Es ist der 14. März 2010, Sonntagmorgen 10 Uhr. Wasserschaden in der Deutschen Nationalbi bliothek (DNB). 24 Zentimeter Wasserstand im Kellermagazin mit ca. 68 Kubikmeter ausgelaufenem Wasser, das durch eine abgeplatzte Schelle eines Rohres ungehindert ausgelaufen ist. Dort stehen vor allem große und schwere Zeitungsbände aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Die unteren Reihen haben sich bereits mit Wasser vollgesogen. Nachdem die Feuerwehr das Wasser abgepumpt und die Räumlichkeiten freigegeben hatte, ging es ans Bergen. Den ganzen Sonntag lang. Zum Glück war der Schaden dennoch überschaubar.
Angesichts der gegenwärtigen klimatischen und politischen Lage ist das Thema »Notfallvorsorge« auch in der Deutschen Nationalbibliothek aktueller denn je. Die Bestände der DNB umfassen mehr als 46 Millionen Medieneinheiten, davon rund 34 Millionen physische Einheiten verschiedenster Medienarten, wie Bücher, CDs, Zeitungen, Kassetten usw., und das an zwei Standorten: Leipzig und Frankfurt am Main. Die Medienwerke lagern hoch oben in Türmen oder tief unten in Kellern einige Meter unter der Erde; teilweise in historischen Bauteilen am Standort Leipzig und in modernen Bauten am Standort Frankfurt am Main und im vierten Erweiterungsbau am Standort Leipzig.
Die inhomogene bauliche und räumliche Situation stellt die Deutsche Nationalbibliothek in der Planung der Notfallvorsorge vor große Herausforderungen. Dabei spielt vor allem die Risiko- und Szenario-Analyse eine zentrale Rolle. Welchen Risiken ist die Bibliothek grundsätzlich ausgesetzt? Welches Szenario kann an welchem Standort mit welcher Wahrscheinlichkeit und welchen Folgen eintreffen? Unterschieden wird dabei in externe Faktoren wie geografische Lage, klimatische Bedingungen und interne Faktoren wie Gebäudesub stanz und Gebäudesicherheit. Die Risiko- und Szenario-Analyse der DNB wird regelmäßig überprüft. Auf dieser fußt ein Handlungskatalog für unterschiedliche Szenarien, der den Verantwortlichen immer präsent sein muss.
Bisher ist die DNB in ihrer 111-jährigen Geschichte – bis auf den Wasserschaden, der natürlich längst behoben ist – von größeren Katastrophen verschont geblieben. Trotzdem ist es ungeheuer wichtig, für den Fall des Falles vorbereitet zu sein, um Risiken zu minimieren.
Daher hat die DNB neben der Zusammenarbeit mit der Feuerwehr vor Ort und regelmäßigen Begehungen entsprechende Vorkehrungen getroffen, die in einem Notfall greifen. Dazu zählt die Bildung von Notfallgruppen für beide Standorte, die bei Eintreten eines Notfalls schnell agieren können. Die Notfallgruppen bestehen aus Personen mit unterschiedlichen Fachkenntnissen, da in der Regel Technikerinnen und Techniker im Notfall genauso wie Sammlungsleiterinnen oder Restauratoren gebraucht werden. Außerdem sind Notfallboxen mit Bergungs- und Erstversorgungsmaterial an strategisch günstigen Punkten in beiden Häusern platziert, um in einem Notfall ggf. mit der Bergung und Erstversorgung von Medienwerken nach Freigabe des Gebäudes von der Feuerwehr beginnen zu können. Die Bergung und Erstversorgung der Medienwerke erfolgt nach bestimmten Abläufen. Dazu finden intern praktische Übungen statt, um allen Beteiligten mehr Sicherheit im Umgang mit zu bergendem Bibliotheksgut zu geben. Primär im Fokus sind dabei Wasserschäden aller Art, da diese am wahrscheinlichsten sind. Die IT-Sicherheit ist ebenso Teil der Notfallvorsorge. Hier gibt es wiederum ein eigenes Konzept.
Die DNB ist am Standort Leipzig außerdem Mitglied im Notfallverbund Leipzig, in dem sich mehrere Institutionen zusammengeschlossen haben, um sich in Notfällen gegenseitig unterstützen zu können. Am Standort Frankfurt am Main ist noch kein Notfallverbund vorhanden, allerdings gibt es derzeit Bestrebungen, einen solchen zu gründen. Handlungsbedarf besteht vor allem hier: Neben der Erstellung eigener Notfallpläne für jede Institution ist die Bildung von Notfallverbünden für Kultureinrichtungen essenziell, spartenübergreifend für Museen, Archive, Bibliotheken und weitere, wie sie auch am Standort Frankfurt zahlreich vorhanden sind.