Wo menschenverachtende Grenzanlagen das Land über 40 Jahre teilten, spannt sich zwischen Ostsee und bayerisch-sächsischem Vogtland das Grüne Band. Einzigartiger Rückzugsort für gefährdete und seltene Tiere, Pflanzen und ihre Lebensräume. Diese konnten sich im Schatten von Metallzäunen, Minen und Grenzpatrouillen weitgehend ungestört erhalten und entwickeln. Die Lebenslinie, die sich ganze 1.378 Kilometer durchs Land schlängelt, ist heute ein neun Bundesländer übergreifender Biotopverbund und eine Schatzkammer der Artenvielfalt.
Folgerichtig führt die Bundesregierung das Grüne Band als »Nationales Leuchtturmprojekt für den Schutz der biologischen Vielfalt« an. Als Nationales Naturerbe (NNE) ernannt, ist das Biotopverbundsystem »Grünes Band« sogar im § 29 des Bundesnaturschutzgesetzes verankert. Mit der Unterschutzstellung von 82 Prozent seiner Länge als Nationales Naturmonument (NNM) wurde ein wichtiger Grundstein für eine zukünftige Nominierung als UNESCO-Welterbestätte gelegt. Seit Dezember 2023 steht das Grüne Band auf der deutschen Tentativliste für UNESCO Welterbestätten, als Naturerbestätte mit der Option der Erweiterung als gemischte Natur- und Kulturerbestätte.
Rückgrat des nationalen Biotopverbundes und Nord-Süd-Klimakorridor
Neben dieser linearen Struktur entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze bestehen vielfältige Quervernetzungen links und rechts davon zu einer großen Zahl aus wertvollen Flächen und Biotopverbundachsen. Aus diesem Grund kommt dem Grünen Band eine herausragende Bedeutung für den Biotopverbund und die Arterhaltung zu.
Das Grüne Band selbst ist im engeren Sinne der schmale, zwischen 50 und 200 m breite Bereich zwischen der ehemaligen innerdeutschen Grenze und dem sogenannten Kolonnenweg, dem Betonplattenweg der DDR-Grenzpatrouillen. Hieran angrenzend befinden sich jedoch auf Ost- und Westseite zahlreiche Gebiete, die ebenfalls über eine herausragende naturschutzfachliche Wertigkeit verfügen und z. B. als Naturschutzgebiete, Nationalparke (Harz) oder Kernzonen von Biosphärenreservaten (Schaalsee, Drömling, Rhön) geschützt sind. Das Grüne Band verbindet diese großflächigeren Kernbereiche des Biotopverbundes – es funktioniert als ökologisches Rückgrat mit Rippen in die umgebende Landschaft.
Im stark durch den Menschen geprägten Mitteleuropa ermöglicht es vergleichsweise ungestörte ökologische und biologische Prozesse. Als gegenläufiger Trend zur Fragmentierung und Verinselung der durch landwirtschaftliche Industrialisierung und Zersiedelung stark geprägten Landschaft Mitteleuropas hat das Grüne Band als sogenannter halboffener Biotopverbund eine zentrale Funktion sowohl für Wald- wie auch für Offenlandarten. Zugleich ist es für viele Arten, die auf das kleinteilige Vorhandensein verschiedenster Landschaftsstrukturen angewiesen sind, ein Refugium. Die ökologische Bedeutung des Grünen Bandes beruht überwiegend auf dem kleinräumigen Wechsel und der damit einhergehenden engen Verbindung zwischen den verschiedenen Biotoptypen. Das Grüne Band verbindet teils großflächige Feuchtgebiete und Offenlandökosysteme. Ebenfalls prägend sind fast alle Wald-Lebensräume Deutschlands im Gebiet vorhanden und in das Biotopnetzwerk eingebunden. Letztere bilden z. B. zentrale Lebensräume und Ausbreitungsachsen für die bedrohten Arten Wildkatze (Felis silvestris) und Luchs (Lynx lynx). Beide Arten weisen in Deutschland große Verbreitungslücken auf (Wildkatze) bzw. kommen nur in isolierten Populationen (Luchs) vor. Der Biotopverbund über das Grüne Band ist essenziell, um diese Lücken zu schließen und den genetischen Austausch erneut zu ermöglichen.
Der einmalige Biotopverbund dient somit in einem fortlaufenden Prozess als Rückzugsraum für seltene Arten, als wichtiger Ausgangspunkt für deren weitere (Wieder-)Verbreitung und als lineare Migrationsmöglichkeit, was im Rahmen des Klimawandels immer notwendiger zum Überleben einzelner Arten sein wird.
Schatzkammer der biologischen Vielfalt
Von den für Deutschland relevanten 91 Lebensraumtypen der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie, Abkommen der Europäischen Union zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen auf europäischer Ebene) kommen alle zu erwartenden 53 Land- und Binnengewässer-Lebensraumtypen im Grünen Band vor. Die übrigen sind marine oder alpine Lebensraumtypen, die nicht vorkommen können oder deren Vorkommen auf den äußersten Osten Deutschlands begrenzt ist.
