Wer sammelt Comics? Welche Hefte sind besonders begehrt? Und was macht Comics zum Kulturgut? Der Journalist, Autor und leidenschaftliche Comicsammler Alex Jakubowski gibt im Gespräch mit Sandra Winzer Antworten auf diese Fragen und mehr.

Sandra Winzer: Herr Jakubowski. Sie sammeln seit vielen Jahren Comics. Wodurch wurde Ihre Sammelleidenschaft entfacht?

Alex Jakubowski: Wie viele andere habe ich als Kind Comics gelesen: die lustigen Taschenbücher »Asterix «, »Lucky Luke « – hatte ich auch im Urlaub dabei. In der Pubertät verlor das Ganze an Bedeutung. Im Studium, Anfang der 1990er Jahre, entdeckte ich in Berlin auf dem Flohmarkt neue Panini Spider-Man-Hefte. Da funkte es und ich fing an, diese Reihe zu sammeln. Als ich später Reporter bei ARD-Aktuell war, wollte ich mich nicht nur mit Wirtschafts- und Finanzthemen beschäftigen und begann auch über Kulturthemen zu berichten. Auf der Buchmesse berichtete ich unter anderem über Comics und deren Autorinnen und Autoren sowie Zeichnerinnen und Zeichner. Meine Comic-Leidenschaft wurde größer, ich war öfter in den Frankfurter Comicläden. Daraus entwickelte sich die Idee, ein Buch über Comic-Sammler zu schreiben. Ich wollte zeigen: Wer sind diese Menschen, welche Leidenschaft treibt sie an?

Was zeichnet den Typus »Comic-Sammler« aus?

Er ist immer auf der Suche nach dem letzten fehlenden Stück. Dabei ist es egal, ob es um eine Comic-Reihe geht oder um die vollständige Sammlung eines bestimmten Zeichners. Die Sammelnden wollen aber nicht nur besitzen, sie wollen auch viel wissen. Neben den Inhalten interessieren sie sich stark für die Macherinnen und Macher hinter den Comics. Sie beschäftigten sich mit Sekundärliteratur und suchen den Austausch mit den Texterinnen und Textern sowie Zeichnerinnen und Zeichnern.

Wahre Expertinnen und Experten also …

Das stimmt. Sammler sind in ihrem jeweiligen Sammelgebiet umfassend informiert. Thomas Wilde, genannt: Thowi, aus Leipzig etwa ist in Sammlerkreisen ein großer Experte für DDR-Comics. Andere sammeln vor allem Originalseiten. Sie wissen, wann sie entstanden sind, wer daran mitgearbeitet hat, wer die Vorzeichnung, die Tuschezeichnung und wer die Kolorierung gemacht hat.

Wenn ich mit dem Comic-Sammeln beginne. Womit fange ich an?

Ich glaube, es beginnt in dem Moment, in dem man feststellt: Hoppla, ich habe einen laufenden Meter im Regal mit Comics gefüllt. Dann kann man entscheiden, ob man etwa Mangas sammelt, Disney-Comics oder Superman-Hefte. Das passiert bei einigen unbewusst, andere spezialisieren sich. Ich kenne einige Sammlerinnen und Sammler, die sich begrenzen, weil der Platz einfach nicht ausreicht. Sie konzentrieren sich dann etwa auf Batman – allein hier gibt es unzählige Zeichnerinnen und Zeichner, »Batman« ist ein riesiges Sammelgebiet. Ich persönlich liebe Klassiker. Von Zeit zu Zeit muss ich aus Platzgründen aussortieren. Neuere Graphic Novels müssen schonmal weichen.

Graphic Novels sind im Grunde Comics in Buchform. Inwiefern hat sich der Comic im Laufe der Jahre entwickelt?

