Comics sind aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Sie füllen Regale in Buchläden und Bibliotheken; sie erhalten Auszeichnungen und bereichern den Schulunterricht; sie werden an Universitäten erforscht, in Archiven gesammelt und von vielen gelesen.

Der Begriff »Comics« stammt aus dem Englischen, verweist auf komische Inhalte und konkurriert gleichzeitig mit anderen Bezeichnungen. In Frankreich spricht man von der Bande dessinée, in Italien von Fumetti, in Japan von Manga; in Deutschland kursierte früher die Bezeichnung Bildergeschichte, bevor sich im 20. Jahrhundert »Comics« als Sammelbegriff durchsetzte. Jede dieser Bezeichnungen markiert eine andere Perspektive auf die Geschichte des Mediums.

Schon die Frage nach den Ursprüngen ist schwer zu beantworten. In seiner Comic-Einführung »Understanding Comics« von 1993 identifiziert der US-Amerikaner Scott McCloud die Bilderzählungen der Maya im präkolumbischen Mesoamerika (ca. 600 n. Chr.) als frühe Vorläufer. Weitere Beispiele sind jahrtausendealte ägyptische Wandmalereien und der Teppich von Bayeux um 1070 n. Chr.

Der britische Forscher David Kunzledatiert die Anfänge des Comics in seinem Buch »The Early Comic Strip« von 1973 dagegen auf die Zeit von 1450 bis 1825. Nach Kunzle legen GutenbergsErfindung der Druckerpresse und die Verbreitung des Buchdrucks den Grundstein für den Comic als modernes, sequenzielles (Folge von Einzelbildern), intermediales (Verschränkung von Bild/Text), populäres Massenmedium. Religiöse und politische Pamphlete, Kriminalreportagen, Historienmalerei entwickeln in europäischen »broadsheets« neue Formen des grafischen Erzählens. Im 18. Jahrhundert waren es die gemalten und in Kupfer gestochenen Gesellschaftsporträts eines William Hogarth – darunter »A Harlot’s Progress« (1732) und »A Rake’s Progress« (1735) – die zur Popularisierung sequenzieller grafischer Erzählformen beitrugen, auch wenn Text und Bild noch weitgehend nebeneinanderstanden und die comictypische Sprechblase fehlte. Das ist bei den Arbeiten des Schweizers Rodolphe Töpffer ebenso der Fall, doch dessen »Histoires en Estampes« – »Les Aventures de Mr. Vieux Bois« von 1827 und »Histoire de M. Crepin« von 1837 – nähern sich der Form des modernen Comics durch die Abfolge gerahmter Panels und mit leichtem Strich gezeichnete Figuren an. In Deutschland nehmen die Bildergeschichten des Wilhelm Busch Einfluss auf die Entwicklung des Comics; in Großbritannien gelten Marie Duval und Charles Henry Ross mit ihrer Serienfigur Ally Sloper (ab 1867) als Comic-Pioniere. Politische Karikaturen in Humor Magazines, wie »Le Charivari«, »Lustige Blätter«, »Punch«, »Puck«, sind weitere Wegbereiter des Comics. Wie wir sehen, kann die Geschichte des Comics mehrere Jahrhunderte oder gar viele Jahrtausende umfassen, und sie ist nicht zwangsweise eine Domäne des Westens. Eine japanische oder lateinamerikanische Geschichte des grafischen Erzählens wird eigene Vorläufer identifizieren, eigene Periodisierungen vorschlagen und eigene Charakteristika auswählen.

Doch der moderne Comic entsteht zweifellos in den USA ausgangs des 19. Jahrhunderts. Witzige Serienfiguren wie »The Yellow Kid« und »Buster Brown« von Richard Outcault, die »Katzenjammer Kids« von Rudolph Dirks oder »Happy Hooligan« von Frederick Burr Opper machen die Zeitungslandschaft unsicher und werden schnell populär. Ob großformatig auf Sonntagsseiten oder in kurzen Panelsequenzen unter der Woche, der Experimentierfreude sind kaum Grenzen gesetzt. Winsor McCay entführt in »Little Nemo in Slumberland« von 1905 bis 1913 die Leserinnen und Leser in fantastische Landschaften und passt Größe und Form der Panels dem Inhalt der Erzählung an. George Herriman perfektioniert mit »Krazy Kat« von 1913 bis 1944 das Spiel mit der Formsprache des Mediums.

Sind die frühen Strips noch episodisch angelegt, erzählt Bud Fisher in »Mutt and Jeff« ab 1907 die Erlebnisse seiner Figuren von Folge zu Folge weiter. Sidney Smiths »The Gumps« ab 1917 und Frank Kings »Gasoline Alley« ab 1918 erweitern dieses Prinzip, und ganz Amerika fiebert mit. In den 1930er und 1940er Jahren begeistern Abenteuer- und Science-Fiction-Strips wie Milton Caniffs »Terry and the Pirates« ab 1934 und Alex Raymonds »Flash Gordon« ab 1934. Zeichnerinnen wie June Tarpé Mills (»Miss Fury« ab 1941) und die afroamerikanische Jackie Ormes (»Torchy Brown« ab 1937) komplettieren das männlich dominierte Comic-Business.

