Die Herausforderungen für den Schutz und den Erhalt unseres kulturellen Erbes erreichten in den letzten Jahren durch die Pandemie und die Auswirkungen des Klimawandels eine neue Dimension. Zusätzlich bestehen die Bedrohungen durch Krieg und Terrorismus weltweit fort. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen sind starke Schutzmaßnahmen notwendig, für die unter dem Dach der UNESCO schon früh, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, völkerrechtliche Bedingungen geschaffen wurden: So verabschiedeten die Vertragsstaaten 1954 die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten. Sie berechtigt die Staaten dazu, durch Eintragung in eine völkerrechtlich gültige Liste, besonders schutzwürdige Kulturstätten und Kulturgut international kenntlich zu machen, um sie im Kriegsfall zu schützen. Für Deutschland trägt der Barbarastollen als Bergungsort für bewegliches Kulturgut diesen besonderen Schutzstatus.

Mit der Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes, der »Welterbekonvention«, ist 1972 dann die Grundlage zum Schutz unseres Welterbes geschaffen worden. Keine Konvention ist bis heute von mehr Staaten unterzeichnet worden! Erfolgreiche Bewerbungen von Kultur- oder Naturgütern um eine Aufnahme in die Welterbestättenliste bedeuten eine weitreichende Auszeichnung für die Stätten, zugleich sind sie aber vor allem Selbstverpflichtung: Die Verantwortung für Schutz, Erhalt und Vermittlung ihrer Stätten obliegt den Vertragsstaaten, in Deutschland für die Kulturerbestätten aufgrund der Kulturhoheit der Länder dem jeweiligen Bundesland. Die UNESCO wiederum führt ein regelmäßiges Monitoring durch, das auch zur Aufnahme einer Stätte auf die Liste des gefährdeten Erbes führen kann. Damit soll die Aufmerksamkeit auf den Zustand des gefährdeten Kultur- oder Naturguts gelenkt und zu solidarischer Unterstützung der UNESCO und der Weltgemeinschaft aufgerufen werden, um die Gefährdungen zu beheben. Gelingt dies nicht, kann der Verlust des Welterbestatus folgen.

Deutschland verfügt über 51 durchaus vielfältige Welterbestätten: vom Aachener Dom über Altstädte wie Wismar und Denkmäler der Industriegeschichte wie die Völklinger Hütte bis hin zu Kulturlandschaften wie dem Oberen Mittelrheintal und Naturerbestätten wie dem Wattenmeer. Diese Vielfalt bedarf auch einer Vielfalt der Expertisen, wenn es um die Erhaltung und Weiterentwicklung vor Ort geht. Als Deutsche UNESCO-Kommission haben wir eine digitale Plattform für die Welterbestättenmanagerinnen und -manager etabliert, um den Austausch über gemeinsame Fragestellungen zu ermöglichen, etwa zur Vereinbarkeit von Denkmalschutz und der Nutzung erneuerbarer Energien. Aspekte der Authentizität und der Integrität, die eng mit dem Erbe verbunden sind, stehen dabei stets im Spannungsverhältnis zum Aspekt der Resilienz; die UNESCO bietet hierfür Handreichungen.

Nachhaltigkeit spielt eine immer größere Rolle im Kulturgutschutz. Zum einen für den Fortbestand der Welterbestätten selbst, zum anderen in ihrer Rolle als Vorbild einer nachhaltigen Entwicklung. Dazu gehört es auch, die Zivilgesellschaft einzubinden und die Idee des Welterbes an eine breite Öffentlichkeit zu vermitteln. Zu diesem Zweck hat die Deutsche UNESCO-Kommission gemeinsam mit dem Welterbestättenverein unter anderem den jährlichen bundesweiten UNESCO-»Welterbetag« ins Leben gerufen, der in diesem Jahr rund 400 Veranstaltungen unter dem Motto »Unsere Welt. Unser Erbe. Unsere Verantwortung« hervorgebracht hat. Eine engagierte und sensibilisierte Zivilgesellschaft ist ein bedeutender Pfeiler des Kulturgutschutzes, denn nur was man kennt, schützt man. Dieser Devise folgen auch unsere Bemühungen, junge Menschen in Kontakt mit dem Erbe zu bringen.

Der Schutz von Welterbe ist geprägt von der Idee der grenzüberschreitenden Solidarität – etwa angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukrai ne: Die UNESCO hat in Zusammenarbeit mit Blue Shield, das für die Haager Konvention für die UNESCO beratend zuständig ist, ein engmaschiges Monitoring der erfassbaren Schäden aufgesetzt; aus dem von der Bundesregierung eingesetzten Netzwerk »Kulturgutschutz Ukraine« wurden zudem zahlreiche Schutzmaßnahmen vor allem auch aus der Zivilgesellschaft gestartet. Ein weiteres Beispiel: Unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie 2020 ist uns klar geworden, dass vor allem Stätten in Afrika, deren Pflege die Einnahmen aus dem Tourismus erfordert, rasche Unterstützung benötigen. Mit #SOSAfricanHeritage konnten wir im Kontext des damaligen Hilfsfonds des Auswärtigen Amts und des Goethe-Instituts innerhalb von zwei Jahren an 34 Stätten in 22 Ländern innovative Überbrückungsmaßnahmen bzw. die Fortsetzung von Konservierungsarbeiten ermöglichen. Ähnlich verwundbar, aber nicht immer von ähnlicher Sichtbarkeit ist das immaterielle Welterbe: Auch zu seinem Schutz hat – vor genau 20 Jahren – die UNESCO eine Konvention verabschiedet, Deutschland hat sie vor 10 Jahren ratifiziert. Für Krisen- und Konfliktsituationen gibt es klar umrissene Prozesse und Routinen. Am Beispiel des 2020 ins UNESCO-Register Guter Praxisbeispiele aufgenommenen immateriellen Kulturerbes (IKE) der Dombauhütten zeigt sich, wie IKE selbst zum Schutz und Erhalt von materiellem Erbe beitragen kann: Als die Kathedrale Notre-Dame in Paris durch einen Brand zerstört wurde, konnten wir es über eine Spendenaktion in NRW ermöglichen, dass einige beschädigte Fenster in der Dombauhütte Köln im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft wiederhergestellt werden konnten.

Nicht minder sensibel ist der Schutz des Weltdokumentenerbes. Für seinen Erhalt für künftige Generationen bietet heute die Digitalisierung die Chance, historische Zeugnisse vor dem Verlust zu bewahren, wie es etwa für die Gutenberg-Bibel schon realisiert wurde. Digitalisierung wird zunehmend auch für das materielle Erbe ein Thema des Schutzes: Der jüngste Vertragsstaat der Welterbekonvention ist der pazifische Inselstaat Tuvalu. Er wird aller Voraussicht nach in wenigen Jahrzehnten unter der Meeresoberfläche liegen und setzt jetzt alles daran, sein von Verlust bedrohtes Erbe im Metaverse zu verewigen. Alte und neue Bedrohungen unseres kulturellen Erbes fordern uns heraus, innovativ und gemeinsam eine Schutzkultur zu verankern: in völkerrechtlicher Treue, gesellschaftlichem Engagement und multilateralem Miteinander.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2023.