In meiner Generation gab es im Kindesalter vor allem »Superman«, »Micky Maus«, »Fix und Foxi«, »Asterix«, »Lucky Luke« sowie »Tim und Struppi«. Die franko-belgischen Klassiker und die amerikanischen Superhelden und Disneyfiguren. Irgendwann kamen die Graphic Novels. Dieser Begriff unterstützte es, dass Comics auch in die Buchläden kamen. Es ist viel Autobiografisches dabei, selbst von jungen Menschen. Natürlich werden dabei viele Themen angesprochen, die es so im Comic-Bereich noch nicht gab. Das Outing eines schwulen Zeichners etwa, die Lebensgeschichte der eigenen Familie. In Darmstadt gibt es die Zeichnerin Paulina Stulin, die einen Comic über ihr Leben veröffentlicht hat. Nicht, weil ihr Leben so außergewöhnlich ist oder weil es starke Brüche hatte – sie hat einfach gezeichnet, was sie erlebt hat. Damit war sie sehr erfolgreich.

Spielt Political Correctness heutzutage eine größere Rolle in den Heften?

Die Frage nach der Political Correctness muss man stellen. Es gibt Debatten darüber, ob stereotype Darstellungen aus den 1950er Jahren, heute noch so veröffentlicht werden können. Jüngstes Beispiel ist die Figur eines Zombies, der mit dicken Lippen und dunkler Hautfarbe in einem Disney-Comic mit Onkel Dagobert auftrat. Aus heutiger Sicht ein No-Go. Anderes Beispiel: die queere Community. Sie kommt in den Comics von vor 50 Jahren nicht vor. Heute beschäftigt sich die Gesellschaft viel stärker damit. Im Grunde ist es, ähnlich wie bei Romanen. Die Inhalte beziehen sich auf gesellschaftliche Entwicklungen und Phänomene.

Was ist aus Ihrer Sicht bedeutender. Grafik oder Inhalt?

Wenn mich ein Comic zeichnerisch nicht anspricht, lasse ich ihn eher liegen als umgekehrt. Andererseits bin ich auch enttäuscht, wenn die Zeichnung zwar toll, der Plot aber nicht gelungen ist. Ein positives Beispiel ist für mich die Krimiserie »Blacksad «. Zunächst dachte ich: nicht schon wieder Menschen mit Tierköpfen. Die Serie hat aber eine erzählerische Dynamik und Tiefe, die sensationell ist. Man schlägt die ersten zwei Seiten auf und wird regelrecht eingesaugt – wie beim Film.

Ob Grafik oder Inhalt wichtiger sind, muss jeder für sich selbst entscheiden. Skeptisch werde ich nur, wenn ich beim zeichnerischen Handwerk Zweifel habe. Comiczeichnen ist eine Kunst. Mich sprechen ausgefeilte, detailreiche Seiten an. Ich kann aber auch reduzierte Zeichnungen toll finden. Die von Nicolas Mahler beispielsweise. Ein Wiener Zeichner, der gern Literaturklassiker wie Franz Kafka oder James Joyce umsetzt. Sein reduzierter Strich ist beeindruckend – der sitzt einfach.

Ist die Nachfrage nach Comics gestiegen?

Interessanterweise ist der Comic-Bereich einer, der in Coronazeiten sehr stabil war, was die Verkaufszahlen betrifft. Der Manga-Bereich der japanischen Comics zählt sogar zu den am stärksten wachsenden in der gesamten Buchbranche. Auch hier gibt es tolle Klassiker, bei denen die Zeichnungen weit über das Klischee der »Kulleraugen-Figuren « hinaus gehen. Landschaftszeichnungen wie bei »Gipfel der Götter « von Jirō Taniguchi etwa. Hier gibt es fantastisch gezeichnete fünf Bände mit über 1.000 Seiten.

Comics können von vielen Menschen konsumiert werden. Familien, junge und alte Menschen, Analphabetinnen und Analphabeten oder Menschen, die die Sprache nicht sprechen. Ist das Comic-Publikum besonders divers?

