Daniel Donskoy ist Schauspieler, Regisseur und Musiker – und seit letztem Jahr auch Kopf und Gesicht der mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Talkshow »Freitagnacht Jews«. Nun ging diese in Form eines Podcasts in die zweite Runde. Theresa Brüheim spricht mit Donskoy über den Formatwechsel, antisemitische Strukturen, deutsche Erinnerungskultur – und die Verantwortung der Medien dabei.
Theresa Brüheim: Im Titelsong von »Freitagnacht Jews« rappen Sie: »Habt ihr Fragen an den Juden, herzlich willkommen.« Welche Frage wird Ihnen am häufigsten gestellt?
Daniel Donskoy: Es kommt auf das Umfeld an, in dem ich mich gerade bewege. »Ältere«, belesene Personen fragen mich gern zum kulturellen Hintergrund von Tel Aviv. In linken Kreisen heißt es dann: »Wie stehst du zur israelischen Siedlungspolitik?« Es ist sehr adaptierbar und immer bezogen auf die Person, die gerade fragt. Zum Judentum selbst erhalte ich nicht viele Fragen – aber ich bin auch kein gläubiger Jude, deswegen lohnt es sich nicht, mich danach zu fragen.
»Jüdisch« ist natürlich nur ein Teil Ihrer Identität. Inwieweit werden Sie dennoch darauf reduziert?
Ich werde nicht darauf reduziert. Die einzigen, die es wirklich machen, sind die Medien. Und im Endeffekt obliegt es mir zu entscheiden. Ich gebe die Deutungshoheit auch keinem anderen ab. Wenn Menschen so kategorisieren, dann ist das deren Problem und nicht meins. Denn ich lebe mein Leben in einem freien demokratischen Land und kann entscheiden, wie und als was und ob ich mich kategorisiere – zum Glück.
»Freitagnacht Jews« startete im vergangenen Jahr als WDR-Talkformat, erst in der Mediathek und auf YouTube, dann auch im Fernsehen. Neben sehr großem Lob für die Sendung gab es leider auch antisemitische Hetze. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich wünschte, es hätte mich überrascht. Durch die Radikalisierung der gesamten Gesellschaft in den letzten Jahren haben wir gesehen, dass es immer wieder zu Peaks kommt – insbesondere in den »Dunkelkammern« im Internet. Es gab leider viele, viele Konklaven, in denen sich Menschen kongregiert haben, die gemeinsam Hass geschürt haben. Das sehen wir in vielerlei Hinsicht. Glücklicherweise ist die AfD jetzt aus dem Landtag in Schleswig-Holstein raus. Das freut mich sehr.
Dennoch haben wir ein großes Problem mit Gedankengut, das hassdurchdrungen ist. Ich bin ein relativ robuster Mensch, ich kann damit umgehen, aber ganz kalt lässt es einen natürlich nicht.
Jetzt folgte die Fortsetzung von »Freitagnacht Jews« als Podcast. Wieso wurde das Medium gewechselt – vom TV-Talkformat zum Podcast?
Ich glaube sehr, sehr an Weiterentwicklung. Und ein zähes Thema wie Medienkritik im Fernsehen, das wäre sehr schwierig gewesen. Außerdem war es mir sehr wichtig, dass die Leute wirklich zuhören. Den Zuhörenden sollte Meinungspluralismus angeboten werden. Das ist etwas, mit dem sich sehr viele Menschen brüsten, aber es kommt doch nicht oft vor. Dadurch, dass wir mit sehr wortgewandten Menschen gesprochen haben, war es wichtig, es auf das Audio, auf das Hörerlebnis zu reduzieren. Generell erreichen Podcasts nochmal eine andere, jüngere Zielgruppe. Sagen wir es mal so, die Zielgruppe, die WDR um 23:30 Uhr am Abend guckt, ist doch etwas älter als ich.
Das heißt, Sie wollten spezifisch eine jüngere Zielgruppe erreichen?
