Der Koalitionsvertrag steht, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP werden fast sicher zu einer Ampel-Regierung zusammenfinden und Olaf Scholz wird, wie geplant, im Dezember zum Bundeskanzler gewählt werden. Die Ära Merkel ist zu Ende.

Damit endet eine 16-jährige Erfolgsgeschichte christdemokratischer Kulturpolitik in der Berliner Republik. Doch zurück auf Anfang: Das Amt des Staatsministers oder der Staatsministerin für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt wurde 1998 in der ersten rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder eingeführt. Eigentlich der Rang eines Staatssekretärs, doch für den ersten Staatsminister Michael Naumann wurde eine Aufwertung des Staatssekretärs in ein Staatsministeramt erfunden und dabei blieb es. Auf Michael Naumann folgte in der Hälfte der Amtszeit Julian Nida-Rümelin und dann in der zweiten Regierung Schröder Christina Weiss. In ihrem personellen Kernbestand speiste sich die neue oberste Bundesbehörde aus der Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums, die zuvor für die Kulturpolitik im Inland zuständig war.

Auf der Haben-Seite des neuen Amtes, namens BKM, stand vor allem eine neue Aufmerksamkeit für Kultur und Kulturpolitik auf der Bundesebene. Insbesondere Michael Naumann ist es verdanken, dass das Thema in aller Munde war. Sehr zum Verdruss der Länder, die zusätzlich mit dem Satz, dass die Kulturhoheit der Länder »Verfassungsfolklore« sei, »auf die Palme getrieben« wurden. Gleichfalls auf der Haben-Seite kann unter anderem das Gesetz zur Buchpreisbindung, die Gründung der Kulturstiftung des Bundes, die Übernahme der Finanzierung der Akademie der Künste und des Jüdischen Museums Berlin sowie der Masterplan Museumsinsel verzeichnet werden. Bei all diesen Themen war der Streit mit den Ländern vorprogrammiert und prompt folgte er. Auf der Soll-Seite steht die Absenkung des Bundeszuschusses zur Künstlersozialkasse von 25 auf 20 Prozent sowie die Abschaffung der bereichsspezifischen Abgabesätze mit der Wirkung, dass die Künstlersozialkasse ganz infrage gestellt wurde. Weiter wurde die Deutsche Welle drastisch geschröpft und insbesondere in der Zeit von 2002 und 2005 konnte, trotz aller Bemühungen von Staatsministerin Christina Weiss, der Bundeskulturetat nicht gesichert werden. Die Bilanz nach sieben Jahren sozialdemokratischer Bundeskulturpolitik war also trotz allen Diskurses eher gemischt.

Im Jahr 2005 begann die Ära Merkel. Den Kulturbereich trieb die Sorge um, ob wieder zum Status quo ante zurückgekehrt und das BKM aufgelöst würde. Der Deutsche Kulturrat hatte sich schon im Vorfeld der Wahl dafür stark gemacht, dass am Amt festgehalten würde und ich selbst hatte die kühne, weil sehr umstrittene, Behauptung aufgestellt, dass ein »Politik-Profi« das Amt übernehmen müsse. Das war natürlich provokant, denn Michael Naumann hatte als Vorsitzender des Verlegerausschusses des Börsenvereins verbandspolitische Erfahrung, Julian Nida-Rümelin war Kulturdezernent der Landeshauptstadt München und trug in der SPD Verantwortung und Christina Weiss war zuvor zehn Jahre lang Hamburger Kultursenatorin. Die drei SPD-Kulturstaatsminister hatten also durchaus politische Erfahrung, gehörten aber nicht dem Deutschen Bundestag an und kannten sich auf der Bundesebene nicht wirklich aus.

Mit der Ernennung von Bernd Neumann zum Staatsminister für Kultur und Medien beendete Angela Merkel alle Spekulationen um eine Abschaffung des Amtes, sie wählte zugleich einen »echten« Politik-Profi, der seit 1987 dem Deutschen Bundestag angehörte und bereits als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium Erfahrungen in der Leitung einer Bundesbehörde gesammelt hatte. Anders als beim Feuilleton, das dieser Personalie eher kritisch gegenüberstand, reüssierte Neumann bei den Bundeskulturverbänden sofort. Zu seinem Erfolg trug aber nicht nur die stetige Erhöhung des Bundeskulturetats, die finanzielle Stärkung der Deutschen Welle und anderes mehr bei. Die Stärke von Neumann lag in der Moderation, im Gespräch, in seinen Verbindungen in das Parlament. Er wusste genau, dass er die Mitglieder des Deutschen Bundestags, insbesondere die Mitglieder des Kulturausschusses, für sich gewinnen musste und das gelang ihm auch parteiübergreifend. Sitzungen des Kulturausschusses, dem er zuvor bereits als Abgeordneter angehörte, waren für ihn »Pflichttermine«. Telefondiplomatie mit den Haushältern und anderen gehörte dazu. Wichtig war ihm ebenso der Dialog mit den Bundeskulturverbänden, so manche »Kuh konnte vom Eis geholt werden«. Gerne lud er auf der Terrasse vor seinem Büro im Bundeskanzleramt ein, in der prallen Sonne »kochte« er sein Gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes weich.

Ich erinnere mich noch sehr gut an einen von ihm eingerichteten Arbeitskreis, in dem 12 Punkte zum Urheberrecht erarbeitet wurden. Neumann ließ es sich nicht nehmen, persönlich dabei zu sein. Er trieb die anwesenden Juristen fast in den Wahnsinn, in dem er immer und immer wieder nachfragte und betonte, man möge es ihm, dem »Nicht-Juristen«, doch noch einmal genau erklären, was gemeint sei. Manche der anwesenden Juristen haben für ihre Fehleinschätzung, Neumann würde es an Sachkenntnis in dem Feld fehlen, heftig Lehrgeld bezahlen müssen.

