In Seen und im arktischen Meer taucht Aurel Dahlgrün. Seine Inspirationen verarbeitet er zu Kunstwerken. Ludwig Greven spricht mit dem deutsch-schwedischen Künstler über die Faszination und Veränderlichkeit des Wassers und des Eises sowie über die Zerbrechlichkeit dieses Wunders.
Ludwig Greven: Welche Bedeutung hat Wasser für Sie?
Aurel Dahlgrün: In erster Linie ist es für mich ein Medium, in dem ich das Gefühl habe, dass es sehr viele Fragestellungen und Geheimnisse in sich birgt. Wasser trägt alles in sich – Leben, Beweglichkeit, Vergänglichkeit. Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Wasser gab es schon immer auf der Erde, lange bevor es Menschen gab. Durch seine Transparenz und seine Grundlage für neues Leben hat es aber auch etwas Futuristisches.
Sie sind in Schweden an einem See aufgewachsen. Kommt daher Ihre Begeisterung für Wasser?
Ja, die Faszination ist aus Neugier entstanden. Meine früheste Erinnerung ist, dass ich beim Angeln am See stehe und die Wasseroberfläche sehe und den Himmel, der sich darin spiegelt. Auf einmal tauchen Fische auf und verschwinden wieder. Das Wissen, dass da eine andere Welt existiert, zu der ich nur bedingt Zugang habe, fand ich schon als kleines Kind äußerst spannend. Daraus entstand ein Entdeckergeist, dieses Unbekannte zu erkunden, das unter der Oberfläche passiert.
Haben Sie sich als Künstler von Anfang an mit Wasser beschäftigt?
Das Bewusstsein, dass es eine große Rolle in meinem Leben spielt und was es mir für meine künstlerische Arbeit geben kann, ist während meines Kunststudiums gewachsen. Es war auch in meinen Arbeiten davor schon präsent, aber das war mir noch nicht so bewusst.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Wasser nicht nur künstlerisch zu betrachten, sondern sich tauchend hineinzubegeben?
Ausgangspunkt war die Frage: Wie verhält sich mein Körper zur Welt und zur Umwelt? Wie reagiert er auf Dinge, die von außen kommen? Wie werden wir dadurch beeinflusst? Prägen sie uns? Wenn ich mich ins Wasserbegebe, verändern sich die Sinneseindrücke, das Sehen. Ich werde auf mich zurückgeworfen durch den isolierten Blick. Dadurch habe ich eine ganz andere Wahrnehmung und kann anders fokussieren, fast schon meditieren. Das Wasser erlaubt mir runterzukommen und mich von der Menge an alltäglichen Sinneseindrücken zu befreien. Dass ich die Möglichkeit habe, mein Atelier, meinen Kosmos zu verlassen und in ein x-beliebiges Gewässer einzutauchen, hat eine ungeheure Wirkung auf mich.
Normalerweise hält ein Künstler Distanz zu den Objekten oder zur Natur, mit der er sich auseinandersetzt. Sie verschmelzen geradezu mit dem Wasser. Was ändert sich dadurch?
Das Verhältnis davon, was innen ist und was außen, löst sich auf. Gleichzeitig bekommen kleine Details große Sichtbarkeit. Wenn ich z. B. unter Wasser ausatme und dadurch kleine Luftbläschen entstehen, fasziniert mich das. Oder wenn eine leichte Körperbewegung die Partikel im Wasser in Bewegung versetzt. So etwas realisiere ich bei meinen Tauchgängen.
Weshalb tauchen Sie überwiegend ohne Sauerstoffgerät, was Ihre Zeit unter Wasser sehr begrenzt?