Mit Superheldinnen und -helden wie »Superman«, »Batman«, »Wonder Woman« und »Captain America« entsteht Ende der 1930er und Anfang 1940er Jahre ein neues Genre. Statt in kleinen Dosen in der Tageszeitung erreichen diese Comic-Hefte ihr Publikum in größeren Abständen – meist monatlich – als eigenständige Publikationen. Die Geschichten erstrecken sich zudem über viele Seiten; Zeichner wie Jack Kirby haben Platz für spektakuläre Kampfszenen und detaillierte Stadtszenerien. Heldenpathos und Nationalstolz während des Zweiten Weltkriegs befeuern die Lust auf neue Abenteuer der mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestatteten Superheldinnen und -helden.

Nach dem Krieg werden weitere Genres populär: Horror-, Krimi- und Romantik-Comics stehen hoch im Kurs. Wie in Deutschland, wo Comics in den 1950er Jahren im Zuge der Schund-und-Schmutz-Diskurse in Verruf geraten, debattiert man in den USA über ihr kinder- und jugendgefährdendes Potenzial. Mit Fredric Werthams Anklageschrift »Seduction of the Innocent« von 1954 und Anhörungen vor dem US-Kongress erreicht die moralische Panik ihren Höhepunkt. Es folgt die Gründung einer Prüfstelle, die die Comics kontrolliert und subversive Inhalte verhindert. Trotz dieser inzwischen aufgehobenen Einschränkungen erfreuen sich vor allem Superheldinnen und -helden auch heute noch großer Beliebtheit. Kaufte man die Heftchen anfangs am Kiosk, war ab den 1980er Jahren der Comic-Buchladen die wichtigste Anlaufstelle. Das Internet ermöglicht seit einigen Jahren digitale Ausgaben und befördert Online-Fankulturen; globale Franchisemodelle, wie Fernsehserien, Blockbuster-Verfilmungen, Computerspiele, tragen zur transmedialen Adaption des Comics bei.

In den 1960er Jahren agieren Underground Comix als stilistischer und thematischer Gegenpol zur kulturindustriellen Massenware. Comicschaffenden wie Robert Crumb, Justin Green, Aline Kominsky-Crumb und Trina Robbins geht es um individuelle Zeichenstile und persönliche Erfahrungen statt Genre-Konventionen und Mainstream-Ästhetik. Tabubrüche und Themen der »Counterculture« sind an der Tagesordnung. Im Zuge des »second-wave feminism« thematisieren Publikationen wie die Anthologie »Wimmen’s Comix« von 1972 bis 1992 weibliche Lebensrealitäten und kritisieren patriarchale Strukturen. Gegenwartsautorinnen wie Alison Bechdel, Lynda Barry und Phoebe Gloeckner führen diese Tradition fort.

Zu den bedeutendsten Vertretern der darauffolgenden Alternative Comics zählen neben Will Eisner, dessen »A Contract with God« von 1978 oft als erste Graphic Novel gehandelt wird, und Harvey Pekar auch das langlaufende »Love and Rockets« der mexikanisch-amerikanischen Hernandez-Brüder, der Comic-Journalismus von Joe Sacco sowie die Genregrenzen sprengenden Werke von Chris Ware, Gene Luen Yang und Emil Ferris. Alternative Comics sind eng mit dem Aufstieg der Graphic Novel ab den 1980er und 1990er Jahren verbunden. Graphic Novels werden meist von einzelnen Autorinnen oder Autoren verfasst, die einen eigenen Stil präsentieren, »literarische« Themen behandeln und inzwischen zu den meistverkauften Comics gehören.

Einen besonderen Moment in der Geschichte des Comics stellt die Publikation drei richtungsweisender Werke im Jahr 1986 dar: Frank Millers »Batman: The Dark Knight Returns«, eine radikale Neuausrichtung des Superhelden als eine von moralischen Zweifeln geprägte Figur; Alan Moore und Dave Gibbons’ »Watchmen«, das die Geschichte der Superhelden-Comics kritisch beleuchtet; der erste Band von Art Spiegelmans Holocaust-Erzählung »Maus: My Father Bleeds History«, das den Comic als ein komplexen historischen Sujets gewachsenes und erzählerisch innovatives Medium etabliert.

Heute bespielen Comics nahezu alle denkbaren Genres und liefern neben fiktionalen Geschichten für Jung und Alt auch Historisches, (Auto-)Biografisches und Dokumentarisches. In Frankreich gilt die Bande dessinée als Neunte Kunst; in Japan gehören Manga seit den Erfolgen von Mangaka wie Osamu Tezuka ab den 1950er Jahren zum festen Bestandteil der Publikationslandschaft; Serien wie »Dragon Ball« (1984-1985) von Akira Toriyama und »Sailor Moon« (1992-1997) von Naoko Takeuchi werden weltweit exportiert. In Deutschland zählen Manga neben den klassischen Importen aus Belgien und Frankreich – Hergés »Tim und Struppi«; Uderzo und Goscinnys »Asterix & Obelix«; Morris’ »Lucky Luke« – und »Walt Disneys Lustige Taschenbücher« zu den meistverkauften Publikationen. Jenseits von Manga gehören Ralf König, Anke Feuchtenberger, Ulli Lust, Isabel Kreitz, Barbara Yelin, Reinhard Kleist und Birgit Weyhe zu den wichtigsten deutschsprachigen Vertretern des Mediums.

Es ist genau diese Vielfalt, die den Comic seit seinen Anfängen – wo immer man ansetzt – ausmachen. Seine Wandlungsfähigkeit und verhältnismäßig einfache Herstellung machen ihn zu einem weltweit populären Medium mit unterschiedlichen lokalen, regionalen, nationalen und transnationalen Ausprägungen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.