Monika Grütters, seine Nachfolgerin, konnte ebenfalls auf eine parlamentarische Laufbahn, erst im Abgeordnetenhaus von Berlin und dann seit 2005 im Deutschen Bundestag, zurückblicken, als sie 2013 Kulturstaatsministerin wurde. Von 2009 bis 2013 war sie Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutschen Bundestags und damit mit den Debatten im Parlament bestens vertraut.

Ihre erste Amtszeit als Kulturstaatsministerin war von der Diskussion um das Kulturgutschutzgesetz geprägt. Ein Gesetz, das federführend von der BKM bearbeitet wurde. Dies war eine Besonderheit, denn bei anderen den Kulturbereich betreffenden Gesetzen wie dem Künstlersozialversicherungsgesetz oder dem Urheberrecht war das BKM »nur« mitberatend.

Die Diskussion um das Kulturgutschutzgesetz wurde höchst emotional und mit harten Bandagen geführt. Lange nicht aus der Deckung gewagt hatte sich Grütters, als es um die TTIP-Verhandlungen 2015 und besonders 2016 ging. Wurde anfangs noch gesagt, dass der Kulturbereich gar nicht von dem Handelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten betroffen sei, veröffentlichte Grütters schließlich zusammen mit dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Gabriel ein Papier, in dem rote Linien für den Kulturbereich aufgezeigt wurden. Da hatte sie gerade noch einmal die Kurve bekommen.

Die letzten beiden Jahre der Amtszeit Grütters waren von der Coronapandemie geprägt. Sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kämpften unermüdlich, dass der Kulturbereich bei den allgemeinen Hilfsmaßnahmen angemessen mitbedacht wird. Unsere Forderung nach einem großen Investitionsprogramm in die Kultur gerade in der Krise wurde von ihr aufgenommen. Mit NEUSTART KULTUR, so wurde das Investitionsprogramm später genannt, wurde ein 2 Milliarden starkes Hilfsprogramm an den Start gebracht. Die Besonderheit ist hier, dass die Konzeption der Hilfsprogramme, deren Ausgestaltung und Vergabe durch die Bundeskulturverbände, Stiftungen und künstlerischen Fonds erfolgte. NEUSTART KULTUR ist eine gemeinsame Kraftanstrengung von Politik und Zivilgesellschaft. Die Passfähigkeit der Programme zeigt, dass der Weg richtig war und ist.

Mit dem Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen besteht ein weiteres großes spezielles Bundesprogramm für den Kulturbereich mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Euro, das in enger Abstimmung mit den Ländern erfolgt. Grütters hat dafür gesorgt, dass wir als Vertreter der Zivilgesellschaft in die politische Umsetzung eng mit eingebunden wurden.

Ganz abgesehen von diesen Corona-Sonderprogrammen kann Grütters stolz auf kontinuierliche Steigerungen ihres Etats und einen stetigen Bedeutungsgewinn der Behörde, der sich auch in der Zahl der Beschäftigten, fast 400, widerspiegelt, zurückblicken. Zugleich wurde in der Pandemie der Status der Obersten Bundesbehörde im Bundeskanzleramt zur Bürde. Das BKM war eben kein gleichgewichtiger Partner, als es um die ersten Formulierungen des Infektionsschutzgesetzes ging, weshalb Kulturveranstalter sich im Gesetzestext in unmittelbarer Nähe von Bordellen im Freizeitbereich wiederfanden. Vielleicht hat dies »dem Fass den Boden ausgeschlagen«, sodass zum Ende ihrer Amtszeit auch Monika Grütters endlich ein eigenständiges Bundeskulturministerium forderte, was aber leider wegen der sozialdemokratischen Mutlosigkeit auch in der kommenden Regierung nicht installiert wird.

Und die Kanzlerin? Sie hielt sich in den 16 Jahren ihrer Amtszeit kulturpolitisch auffallend zurück, obwohl sie eigentlich als Bundeskanzlerin auch die Kulturministerin der Bundesrepublik Deutschland war. In der Pandemie veröffentlichte sie im Frühjahr 2020 einen Podcast, in dem sie speziell auf den Kulturbereich einging. Sie sprach zum 20-jährigen Jubiläum des BKMs und bei anderen großen kulturellen Anlässen. Und sie unterstützte den Aufbau der vom Deutschen Kulturrat initiierten »Initiative kulturelle Integration«. Außerdem war sie Stammgast der Wagner-Festspiele in Bayreuth. Viel mehr sichtbare Kulturpolitik von ihr gab es leider nicht.

Kulturstaatsminister Neumann und Kulturstaatsministerin Grütters gestalteten als ihre Staatssekretäre letztlich in eigener Verantwortung die Bundeskulturpolitik. Sie haben, mit Blick auf die Parteifarbe der Union, eine erfolgreiche schwarze Kulturpolitik entwickelt. Als gewählte Abgeordnete waren sie nicht auf das Wohlwollen und den Schutzschirm ihrer Chefin angewiesen. Dies hat zur Stärkung des Amtes beigetragen. Es ist zu hoffen, dass hinter das Erreichte nicht wieder zurückgefallen wird. Die 16-jährige Ära der schwarzen Kulturpolitik unter Kanzlerin und Kulturministerin Angela Merkel ist jetzt zu Ende! Die Ära der Grünen-Kulturpolitik auf der Bundesebene beginnt.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.