Ich habe mit dem Apnoetauchen intensiv während meines Studiums begonnen. Inzwischen tauche ich aber auch mit Sauerstoffgerät. Mich interessieren bei allen Arten des Tauchens die verschiedenen Aspekte. Wenn ich mit Geräten tauche, sehe ich meine Abhängigkeit von der Technik. Das Apnoetauchen ermöglicht durch entsprechendes Training, mit einem Atemzug relativ lange unter Wasser zu bleiben. Aber die Zeit ist begrenzt, und das finde ich gerade spannend. Wenn ich mir etwas anschauen will oder meinen Blick auf etwas fokussiere, weiß ich, dass es dafür nur diese Zeitspanne gibt. Wir haben heute in unserer Gesellschaft permanent mit Unterbrechungen zu tun. Beim Apnoetauchen hat man nur einen Atemzug, sich einer Sache zu widmen.
Wie lange können Sie dabei jeweils unter Wasser bleiben?
Irgendwann habe ich aufgehört, die Zeit zu messen. Da waren es etwa dreieinhalb Minuten. Das Tauchen mit Sauerstoffflasche erlaubt mir, länger unter Wasser zu bleiben. Da wird die Tauchflasche zu einer Erweiterung der Lunge. Mit dem Gerätetauchen ging einher, dass ich nicht mehr im Neopren-, sondern im Trockenanzug tauche wegen der Kälte im Winter. Da komme ich mir vor wie ein Astronaut im All. Ich bin umgeben von Luft, die eine Schicht zwischen dem Wasser, dem Anzug und meiner Haut bildet. Das ermöglicht jedoch auch ein anderes Tarieren und einen anderen Zustand der Schwerelosigkeit. Deshalb fasziniert mich das immer mehr.
Wo tauchen Sie?
An verschiedenen Orten auf der Welt, zu denen mich meine Expeditionen führen. Wenn ich zu Hause bin, tauche ich in einem 20 Meter tiefen See in der Nähe von Düsseldorf. Mit der Tiefe ändern sich die Lichtverhältnisse und die Farben. Ganz unten ist es oft richtig dunkel, fast schwarz, sodass ich kaum etwas sehe.
Gerade das Apnoetauchen ist eine mehrfache Grenzerfahrung. Einmal an der Grenze zwischen den Elementen Wasser und Luft, zum anderen an den eigenen Grenzen und denen der Zeit.
Je öfter ich tauche, desto mehr lerne ich die Grenzen kennen und kann sie verschieben. Doch in erster Linie ist es die Erfahrung, im Wasser zu sein.
Was nehmen Sie als Künstler im Wasser wahr?
Wenn ich in den verschiedenen Jahreszeiten im See tauche, gibt es da z. B. ganz unterschiedliche Arten von Algen und kleinen Partikeln im Wasser. Ich gehe in eine bestimmte Tiefe in den Zustand der Schwerelosigkeit und beobachte, wie sich das Licht bricht, wie sich das Volumen meiner Atemblasen verändert, wenn sie nach oben steigen.
Sie haben also bei den Tauchgängen kein bestimmtes Ziel?
Ich lasse es oft auf mich zukommen. Deshalb tauche ich auch am liebsten allein, weil ich mich dann ganz auf mich konzentrieren kann.
Halten Sie die Eindrücke auf Fotos und Videos fest oder nur als Bilder im Kopf?
Durch das Tauchen versuche ich, meine Vorstellungskraft zu erweitern. Dabei kommen mir immer wieder Ideen für neue Arbeiten und neue Exkursionen, auf die ich mich dann lange vorbereite. Beim Tauchen im arktischen Meer vor Grönland im vergangenen Jahr hat mich z. B. besonders interessiert, wie sich die Atemluft unter dem Eis festsetzt und einschließt und so in gewisser Weise zum Spiegel wird. Ich habe nach Stellen unter dem Packeis gesucht, wo ich die Luft möglichst an einem Ort halten kann.
Wie werden aus den Eindrücken unter Wasser Kunstwerke?
Ich mache mir in erster Linie Notizen. Eine kleine Kamera dient während der Tauchgänge dazu, flüchtige Momente festzuhalten. Daraus entstehen dann Ideen für neue künstlerische Arbeiten. Ich habe nur selten ein konkretes Bild vor Augen, bevor ich abtauche. Bei großen Exkursionen, auf die ich mich intensiv vorbereite, wie die nach Grönland, nehme ich aber großes Equipment mit und produziere vor allem Foto- und Videoarbeiten.