Wir wollten eine politisch interessierte Zielgruppe erreichen. Menschen, die sich gesellschaftskritische Podcasts anhören, gehören einer Gruppe an, die schon gefestigter im Leben stehen und dennoch politisch interessiert ist. Wir wollten die Menschen erreichen, die Veränderung wollen und in den nächsten Jahren die Zukunft dieses Landes auch mitbestimmen und mitgestalten. Da war es mir umso wichtiger, auch Medienschaffende mit anzusprechen. Inhaltlich ging es unter anderem um falsche Formulierungen, um Ignoranz in öffentlich-rechtlichen Medien und generell in den Medien gegenüber dem Thema Jüdischsein. Aber es ging auch um Falschinformation bzw. unkonkretes, undifferenziertes Berichten über Israel und Palästina. Und da ist das Medium Podcast genau das Richtige.
Was fordern Sie, was Medien in der Berichterstattung zu den genannten Themen besser machen können?
Ich bin kein Mensch, der gerne Forderungen stellt. Ich wünsche mir zum einen, dass, wenn Journalistinnen und Reporter sich mit dem Thema beschäftigen, dass sie nicht auf Clickbaiting gehen. Das ist natürlich sehr einfach. Worte wie Antisemitismus, Israelkritik, Krieg sind Reizbegriffe. Und ich wünsche mir, dass diese Begriffe konkret und richtig in ihrer Art und Weise dargestellt und besprochen werden. Das heißt, wenn man z. B. über den deutschen Geschichtsrevisionismus berichtet und eine neue Erinnerungskultur fordert, muss man immer miteinbeziehen, dass man damit etwas in z. B. jüdischen Menschen auslöst.
Und akademische Debatten sind sehr wichtig. Aber in den letzten Wochen haben wir auch immer wieder gesehen, dass auch Akademikerinnen und Akademiker in unserem Land manchmal sehr hart am Thema vorbei argumentieren. Es obliegt den Chefredakteurinnen und den Ressortleitern dieses Landes, wirklich zu schauen, wenn ihnen das Thema am Herzen liegt. Und wenn wir 1.700 Jahre jüdisches Leben und jüdische Vielfalt in Deutschland feiern, obliegt es auch ihnen, nicht in tiefsitzende Ressentiments zu verfallen, die im Gesamtdeutschen leider verfestigt sind – ob man möchte oder nicht, das ist so.
Zum anderen wünsche ich mir, dass man nicht über Minderheiten, sondern mit Minderheiten spricht. Es gibt nicht wirklich viele Formate dafür. Es fehlt ganz viel an Verständnis von und für lebendige Juden in Deutschland.
Wie können darüber hinaus antisemitische Strukturen, die in Deutschland sehr, sehr tief verankert sind, weiter aufgebrochen werden?
Das weiß ich nicht. Da müssten Sie Felix Klein, den Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus fragen. Ich sehe mich nicht als Kämpfer gegen Antisemitismus … wirklich nicht. Das ist nicht meine Aufgabe im Leben. Es müssen nicht die Minderheiten immer aufstehen, um der Mehrheitsgesellschaft zu sagen: »Hey, ihr habt ein Problem.« Das muss aus der Mehrheitsgesellschaft heraus kommen. Und das ist natürlich eine Utopie, das weiß ich.
Ich sehe mich als jemanden, der neue Perspektiven anbietet. Ob das Antisemitismus langfristig bekämpft, wage ich zu bezweifeln. Das ist ein erster Schritt und mit dem können dann Leute etwas anfangen.
Sie sagten, Sie fordern nicht, Sie formulieren Wünsche. Was wünschen Sie sich von Politik und Gesellschaft, um stärker Antisemitismus zu bekämpfen?
Ich wünsche mir nichts von der Gesellschaft. Gesellschaft insgesamt ist ein sehr schwieriges Konstrukt. Und von der Politik wünsche ich mir schon gar nichts.
Wenn dann, wünsche ich mir mehr Empathie von Individuen. Außerdem wünsche ich mir die Anerkennung, dass wir wirklich in einer Demokratie leben. Ich wünsche mir eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit dieses Landes. Es wird sehr viel gesprochen und sehr viel symbolisch geprägt – Stichwort »Nie wieder«. Aber neuen Studien zufolge glaubt ein riesengroßer Teil der Deutschen nicht, dass ihre Vorfahren mit den Verbrechen der NS-Zeit etwas zu tun hatten. What the fuck?