Jein. Ich glaube schon, dass es Comic-Interessierte in allen Berufsgruppen und Bildungsschichten gibt. Der Satz »Wer Comics liest, liest keine Bücher« ist ein Irrglaube, die »Schunddebatte« haben wir hinter uns gelassen. Trotzdem ist es durchaus so, dass die meisten der Comic-Lesenden und -Sammelnden Männer sind. Im Bereich »Manga« gibt es allerdings vermehrt Frauen. Vor Kurzem war ich auf dem sogenannten »Donaldisten-Kongress« in Frankfurt. Hier trifft man auf Menschen, die sich wissenschaftlich mit Entenhausen beschäftigen. Als ich nach dem klassischen Typ des »Donaldisten« fragte, sagte man mir: Professoren seien überrepräsentiert. Das Bildungsniveau ist hier offenbar extrem hoch.

Es gibt Underground-Comics mit pornografischen oder mystischen Inhalten. Gibt es hier eine Art Schwarzmarkt, der Comics anbietet, die auf Messen nicht zu finden sind?

Das Underground-Genre wurde vor allem durch Robert Crumb bekannt. Ich erinnere mich, dass in den 1980er Jahren Hefte von ihm unter dem Ladentisch lagen. Man musste gezielt danach fragen. Mittlerweile steht er in großen, klassischen Buchläden in der Auslage, seine Hefte haben aus heutiger Sicht wenig Anstößiges mehr. Man beschäftigt sich eher mit dem Autor und fragt, warum er das Frauenbild hat, das er zeigt. Natürlich gibt es immer noch Comics mit expliziten Inhalten. In meiner Wahrnehmung hat das aber nicht zugenommen. Rund um die 1980er Jahre gab es außerdem das Magazin »Schwermetall«. Hier druckten viele Zeichner ihre Werke ab mit nackten Frauen, Sexszenen oder Gewalt. Das war damals etwas Neues. Momentan führen solche Comics aus meiner Sicht allerdings weiterhin ein Nischen-Dasein.

Der Kontakt zu anderen Sammelnden hat erst mit den Jahren bei Ihnen zugenommen. Zu welchen Anlässen kommen Menschen aus der Comic-Szene in der Regel zusammen?

Als ich für mein Buch über Comic-Sammler recherchierte, fragte ich meine Comic-Händler nach bekannten Sammlern. Treffpunkte sind regionale Stammtische, aber auch große Comic-Veranstaltungen. Dazu zählt etwa der Comic-Salon in Erlangen und auch das Comic-Fest in München. In Aachen gibt es die Comiciade, in Luzern das Fumetto und viele mehr. In der Regel trifft man immer wieder dieselben Menschen. Die Gespräche handeln oft von Neuerwerbungen. Manche freuen sich, wenn man von einem neuen Schatz in der eigenen Sammlung erzählt. Andere sagen »Ach, das hätte ich auch gern«. Es ist ein freundschaftlicher Wettbewerb.

Sicher gibt es auch Comics, die zu horrenden Preisen verkauft werden. Oder?

In großen Auktionshäusern werden mittlerweile durchaus sechs- oder siebenstellige Summen ausgerufen. Allerdings vor allem für Originalzeichnungen, oder für sehr alte amerikanische Superman-Hefte etwa. Davon kann man dann in der Presse lesen. Das hat aber mit den mir bekannten Sammlern wenig zu tun. Solche Summen geben meist Anleger aus, die sich zum Beispiel ein sehr selten angebotenes Original-Cover von Tim & Struppi ins Depot legen. Das zeigt, dass Comics auch auf dem Kunstmarkt angekommen sind. Einige Sammler, die ich kenne, haben in früheren Jahren Comic-Originale günstig gekauft und hätten jetzt sicherlich eine hohe Rendite beim Weiterverkauf. Da kann es schonmal Steigerungen von wenigen 100 Euro auf einen fünfstelligen Betrag geben. Die meisten wollen aber gar nicht verkaufen.

In Ihrem Buch war es Ihnen wichtig, die Menschen nicht als »Nerds« darzustellen. Was verstehen Sie unter einem Nerd und würden Sie sagen, es ist Ihnen gelungen?