Diese Biotope sind wesentlicher Lebensraum für geschätzt mehr als 10.000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, darunter 11 örtlich begrenzt auftretende Arten wie z. B. die Rhön-Quellschnecke (Bythinella compressa), oder die Schaalseemaräne (Coregonus holsatus). Weiterhin finden sich 196 Verantwortungsarten im Grünen Band. Dies sind Arten, für die Deutschland aus globaler Perspektive eine besondere Verantwortlichkeit trägt, weil sie entweder nur hier existieren oder ein bedeutender Teil der Weltpopulation hier vorkommt oder die Art weltweit gefährdet ist. Beispiele sind Europäischer Aal (Anguilla anguilla), Feuersalamander (Salamandra salamandra), Lanzettblättrige Glockenblume (Campanula baumgartenii Becker), Andrena rhenana, eine stark gefährdete Wildbienen-Art.
Von den in Deutschland vorkommenden 281 FFH-Arten, also Arten, die spezifischen Schutzzielen unterliegen, konnten am Grünen Band bislang insgesamt 107 nachgewiesen werden (38 Prozent). Dabei handelt es sich um Arten, die von gemeinschaftlichem Interesse in der EU sind. Sie sind durch die Mitgliedsstaaten langfristig zu schützen und in einem guten Erhaltungszustand zu bewahren bzw. in einen solchen zu versetzen. So kommen beispielsweise 20 der 24 in Deutschland lebenden Fledermaus-FFH-Arten im Gebiet vor (83 Prozent). Für 18 der festgestellten Fledermausarten hat Deutschland zudem eine internationale Verantwortung. In Deutschland sind 97 Säugetierarten heimisch, 10 bereits ausgestorben. Gefährdet gemäß der Roten Listen sind 27 Arten. Davon kommen im Grünen Band mindestens 15 (56 Prozent) Arten vor. Im Grünen Band sind zahlreiche Arten nachgewiesen, die regional oder deutschlandweit als verschollen oder ausgestorben galten. Dokumentierte Beobachtungen dieser Re-Vitalisierungseffekte entlang der innerdeutschen Grenze gehen zurück bis in die 1980er Jahre. Dies unterstreicht, dass das Grüne Band einen Schwerpunkt der autochthonen Biodiversität Mitteleuropas darstellt.
Bewahrung von Strukturvielfalt
Durch die Abgeschiedenheit und relative Nutzungsruhe entlang der Grenzanlagen konnten sich für die vorindustrielle bäuerliche Kulturlandschaft typische Strukturen erhalten, die der heutigen industriell genutzten Agrarlandschaft, mit strikten Feld-Waldgrenzen ohne Übergangsstrukturen, oft gänzlich fehlen. Das Grüne Band und weite Teile seines Umfeldes waren nicht von der massiven Intensivierung der Landnutzung sowie der damit verbundenen Nivellierung der Landschaft, wie sie ab den 1960er Jahren durch die Flurneuordnung in Westdeutschland und durch die Kollektivierung der Feldflur in Ostdeutschland flächendeckend einsetzte, betroffen. So wurden regionale Eigenheiten des Landschaftsbildes, wie z. B. Heckenstrukturen und Lesesteinriegel oder auch mäandrierende Bäche, kleinteilige Wechsel von Feuchtgrünland, Moorbereichen, flachgründigen Magerstandorten, Saumstrukturen und abgestuften Übergängen von Offenland zu Wald unfreiwillig erhalten. Diese typischen Strukturen der vorindustriellen mitteleuropäischen Kulturlandschaft, die eine enorme Artenvielfalt generierten, wurden entlang des Grünen Bandes konserviert und das über verschiedenste geologische und naturräumliche Einheiten hinweg.
Durch die heutige gezielte naturschutzfachliche Nutzung des Grünen Bandes, z. B. durch extensive Beweidung oder einen Wechsel von Mahd und Beweidung sowie alternierender Entbuschung, werden diese halboffenen, strukturreichen Lebensräume erhalten. Hierdurch werden die für den Erhalt der Artenvielfalt so wichtige artenreiche Übergangsbereiche zwischen verschiedenen Ökosystemen, erhalten.
Mit der Aufnahme des Grünen Bandes auf die deutsche Tentativliste der UNESCO-Welterbestätten wurde dessen naturschutzfachlich herausragender Bedeutung als nationaler Biotopverbund und damit in Zukunft immer wichtiger werdender Klimakorridor für den Erhalt der biologischen Vielfalt Rechnung getragen. Das Grüne Band als Kulturlandschaftsraum, als Gedächtnislandschaft und als Symbol für lebendige und gelebte Demokratie umfasst aber viel weitergehende Bedeutungsebenen und schöpft aus der Verbindung von Natur- und Kulturraum sein Potenzial als tatsächlich weltweit bedeutender Begegnungsraum. Dem kann nur eine Nominierung als gemischte Natur- und Kulturerbestätte gerecht werden.