Sie wünschen sich eine wirkliche Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, mit dem Holocaust. Wie ist es Ihres Erachtens aktuell um die deutsche Erinnerungskultur bestellt?
Es ist schwierig. Wir hängen in Mustern fest. Im Podcast »Freitagsnacht Jews« sprechen wir mit dem Juristen und Journalisten Ronen Steinke sehr viel über die deutsche Justiz – und wie sie die NS-Verbrechen oft nicht aufgearbeitet hat. Gestern habe ich wieder einen Tweet gesehen, der es auf den Punkt bringt: Der SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Heinz Reinefarth ließ den Warschauer Aufstand niederschlagen. Auf seinen Befehl hin wurden mehrere 10.000 zivile Personen erschossen. Der spätere Bürgermeister von Westerland starb juristisch unbelangt am 7. Mai 1979. Das ist deutsche Geschichte. Und das ist deutsche Erinnerungskultur.
Sie sind in der früheren Sowjetunion geboren, in Deutschland und Israel aufgewachsen und haben dann in London studiert. Entsprechend bezeichnen Sie sich selbst auch als multinational. Was kann Deutschland von anderen Ländern im Umgang mit der jüdischen Community lernen?
Also von Russland zurzeit wirklich nichts. Auch bei Israel wird es sehr, sehr schwierig. Denn dort gibt es ein jüdisches Selbstverständnis, weil es eine Mehrheit gibt.
In der nächsten Staffel von »Freitagnacht Jews« sind wir auf der Welt unterwegs, um zu schauen, was Deutschland lernen kann – auch an Selbstverständnis. Aber das Problem ist, möchte man ein Selbstverständnis in Deutschland? Das Selbstverständnis basiert ja auf der Aufarbeitung der Geschichte und auf der Erkenntnis, dass 90 Prozent der jüdischen Gemeinde hier eine zugewanderte Gemeinde ist und dass es überhaupt ein Wunder ist, das wir in Deutschland langsam wieder eine florierende jüdische Vielfalt kriegen.
Ich wünsche mir, wie gesagt, ein empathisches Auseinandersetzen und auch dass man Minderheiten zuhört und gewillt ist – wirklich gewillt ist – die Geschichte zu verstehen und sich nicht in Symbolpolitik zu flüchten.
Aber das machen andere Länder auch nicht viel besser. Dementsprechend ist es sehr, sehr schwierig zu sagen: »Ich wünsche mir, Deutschland soll so sein wie England.« In England gibt es einen riesengroßen Antisemitismus in der Politik, z. B. in der Labour-Partei unter Jeremy Corbyn.
Wir sehen, dass in den letzten Jahren antisemitische Straftaten in die Höhe schnellen. Das ist aber nicht nur in Deutschland der Fall, sondern überall auf der Welt. Ich weiß nicht, von welchem Land man lernen kann. Das ist eine sehr, sehr schwierige Debatte.
Zum Abschluss: Wo steht Deutschland heute, ein Jahr nach dem Festjahr »1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«?
Die Medien zumindest mussten damit umgehen, dass es Jüdinnen und Juden gibt, die laut sind, die zum Teil auch angry sind, die ihren Mund aufmachen. Das ist ein wichtiger Punkt: Es gibt lebendiges Judentum in Deutschland. Es gibt Menschen, die sprechen können, die Emotionen haben, die sich Sachen wünschen – manche fordern auch. Ich glaube nicht, dass wir mit dem Festjahr den Antisemitismus bekämpfen konnten. Und dennoch hat dieses Jahr dazu beigetragen, dass es Momente gab, in denen jüdisches Leben auf eine neue, moderne, innovative Art und Weise gezeigt wurde, und dass deutlich wurde, dass Jüdischsein viele Sachen beinhaltet – und eben nicht nur tote Juden in Auschwitz.
Vielen Dank.