Das Bild des »Nerds« hat sich stark gewandelt. Früher galt der Nerd als jemand, der im dunklen Keller sitzt und etwas tut, von dem keiner etwas wissen soll. Heutzutage sind die sogenannten Nerds aus den 1980er Jahren Multimillionäre. Sie haben Google, Microsoft und Apple gegründet. Der pubertäre, lebensfremde Junge, der im stillen Kämmerlein Comics liest, ist überholt. Ich erlebe, dass Comic-Sammelnde eine hohe Leidenschaft für die Sache besitzen und in ihrem Bereich wahre Experten sind. Falls sich jemand in meinem Buch als Nerd dargestellt fühlen sollte, dann bin ich auch gerne ein Nerd. Ich empfinde diesen Begriff eher als positiv.

Warum gehören Comics in den Kulturbereich?

Wenn man sich anschaut, wie aufwendig manche Zeichnung ist, kommt man nicht umhin, Comics als Kunst zu betrachten. Es steckt eine Geschichte dahinter, ein Konzept mit Storyboard und Vorzeichnungen. Teilweise beschäftigen sich Zeichnende jahrelang mit einem Comic. Es vereint das Schönste aus Bild und Text. Das zeichnet ihn aus.

Lesen Sie bei einem Comic zuerst den Text oder betrachten Sie zuerst das Bild?

Bei einem Disney-Comic schaue ich eher auf den Text. Bei Mœbius, meinem Lieblingszeichner, haut mich oft die Opulenz des Bildes um. Dann lasse ich mich darauf ein. Beim Comic-Lesen habe ich aber keine feste Regel.

Lesen Kenner einen Comic langsamer, als Nicht-Kenner, weil sie sich intensiver mit den Bildern beschäftigen?

Kenner lesen Comics mehrfach, würde ich sagen. Ein Beispiel: Ralf König hat vor zwei Jahren eine Hommage zu Lucky Luke gemacht. Das war etwas Besonderes, weil er als deutscher Zeichner einen franko-belgischen Klassiker zeichnen durfte. Auf jeder Seite hat er so viele Gags eingebaut, dass ich sie beim ersten Lesen gar nicht alle bemerkt habe. Ich habe den Comic mittlerweile zum vierten Mal gelesen, und entdecke immer noch neue Witze, auch auf der Metaebene.

Welches sind aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte für das Genre »Comic«?

Digitales Comic-Lesen ist für mich persönlich nichts. Ich muss die Seiten in meinen Händen halten. Es gibt Zeichner, die sich mit den Möglichkeiten des Comics an sich auseinandersetzen. Da gibt es Seiten mit einem ausgestanzten Loch in der Mitte. Liegen sie übereinander, merkt man es nicht. Dass ein Loch existiert, sieht man erst beim Umblättern, und trotzdem passen die Seiten zueinander. Es wird viel experimentiert, oft entstehen geniale Dinge. Inhaltlich werden sich die Themen mit der Gesellschaft weiterentwickeln. Künstliche Intelligenz z. B. könnte hier verstärkt auftauchen. Ich bin gespannt.

Wann hört für Sie das Sammeln auf?

Entweder meine Sammlung ist vollständig – oder ich lese die Comics nicht mehr. Es geht mir nicht nur ums Besitzen, sondern auch um das Lesen. Aber es gibt durchaus Teile von Sammlungen, die man kauft, um sie zu haben. Im Bereich »Superhelden« gibt es sogenannte Variant-Cover. Die Hefte sind inhaltlich identisch, nur die Cover wechseln. Ich lese also ein Heft und sammele dazu zwei bis fünf weitere mit anderem Cover, die ich nur aufbewahre und mich an ihrer Anwesenheit erfreue. Wenn ich alle Variant-Cover von Spiderman habe, dann werde ich mit meiner Sammlung sehr zufrieden sein. Da gibt es aber sehr viele.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.