Comics sind ein fester Bestandteil unserer Alltagskultur: Sie begegnen uns online, im Regal von Buch- und Zeitschriftenhandel, im Kontext von Ausstellungen – und auch als Werbemittel. Eine Vielzahl von mehr oder minder sichtbaren Akteurinnen und Akteuren sorgt dafür, dass Comics entstehen und auf den Buchmarkt gelangen, dass sie beforscht, rezensiert und zum Gegenstand von Ausstellungen gemacht werden.

Bereits ein Blick in das Feuilleton der Tagespresse von FAZ bis taz zeigt, wie sehr sich das Medium in Bezug auf Genres, Themen und stilistische Umsetzung ausdifferenziert hat. Neben den traditionellen Comic-Genres, die in erster Linie für Jugendliche produziert wurden, wie z. B. Abenteuer, Fantasy, Science-Fiction und Western, sind hier unter anderem (Auto-)Biografie, Literaturadaptation, Dokumentation/Comic-Journalismus, Graphic Medicine und Wissenschafts-Comic zu erwähnen, die von einer wachsenden Anzahl von Verlagen herausgegeben werden. So haben sich unter anderem Bahoe Books in Wien, Edition Moderne in Zürich und Zwerchfell Verlag in Stuttgart auf Graphic Novels spezialisiert. Aber auch Traditionshäuser wie Suhrkamp und Reclam führen mittlerweile Comics in Buchformat im Sortiment. Lektorat, Übersetzung und Vertrieb sind einige der Tätigkeitsfelder innerhalb der Verlagsbranche, die von der jaja-Verlegerin Annette Köhn in »Verlagswesen« (Berlin 2021) humorvoll portraitiert wird und der das Schweizer Comic-Magazin »Strapazin« im März ihre 150. Ausgabe widmete.
Insgesamt zeichnet sich das Berufsfeld Comic durch eine große Vielseitigkeit im Spannungsfeld von Produktion, Distribution und Rezeption aus.

Dezidiert comicspezifische Ausbildungswege für Personen, die journalistisch und/oder wissenschaftlich über Comics schreiben oder Comic-Ausstellungen kuratieren wollen, gibt es im deutschsprachigen Raum jedoch noch nicht.

Während unter anderem im angloamerikanischen Raum und in Japan Bachelor-, Master- und selbst PhD-Studiengänge in Comics Studies angeboten werden und die damit verbundenen Lehrstühle und Stiftungsprofessuren für eine institutionelle Verankerung der Comic-Forschung sorgen, findet in den D-A-CH-Ländern die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Comics primär im Rahmen der Philologien und der Medienwissenschaften statt und steht in Abhängigkeit vom Forschungsschwerpunkt von einzelnen Lehrpersonen. Deren oft prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die nicht zuletzt durch #ichbinhanna Visibilität erlangten, führen dazu, dass nach Vertragsende Comics schnell nicht mehr Bestandteil der universitären Lehre sind. Analoges gilt für die künstlerische Comic-Produktion, für die es im deutschsprachigen Raum noch keinen regulären Ausbildungsweg und nur wenige Angebote gibt. Im comicaffinen Belgien wurde bereits Ende der 1960er Jahre an der Brüsseler École Supérieure des Arts Saint-Luc der erste Studiengang Comic gegründet. Die Anregung hierzu erfolgte durch Georges Remi, der unter seinem Künstlernamen Hergé Abenteuerserie »Tintin«, zu Deutsch »Tim und Struppi« schuf. Ein weiterer renommierter Studiengang existiert in der französischen Comic-Hochburg Angoulême an der École européenne supérieure de l’image. Wer in der D-A-CH-Region Comic-Zeichnerin oder Comic-Zeichner werden will, kann die hierfür notwendigen Fertigkeiten wie das analoge und digitale Skizzieren (pencils) des Layouts, das professionelle Einfügen der Schrift (lettering), das Nacharbeiten mit Tinte (inks) und das Kolorieren (colors) am ehesten an Hochschulen erwerben oder vertiefen, die Studiengänge wie Illustration, (Graphic-)Design oder Visuelle Kommunikation anbieten, so z. B. an der Hochschule Hannover bei Ulli Lust, bei Anke Feuchtenberger an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg oder an der Kunstschule Wien bei unter anderem Walter Fröhlich.

Der Schwerpunkt der Ausbildung der oben beispielhaft genannten Institutionen liegt hierbei auf der Bilderzeugung und dem Erlernen der hierfür benötigten Techniken. Ein Alleinstellungsmerkmal des Comics ist aber gerade die Kombination von Bild und Text – und die Existenz einer durchdachten Textgrundlage (Szenario) ist hierfür essenziell.

Gerade das Erstellen von Szenarios ist in der Lehre an deutschsprachigen Hochschulen jedoch unterrepräsentiert – und das hat Auswirkungen.

Der Mangel an comicspezifischen Studiengängen ist ein Indiz dafür, dass Comics immer noch unterschätzt werden. Hier braucht es dringend ein strukturelles Umdenken, um die künstlerisch-wissenschaftliche Auslotung der Potenziale des multimodalen Mediums voranzutreiben. Ich freue mich darauf, die Comics Studies an der Merz Akademie – Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien Stuttgart zu etablieren, einer Institution, die seit ihrer Gründung im Jahr 1918 für das kritisch reflektierte Zusammenspiel von Gestaltung, Kunst und Theorie steht. Hierdurch wird nicht nur das mediale Spektrum des Hauses ergänzt, sondern auch das Lehrangebot des aufstrebenden Wissenschaftsstandorts Stuttgart, dessen Comic-Affinität bereits durch die Nähe diverser comicaffinerer Institutionen von Verlagen bis zu den Comic-Tagen verbürgt ist, um ein Alleinstellungsmerkmal bereichert.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.