischen Landstreitkräfte und für Spezialeinheiten, die sich als historische Nachfolger der antisowjetischen Partisanen verstehen. Viel Aufmerksamkeit wird auch den litauischen Unabhängigkeitskriegen von 1919 bis 1920 gewidmet. Am wenigsten Beachtung finden die Aufstände gegen das Russische Kaiserreich, die in den Jahren 1794, 1831 und 1863 bis 1864 stattfanden, da es in der Zwischenkriegszeit zu keiner Weiterentwicklung jener Tradition kam. Generell kommt dem Gedenken an den Kampf gegen Russland, insbesondere an die Zeit ab dem 16. bis zum 20. Jahrhundert, einschließlich der Kriege gegen das bolschewistische Russland und die Sowjetunion, die größte Bedeutung zu. Dies spiegelt nicht nur die schmerzhafte historische Erfahrung des litauischen Volkes, sondern auch die jüngsten geopolitischen Gegebenheiten wider.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2023.