Wie kam es zu der Idee, in der Arktis zu tauchen?
Das hat viel mit dem Eis zu tun. Den ersten Tauchgang unter Eis habe ich in Düsseldorf für ein Projekt in einem Teich gemacht, der gerade mal zwei Meter tief ist. Der war zufällig zugefroren. Da habe ich gemerkt, welche Faszination das Eis auf mich ausübt. Auf verschiedenen Ebenen, aber auch durch den zeitlichen Faktor, weil es nur eine sehr kurze Zeit war, in der diese Eisfläche existierte. Diesen kurzen Moment festzuhalten und damit spielerisch umzugehen hat in mir den Wunsch geweckt, mich mehr mit Wasser im Aggregatzustand Eis zu beschäftigen.
Im arktischen Meer und unter Eis zu tauchen ist aber etwas ganz anderes als in einem See.
Ja, das war eine völlig andere Dimension. Darum habe ich eine Ausbildung zum Eistaucher gemacht. Unter dem Packeis sinken die Partikel, dadurch ist die Sicht sehr klar, anders als in dem Teich. Deshalb konnte ich da mit meinem Blick und einer Weitwinkelkamera sehr viel erfassen. Ich wollte in eine Welt eintauchen, die ich bis dahin nicht kannte. Und da habe ich noch viel stärker gemerkt, wie sich die Dinge im Wasser ständig verändern, von einem Tag auf den anderen. Eisberge und im Packeis eingeschlossene Formationen waren auf einmal nicht mehr da, aufgrund von Strömungen oder weil Teile abgebrochen oder geschmolzen sind.
Die Gefahren sind größer und auch der Aufwand. Brauchten Sie ein Schiff?
Wir sind zum Teil über das Eis gelaufen bis zu einem Einstiegsloch. An anderen Tagen sind wir mir einem kleinen Boot eines Inuit gefahren, den wir dort kennengelernt haben. Der hat uns, soweit es ging, mit hinausgenommen. Wir sind mit einem Seil getaucht. Einer hat aufgepasst, dass das Ausstiegsloch nicht zufriert. Das Wasser war minus zwei Grad kalt. Das war eine Erfahrung, mit der ich mich in den nächsten Jahren noch weiter beschäftigen werde.
Wasser ist fluid. In der Arktis und Antarktis sprach man dagegen wie bei Gletschern von ewigem Eis. Aber es ist ja als Folge des Klimawandels auch nicht mehr fest, es schmilzt dahin. War das auch eine neue Erfahrung der Veränderlichkeit?
Meine Wahrnehmung der Natur hat sich in der Zeit dort komplett verändert. Nicht, wie wir als Menschen unsere Umwelt beeinflussen. Das war mir auch vorher schon bewusst. Aber zu sehen, wie rapide sich eine ganze Landschaft verändern kann und wie sensibel die Dinge miteinander zusammenhängen, das hat mich schon bewegt. Und das Packeis, das an manchen Tagen bis zum Horizont reichte und sich kurze Zeit später komplett verschoben hatte – da kam ich mir vor wie auf einem anderen Planeten. Dieses Wunder unserer Erde und seine Zerbrechlichkeit sind enorm. Das wahrzunehmen, finde ich ungeheuer wichtig.
Wie werden Sie das Ihrem Publikum nahebringen?
Es gibt Drohnenaufnahmen, die das Packeis aus der Vogelperspektive zeigen und Unterwasseraufnahmen, die während meiner Tauchgänge unter dem Eis entstanden sind. Diese werde ich in eine Beziehung stellen, indem ich Videoarbeiten und Fotogravuren aus beiden Perspektiven zeige.
Sehen Sie sich als Botschafter des Klimawandels?
Die Auseinandersetzung damit ist wichtig und spielt für mich eine Rolle, aber ich sehe mich nicht als Botschafter. Mir geht es um etwas, was noch tiefer geht. Darum, wie wir als Menschen miteinander und mit unserer Umwelt umgehen. Im besten Fall mit Behutsamkeit und Respekt.
Vielen Dank.